Auch wenn Amazon zunehmend mehr Serien direkt in eine Staffelproduktion schickt, so behält man parallel das Konzept der Pilot-Season bei - und stellt ab Freitag drei neue Pilot-Folgen neuer Serienidee zwecks Beurteilung durch die Kunden online. Um die drei Produktionen sehen zu können, muss man nicht einmal zahlender Amazon Prime-Kunde sein. Aber lohnt der Blick auf die drei Serien? DWDL.de hatte vorab Gelegenheit, die drei Pilotfolgen anzuschauen. „Sie könnten unterschiedlicher nicht sein“, erklärt Jay Marine, Europa-Chef von Amazon Prime Video, bei einer Abendveranstaltung in München.

Er hat Recht, doch das trifft nicht nur auf das Thema - sondern auch die Qualität zu. Denn nur einer der drei neuen Serien-Piloten ist jetzt schon mit ziemlicher Gewissheit eine ganze Staffel sicher. „Jean-Claude Van Johnson“ ist es eher nicht. Die Serie will selbstironisch mit dem Image von Hauptdarsteller Jean-Claude Van Damme spielen als alterndem Ex-Actionstar spielen - aber traut sich dabei leider zu wenig. Dazu hätte man ihn weitaus stärker durch den Kakao ziehen müssen. Worum geht’s? Van Damme spielt sich selbst im Hollywood-Ruhestand, doch als Geheimagent will er es nochmal wissen.

Die Serie von den Executive Producern Peter Atencio („Key and Peele“), Ridley Scott („The Good Wife“) und David W. Zucker („The Man in the High Castle“) ist viel zu plump geraten, was auch dem Drehbuch von Dave Callaham („Mortal Kombat“) geschuldet ist. Ein Comeback-Versuch mit der Geschichte eines gescheiterten Comeback-Versuchs - das ist nicht neu und wurde schon einmal besser erzählt. Und das sogar von Jean-Claude Van Johnson selbst. Am Ende der Pilotfolge mag man die Idee der Serie immer noch mögen; die Umsetzung ist allerdings schwach. Da müssten weitere Episoden deutlich zulegen.

Jean Claude Van Johnson© Amazon


Mehr Potential verspricht „The Tick“, eine Co-Produktion von Amazon mit Sony Pictures Television. Die Serie setzt dem Superhelden-Hype zwei alberne Fühler auf und folgt damit selbst einem aktuellen Trend: Sich über Superhelden lustig machen. Marvel gelang dies ganz großartig mit dem bitterbösen „Deadpool“-Film, bei den LA-Screenings von Warner Bros. enttäuschte wiederum der Versuch eine Sitcom über Normalso in einer Superhelden-Welt zu erzählen. Und irgendwo dazwischen - qualitativ geseen - liegt „The Tick“.

Die Serie erzählt von einem merkwürdigen, mysteriösen Superhelden mit albernem Outfit, der zusammen mit einem Außenseiter als Sidekick die Stadt vor dem nur vermeintlich toten Bösewicht Terror beschützen will. Die Serie kann eine charmante Parodie auf das Superhelden-Genre werden. So ist die Comic- und Zeichnetrick-Vorlage gedacht, die in den USA Ende der 80er sowie in den 90er Jahren ihre größten Erfolge feierte. Die Pilotfolge dieser neuen Realverfilmung steigt leider etwas behäbgig ein und ist vielleicht zu lange damit beschäftigt, die Charaktere einzuführen. Das ist grundsätzlich gut, wenn es weitergehen sollte. Aber ärgerlich, wenn auf diesem Wege die Pilotfolge für Genre-Fans nicht schnell genug erzählt.

I love dick© Amazon


Bleibt noch die dritte Serie. Unter den Branchen-Vertretern, denen Amazon am Mittwochabend im Münchener Hotel Bayerischer Hof eine exklusive Vorschau auf die drei neuen Serien gewährte, war „I love dick“ der klare Favorit. Es ist die Adaption des gleichnamigen Kult-Romans über Männer, Frauen und Beziehungen. Die Serie spielt in der Intellektuellen-Community von Marfa, Texas. Chris (Kathryn Hahn, auch bekannt aus „Transparent“) und Sylvere (Griffin Dunne) kommen nach Marfa, nachdem Sylvere ein Stipendium für sein unvollendetes Buch über den Holocaust angeboten wurde. Sie treffen Dick (Kevin Bacon), der ihre Vorstellungen von Liebe und Monogamie auf den Kopf stellt.

Erzählt wird von Liebe und Verlangen zwischen Ehe, Affären und Begegnungen in einer gewagten Balance zwischen ernsthafter Charakterstudie und Comedy. Das kann schief gehen, aber glücklicherweise steckt Jill Soloway hinter den Projekt, die schon mit der gefeierten Serie „Transparent“ genau diese Balance mit Bravour gemeistert hat. Mit dem ein oder anderen Kniff in der Erzählform hebt sich „I love dick“ ab, dürfte sonst aber ein ähnliches Publikum ansprechen und sicher mehr Awards als Massenpublikum erreichen. Dass „I love dick“ an der Pilot-Season von Amazon teilnimmt, ist Kosmetik: Der Anbieter wird seine Star-Produzentin Soloway nicht verärgern.

So scheint eine Fortsetzung aus dieser Pilot-Season bereits sehr sicher. Ob jedoch „Jean-Claude Van Johnson“ oder „The Tick“ genügend Fans für sich gewinnen können, darf man skeptisch sehen. Ab Freitag kann sich jeder ein eigenes Bild der drei Pilotfolgen machen. Amazon stellt sie, wie üblich, im englischen Original online.