Man muss der ARD mal ein Kompliment aussprechen. Sie hat am Montagabend ihr Programm mit einem Ereignis der Sonderklasse veredelt. Sie hat es geschafft, eine Auseinandersetzung im Spannungsfeld zwischen Moral und Recht packend in Szene zu setzen, Menschen vor dem Fernseher quasi in Diskussionszwang zu versetzen. Leider hat es die Anstaltengemeinschaft danach komplett gegen die Wand gefahren. Das begann beim DSDS-artigen „Stimmen Sie ab“-Appell, der zu einem absehbaren Ergebnis führte, endete noch nicht bei den offenbar versagenden Abstimmungsservern und artete danach in das leider schon übliche „Hart aber fair“-Kasperletheater aus. Ichbrülldubrüllwirbrüll. Chance geschaffen, Chance vergeigt.

„Terror - Ihr Urteil“ heißt der Film, den Lars Kraume nach dem Theaterstück von Ferdinand von Schirach großartig in Szene gesetzt hat. Gezeigt wird eine Gerichtsverhandlung, in der ein Bundeswehrpilot angeklagt ist, weil er ein mit 164 Menschen besetztes Flugzeug abgeschossen hat, damit es nicht als Terroristenwaffe in die mit 70 000 Menschen besetzte Allianz-Arena stürzt.

Lange schon spielte eine fiktionale Hauptabendproduktion nicht mehr 85 Minuten in einem Raum. Lange schon gab es nicht mehr so viel sprachlich gepflegte Auseinandersetzung. Wann zuletzt hat jemand zehn Minuten am Stück im Ersten einen Monolog gehalten, der umso packender wurde, je länger er dauerte? Zehn Minuten geschliffene Sprache am Stück, packend vorgetragen von Martina Gedeck als Staatsanwältin. Danach gleich noch acht Minuten Monolog von Lars Eidinger, der den Verteidiger spielte. Großartig inszeniert, präzise ausgeleuchtet, perfekt gespielt. Alles in allem eine Glanzleistung. Wer hatte vorher schon geahnt, dass eine Auseinandersetzung über Moral und Recht inklusive diverser Kant-Zitate so spannend ausfallen könnte, dass es nicht einmal den ARD-Programmdirektor stört, der sonst gerne jedes Programm mit etwas höherem Anspruch vom 20.15 Uhr-Slot vertreibt?

Dazu bebilderte das Werk ein Stück vorbildhafte Diskussionskultur. Es wurden Fragen gestellt, es wurde zugehört, es wurde geantwortet, es gab Pausen, Momente der Stille. Es war förmlich zu spüren, wie sich Meinung bildete, wie sie wieder ins Wanken kam, wie sich eine Gegenmeinung bildete. Die Kraft der Argumente konnte sich entfalten. Und das in diesen Zeiten, da viel zu oft die Brüllaffen die Oberhand bekommen. Faszinierend zu sehen, was Fernsehen kann, wenn es kann.

Und dann? Dann kam das traurige Abrutschen in drei Akten.

Zuerst wurden die Zuschauer aufgefordert, 0137-Nummern anzurufen. Wie bei DSDS, wie beim ESC. Da wartete man jeden Augenblick darauf, dass gleich eine Stimme auf irgendwelche Gewinne hinweisen würde. Das Ausbleiben konnte man als Gnade ansehen. Was hätte die Stimme auch schon als Preis ausloben sollen: einen Kampfjet vielleicht?

Wählen Sie am Ende 01 für „Schuldig“ oder die 02 für „Nicht schuldig“. Beinahe Originalton. Da fehlte nur noch der Schnelldurchlauf. Dass dabei ein schales Gefühl blieb, ist verständlich, denn diese Pseudovolksabstimmung hätte es nicht gebraucht. Schirachs Stück verlangt zwar eine Abstimmung, aber die hätte auch ein Saalpublikum stellvertretend durchführen können. Es hätte weder dem Stück, noch dem ganzen Abend geschadet.

Terror - Abstimmung bei Hart aber fair© Screenshot Das Erste

Vielleicht wäre dann auch das nächste große Versagen der ARD ausgeblieben, denn nicht wenige Zuschauer beschwerten sich bei Twitter und Facebook lauthals, dass es ihnen nicht gelungen war, abzustimmen. Offenbar war der ein oder andere ARD-Server nicht für alle zu erreichen gewesen. Ist ja auch nur das Medium der jungen Menschen, dachte man sich wohl. Die Alten rufen halt lieber an. Da müssen wir online keine dollen Kapazitäten vorhalten. Die eingeblendete Webadresse DasErste.de/Terror bekam da einen ganz eigenen Zungenschlag.

Dass am Ende der Abstimmung die Mehrheit der Zuschauer den Piloten freisprechen würde, war absehbar, schließlich hatte sich schon bei den Theateraufführungen stets die Mehrzahl der Menschen entsprechend geäußert. Gegen die durchschnittlichen 60 Prozent im Theater fielen indes die 86,9 Prozent in der ARD erschreckend eindeutig aus. Knapp 87 Prozent jener, die trotz aller Widernisse am Telefon oder im Netz durchkamen, befürworteten also das Verhalten des Piloten, 164 Menschen zu opfern, um 70.000 zu retten, wogen also Leben gegen Leben ab, was das Grundgesetz und das darüber wachende Bundesverfassungsgericht eigentlich verbietet.

Genau in diesem Zwiespalt liegt natürlich der Reiz von Schirachs Stück. Es soll Diskussionen auslösen, es soll die Menschen bereit machen zur Auseinandersetzung über das Dilemma, es soll ihnen zeigen, dass jedem Argument ein anderes Argument gegenübersteht, dass Zuhören manchmal hilft, auch den eigenen Standpunkt zu überdenken, selbst wenn man ihn anfangs für bombenfest hielt, dass nicht gleich die Welt untergeht, wenn man erkennt, dass man im Unrecht war.

Leider kam dann, nachdem das Gericht das entsprechende Urteil gefällt hatte,  „Hart aber fair“. Dort saß immerhin Franz-Josef Jung, der einst Verteidigungsminister war, als das Bundesverfassungsgericht über solch einen angenommenen Fall zu entscheiden hatte. Jung machte deutlich, dass er den Piloten nicht mit seiner Entscheidung allein gelassen hätte, dass er vielmehr persönlich den Befehl zum Abschuss gegeben hätte. Gesetzeslage hin, Gesetzeslage her.

Als Gegenspieler für Jung hatte man Gerhart Baum installiert. Der einstige Bundesinnenminister stellte kluge Fragen und machte hörenswerte Einwände. So kritisierte er, dass die Anlage des Stücks und die Figur des Piloten (glänzend besetzt mit Florian David Fitz) geradezu den Freispruch herausfordert, was nicht durchweg von der Hand zu weisen ist. Baum kritisierte nicht nur die öffentliche Abstimmung der Fernsehzuschauer, sondern auch die ARD-Werbung, die Fitz als Sympathieträger zeigt. „Das ist Reklame für ‚Ja‘“, sagte Baum und warf Autor Schirach vor, das Publikum in die Irre geführt zu haben.

Leider erwies sich Baum bei all seinen klugen Einwürfen als wenig disziplinierter Diskutant und fand dabei in seinem Kollegen Jung einen würdigen Mitstreiter. Im üblichen Rechtehabegewitter der beiden gingen rasch die anderen beiden Diskussionsteilnehmer unter, ging eigentlich die ganze Diskussion baden.

Das hätte man eigentlich vorher wissen können, und so stellt sich die Frage, ob die reflexhafte Ansetzung von „Hart aber fair“ nach solch einem glänzenden Stück Fernsehen, die richtige Entscheidung war. Hätte man die Diskutanten nicht ebenso gut in einem sauber redaktionell betreuten Stück zu Worte kommen lassen können, nur eben ohne Gebrüll? Wäre das nicht möglicherweise dem ganzen Anliegen angemessener gewesen? Muss man alles vertalken? Kann nicht manchmal der Zuschauer einfach auch selbst weiterdenken? Zumal, wenn er von so einem glänzendem Stück wie dem Fernsehspiel angeregt wird?

So bleibt ein schaler Nachgeschmack. Die ARD hatte alles in der Hand. Einen packenden Fernsehfilm, tolle Zeitzeugen, aber sie hat es versiebt, weil sie in Routine erstarrt. Wieder mal. Hört das denn nie auf?