Weder Big Data, noch viel Geld oder große Namen garantieren eine erfolgreiche Serie. Die seit Freitag verfügbare Amazon-Produktion „Crisis in Six Scenes“ dokumentiert sehr anschaulich, dass auch SVoD-Anbieter nicht über altbekannten Herausforderungen schweben. Aus dem gelangweilten Gähnen beim Zuschauen wird da fast ein erleichtertes Aufatmen: So einfach geht es dann eben doch nicht. Für Fans guter Serien und kreative Geschichtenerzähler gleichermaßen ist das die positivste Seite von Woody Allens Mogelpackung: Diese sechs gut 20-minütigen Episoden wirken wie ein gestreckter und zerstückelter Film von Woody Allen; ein schlechter.

Wir sind im New York des Jahres 1969. Ein minimalistischer Vorspann lässt uns dies durch Nachrichtenbilder jener Zeit wissen. Es folgt die Geschichte des glücklosen Schriftstellers Sidney Munsinger, der genauso gediegen rumschlumpft wie Allen selbst. Vielleicht ist es der Fluch, einer der prägnantesten Köpfe des amerikanischen Films zu sein, aber mitunter tut man sich schwer in Allens Schauspiel bei „Crisis in Six Scenes“ mehr zu sehen als eben ihn, Woody Allen. Seine Serienfigur Sidney ist verheiratet mit Paartherapeutin Kay (gespielt von Elaine May). Ein in Maßen intellektuelles Paar, das sich gerne in Maßen als  progessiv betrachtet. Gerade kümmern sie sich zudem um Alan, den Sohn eines befreundeten Paares, das auf Seereise ist.

Die titelgebende Krise beginnt als eines Nachts im Flur die Dielen knarren. Eine Einbrecherin ist im Haus: Miley Cyrus als Aktivistin der „Constitutional Liberation Army“. Erneut wiederholt sich ein Problem: Auch hier fällt es schwer abseits eines augenscheinlich nur aus PR-Gründen besetzten Pop-Sternchens die Rolle der von ihr dargestellten Lennie zu sehen. Kommerzkönigin Miley Cyrus als linke Terroristin - das ist einer der wenigen Witze sein, der die Serie zur Comedy macht. Hin und wieder lädt der trockene Humor zum Lachen ein, aber die Dichte der Gags lässt einmal mehr vermuten: Das alles wäre besser ein Film geworden.

Nur mit Müh und Not kommt jede Folge der Miniserie auf mehr als 20 Minuten - so als wäre „Crisis in Six Scenes“ eine Network-Comedy, die genug Platz lassen muss für Werbung im Comedy-Halbstunden-Slot. Wo andere Geschichtenerzähler von der Freiheit des Mediums Fernsehen schwärmen, wirkt diese Produktion wie eine Qual für Woody Allen - und damit letztlich auch uns Zuschauer. So plötzlich wie die aus dem Gefängnis ausgebrochene Lennie kam, so schnell darf sie auch bleiben - und stellt alles auf den Kopf. Das führt zu durchaus zu manch herzlichen Szenen - meist jene ohne Allen und Cyrus.

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Die Serie will eine Comedy von gesellschaftlicher Relevanz sein - mit ein bisschen Period Drama. Das würde man so gerne mögen. Eben wegen schöner Momente, wenn Kay und ihr wöchentlicher Buchclub im Wohnzimmer von Kafka zu Marx und Lenin wechseln oder das Establishment plötzlich an Nacktprotest vor dem Rekrutierungsbüro der US Army denkt. Am meisten verdreht die junge, freche, blonde Miley Cyrus in ihrer angedeuteten Rolle der Lennie jedoch Jungspund Alan den Kopf, der ihr zuliebe sogar eine Bombe baut und dabei fast selbst drauf geht. Schaden nimmt am Ende von „Crisis in Six Scenes“ jedoch lediglich Woody Allen - als Filmemacher, nicht in seiner Rolle.

„Crisis in Six Scenes“ hätte er nicht nötig gehabt und selbst Amazon nicht. Es ist gleichermaßen befremdlich und belustigend, wie einerseits manche Journalisten gänzlich unkritisch und berauscht die neuen SVoD-Dienste zur Ablösung des linearen Fernsehens heraufschreiben - und die Anbieter wiederum sich selbst als Underdogs betrachten, die sich durch die Verpflichtung großer Namen mit dem Scheckbuch profilieren möchten. Netflix ist das mit Baz Luhrmann besser gelungen als Amazon mit Woody Allen. Aber mehr nachhaltige Aufmerksamkeit erhalten bei beiden Anbietern ganz andere Serien. Da wäre es gar nicht nötig, sich mit Namen schmücken zu wollen.

Denkt man an „Crisis in Six Scenes“ dann ist Woody Allen so etwas wie der Harald Schmidt von Amazon Prime Video: Einst war Sat.1 ein ganzes Jahr lang so furchtbar stolz auf Harald Schmidt. Es war jenes Jahr, in dem seine Rückkehr zu Sat.1 schon bekannt war aber noch bevor stand. Immer und immer wieder brüstete man sich bei jeder Gelegenheit mit dem bald kommenden Schmidt, so wie Amazon es mit Allen tat. Amazon Studios-Chef Roy Price hätte schon einen Oscar verdient für die gekonnte Coolness mit der er bei jedem Auftritt erwähnte, dass man ja jetzt auch mit Woody Allen zusammenarbeite.

Doch wie damals bei Schmidts Rückkehr zu Sat.1 so ist auch Woody Allens Premiere bei Amazon im Vorfeld weitaus mehr wert gewesen als jetzt, wo die Produktion vorliegt. Ein so prominenter Flop für Amazon tut gut - selbst Amazon. Es ist das Ventil für den ins Unermessliche gestiegenen Erwartungsdruck. Gut ist dieser Flop aber auch für jene, die den neuen SVoD-Anbietern eine grundsätzliche Überlegenheit bescheinigen sowie denen, die der Meinung waren: Wer Film für die große Leinwand kann, schafft Fernsehen doch mal eben mit links. Woody Allen weiß nun, dass dem nicht so ist. In so vielerlei Hinsicht ist „Crisis in Six Scenes“ also gar nicht so schlecht. Nur gucken braucht man es deshalb noch lange nicht.