Mit "The Crown" geht auch Netflix endlich den Weg hin zu einer durch und durch britischen Serie und trifft vor allem mit dem Timing den Nagel auf den Kopf. In einer anglophilen Welt, die immer noch das Finale von "Downton Abbey" zu verkraften hat und bis nächstes Jahr auf die neue "Sherlock"-Staffel warten muss, bedient "The Crown" nämlich alleine schon durch das Setting so gut wie jedes Bedürfnis, das British-Lover in sich tragen. Dafür sorgt ein unfassbares Budget von über 120 Millionen Dollar für zehn Folgen – das macht pro Episode mehr Budget als beim Musikdrama "The Get Down", das erst vor ein paar Monaten zur bis dato teuersten Netflix-Produktion gekürt wurde. Selbst die letzte "Game of Thrones"-Staffel war dagegen verhältnismäßig günstig. "Es braucht diese Größe, es braucht all die Nebenrollen, es braucht ein überragendes Kostüm-Design", führte der ehemalige "Doctor Who" Matt Smith, der jetzt Prince Philipp verkörpert, kürzlich in einem Interview aus. "Es braucht all diese Wow-Momente."

Die Geschichte von "The Crown" gleicht einem Märchen: Eine junge Prinzessin heiratet den Mann ihrer Träume, bekommt wundervolle Kinder und wird mit 25 Jahren zur Königin von England ernannt. Doch die Geschichte von Queen Elizabeth II ist eben keine Fiktion, sondern basiert auf wahren Begebenheiten. Und da gab es für die immer noch lebende Königin kein frühes Happy End. Elizabeth, hier verkörpert von Claire Foy ("Wolf Hall"), muss nämlich zunächst mit dem Tod ihres Vaters King George VI (Jared Jarris, "Mad Men") zurecht kommen und mit ihrer neuen Rolle, ein ganzes Land zu regieren, in Einklang geraten. Sie ist eine eher zurückhaltende, beinahe schon schüchterne Person, die man vollkommen passend in der Rolle als behütende Mutter und liebende Ehefrau sieht, jedoch nicht als Staatsoberhaupt. 

Doch darum und um nichts anderes geht es in der ersten Staffel. Das zeigt alleine schon der Zeitsprung von Elizabeths und Prince Phillips Hochzeit im Jahr 1947 bis hin zur Thronbesteigung 1952. Die Geburten ihrer beiden Kinder Charles und Anne werden in der Serie ebenso ignoriert wie deren erste Lebensjahre. Nicht eine wichtige Szene wurde ihnen gewidmet, von Muttergefühlen weit und breit keine Spur. Selbst die Beziehung zu den Rennpferden und ihren kameradschaftlichen Corgi-Hunden wird herzlicher dargestellt. So sympathisch Claire Foy auch daherkommt, so sehr merkt man der Produktion an, dass Showrunner Peter Morgan an manchen Stellen echte Schwierigkeiten damit hatte, die Queen als menschliches Wesen darzustellen. Die Krone wiegt nunmal schwer. 

So stützt sich Morgan vor allem auf das große Ganze, wie dramatisch und dennoch anmutend schön es in der britischen Politik vor sich geht, wie gut erzogen und vor allem angezogen jedermann zu sein scheint. "The Crown" fühlt sich für Fans des britischen Fernsehens wie ein großes und extravagantes Geschenk an, von dem man bei jeder Folge eine neue Schicht abziehen darf. Fraglich ist jedoch, ob das Geschenk historisch korrekt verpackt wurde und ob mitunter nicht ein bisschen zu viel überschminkt wurde, um das Leben von Queen Elizabeth und Prince Phillipp durch und durch zu einer atemberaubenden Angelegenheit zu machen. Immerhin wird der Zuschauer jedoch so geschmeidig und detailiert mit auf die Reise durch die Köpfe der Beiden genommen, dass es größtenteils gar nicht schwer fällt, an den Wahrheitsgehalt der Erzählung zu glauben.

Empfohlener externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Youtube, der den Artikel ergänzt. Sie können sich den Inhalt anzeigen lassen. Dabei können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Weitere Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Doch so schick und luxuriös "The Crown" auch anmutet – hier ist nicht alles Gold, was glänzt. Das liegt daran, dass die Netflix-Produktion ganz bewusst nicht das neue "Downton Abbey" darstellt und nebensächliche Storystränge, wie sie sonst in jedem Drama vorkommen, gerne außen vorlässt, um sich konzentriert dem roten Faden zu widmen. Genau deswegen ist es empfehlenswert, "The Crown" nicht in die Binge-Watch-Liste zu packen. Man hat hier die Möglichkeit einen zehn-stündigen Film über Queen Elizabeths Welt zu sehen, der in kleinen Happen eine viel größere Wirkung entfaltet, als in einem schnellen Duchrattern.

Auf diese Weise kann so manche Episode gar als eigenständiges Werk betrachtet werden. Alleine die Momente, in denen Elizabeth heimlich einen Dozenten einstellt, um die Lücken im Bildungssystem zu schließen, oder die anekdotenreichen Auseinandersetzungen zwischen Winston Churchill (was für eine Performance: John Lithgow, "Dexter") und dem Maler Graham Sutherland (Stephen Dillane, "Game of Thrones"), der ein Portrait des 80-jährigen Prime Ministers anfertigen soll, könnten fantastische Einzelfilme darstellen. Inmitten der Serie kommt es sogar zu einen bedeutendem Kurzfilm über Elizabeths offizielle Krönung – ebenfalls weniger persönlich, dafür aber mit einem einzigartigen Blickwinkel aus Paris, von wo aus der ausgeladene Onkel David, Herzog von Windsor, seine Familie vor dem Fernsehen versammelt, um sich die Zeremonie anzuschauen.

Nachdem er einige schnippische Kommentare ablässt und Elizabeth als "Shirley Temple" bezeichnet, bewegt ihn die Zeremonie jedoch zutiefst: "Symbole über Symbole. Ein unfassbares Meer obskurer Mysterien und Liturgien. Verschleiert bleiben so viel Fäden, kein Kleriker oder Historiker oder Anwalt wird je einen davon entwirren", sagt er, woraufhin ihm einer seiner Gäste entgegnet: "Das ist verrückt!". Der Herzog gibt sich daraufhin betont tiefeentspannt: "Im Gegenteil. Es ist völlig vernünftig", sagt er und fragt: "Wer will schon Transparenz, wenn man dafür Magie haben kann? Wer will Prosa, wenn er Poesie haben kann? Lüfte den Schleier, und was bleibt übrig? Eine ganz normale junge Frau mit bescheidenen Fähigkeiten und wenig Fantasie. Aber in dieser Robe, gesalbt mit Öl und zack, was kommt dabei heraus? Eine Göttin." Treffende Worte, die ebenso "The Crown" zusammenfassen. 

Alle zehn Folgen der ersten Staffel von "The Crown" sind ab heute auf Netflix verfügbar