Die Woche nach Orlando - sie war eine nachrichtlich aufregende, aber auch traurige. Sie hat uns wieder einmal gezeigt, wie machtlos wir gegenüber Terror jeder Art - ob in Paris, in Birstall oder in Orlando sind. Das ist die eine große Sorge. Das eine große Problem. Sie haben aber - auf einer ganz anderen Ebene - im Nachhinein auch gezeigt, wie schwierig es ist, immer die richtigen Worte zu finden – und gesellschaftliche Verwerfungen nicht noch weiter anzufachen. Keines dieser Ereignisse ist politisch deshalb alleine zu betrachten: Viel mehr waren es alles Angriffe auf unsere liberale Welt. Das Attentat von Orlando hat aber noch etwas anderes gezeigt: Wie wichtig Sprache sein kann - und wie wenig sich die deutsche Politik aber auch journalistische Medien wie die Wochenmagazine „Spiegel“, „Focus“, „Zeit“ und „Stern“ trauen, die Tragödie in Florida als Angriff auf queere Menschen zu verstehen.

So tolerant wie wir glauben, sind wir noch lange nicht – und die Intoleranz kommt ausgerechnet aus der Mitte der Gesellschaft: So war es dann auch der „Spiegel“, der dem Attentat von Orlando – immerhin der bislang schlimmste Anschlag mit Handfeuerwaffen in den USA – recht knapp widmete. Ärgerlicher aber noch ist, dass das Magazin auch knapp eine Woche nach dem Attentat von Orlando konsequent von einem Schwulen-Club gesprochen wird – und es erst „Orange Is the New Black“-Star Lea DeLaria (Carrie „Big Boo“ Black) im Interview ist, die deutlich macht, das es ein Klub für „sowohl Schwule wie auch Lesben“ war. Auffällig ist dann aber die Ignoranz und Insensibilität des Interviewers, der erst von einem „Gewaltakt auf Schwule“ spricht und später fragt, ob der Scheine trüge, dass die Legalisierung der „schwulen Ehe“ schließlich ein „historischer Sieg“ gewesen sei.

Zugute halten könnte man dem Magazin, dass der Spiegel es geschafft hat, das Thema mit einem lesbischen TV-Star zu analysieren – nur beim nächsten Mal wäre etwas mehr Sensibilität und tiefergehende Fragen angebracht. So wirkt das Interview wie ein ungeliebtes Gespräch, das geführt werden musste, weil das Attentat nun geschehen ist und nicht, weil damit wirklich auf die Benachteiligung von Queers aufmerksam gemacht werden sollte. Denn die Fokussierung auf Schwule führt immer auch zu einem Ausschluss von anderen Menschen, die auch zur Gruppe der queeren Menschen zählt.

Die „Zeit“ wiederum hebt das Thema auf die Titelseite und greift es in einem der Leitartikel und noch in drei weiteren Texte mit unterschiedlichem Fokus im Blatt auf. Jörg Lau ruft in seinem Text dazu auf, „für die Liebe zu kämpfen – für die Schwulen und Lesben zueinander. Und nicht zuletzt für die Liebe zum Fußball“. Fast wichtiger sind aber die Texte im Ressort „Glaube und Zweifel“: Der US-amerikanische Ethik-Experte Leigh Hafrey spricht im Interview über religösen Fanatismus und was wir dagegen tun kann, während ein Professor für Islamwissenschaft erklärt, warum gleichgeschlechtlicher Sex für Muslime oft ein großes Tabu ist, flankiert von fünf Muslimen aus Kanada, den USA und Deutschland, die homosexuell sind – und erklären, warum das auch gut so ist.

Die wichtigen Antworten auf unsere Fragen sind dann ausgerechnet im „Focus“ zu finden, die mit Alexander Görlach den Herausgeber des Debattenmagazins „The European“ als Gastautor überzeugen konnten: Er erklärt, warum unser liberales Dasein keine Selbstverständlichkeit ist – und es gelingt ihm dabei beinahe konsequent von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgendern zu sprechen. Er ist der einzige, der wie selbstverständlich benutzt, was im anglo-amerikanischen Sprachraum als LGBT schon längst etabliert ist.

Schon die ersten Berichte am frühen Sonntagmorgen in deutschen Onlinemedien und im Fernsehen sprachen – immerhin konsequent - von einem Schwulen-Klub, nur wenige dehnten es auf homosexuelle Menschen oder auf Schwule und Lesben aus. Das zeigt, ein Problem unserer Medien: Wir machen es uns einfach, und trauen uns manchmal nicht, Dinge so zu beschreiben wie wir sind – auch aus Angst, dass es zu kompliziert sein könnte? Denn eigentlich ist es das nicht und das hat sogar Donald Trump erkannt, der sich nach dem Attentat von Orlando an die LGBTI-Community - also Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender/Transsexual and Intersexed - richtete.

Es widerstrebt es sagen und schreiben zu müssen: In der Begrifflichkeit war Donald Trump klarer als das was viele deutsche Medien noch immer sind. Die jedoch interessieren sich leider ohnehin kaum für das, was in so vielen Ländern um uns herum weitaus lauter wahrgenommen und weitergetragen wurde: Wie dieser Anschlag die LGBT-Community ins Herz getroffen hat. Stattdessen gilt die ganze Faszination dem Täter, dem „einsamen Wolf“ – verbunden mit Erklärungsversuchen, warum ganz gewöhnliche amerikanische Staatsbürger, die sich aus oft ganz verschiedenen Gründen nach und nach radikalisieren, zu Terroristen werden und alleine handeln. So gelingt es ihnen, dem angegriffenen Land kleine, aber wirksame Nadelstiche – mit oft vielen Toten – zu versetzen.

Den Täter verstehen, die Opfer nicht. Das ist bedauerlich. Vielleicht steckt in der Fokussierung auf den Täter und seine Motivation auch der Reiz des analysierenden Spekulierens verbunden mit dem menschlich verständlichen Wunsch den Terror verstehen zu wollen. Aber man möchte entgegen: Schaut doch mal rüber, auf die andere Seite. Da steht eine getroffene Community, der nicht nur vor Augen geführt wurde, dass es auch heute noch in vermeintlich liberalen, aufgeklärten Ländern Hassverbrechen gegen sie gibt. Die danach auch noch erlebt, wie verklemmt noch immer der sprachliche Umgang und die Wahrnehmung ist. Das kann schmerzen auch wenn man glücklicherweise tausende Kilometer entfernt von Orlando lebt und nicht körperlich getroffen wurde.

Kaum ein deutsches Medium hatte den Mut, sich der vielleicht größten Herausforderung unserer Zeit zu stellen: Minderheiten nicht als etwas Außergewöhnliches zu begreifen, sondern als normalen Teil unserer Gesellschaften. Und so ist es Carolin Emcke in der „Süddeutschen Zeitung“ vom Wochenende, die, man möchte fast sagen, einmal wieder die richtigen Worte findet: „Die Wut entlädt sich auf den, der auffällt ohne Schutz“, heißt es bei Adorno in der „Dialektik der Aufklärung“, und so müssen die Gesellschaften, die wirklich offen sein wollen, […] endlich den Schutz, den die Menschenrechte und das Grundgesetz versprechen, auch auf Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und intersexuelle Menschen ausweiten. Nicht rechtlich fast gleich, sondern gleich wollen wir sein.“