Programmpremieren zur Geisterstunde haben keinen guten Ruf. Und die meisten Moderatoren wären zutiefst beleidigt, wenn ein Sender ihre neue Show ausgerechnet dorthin schöbe, wo nur noch diejenigen zusehen, die zu erschöpft sind, einen Knopf auf der Fernbedienung zu drücken. Dem NDR ist aufgefallen, dass es sich dabei um die unhaltbare Diskriminierung einer bislang unterschätzten Publikumsgruppe handelt: den Schlaflosen. Deshalb ist der Sendeplatz der für sie gemachten neuen "Show vorm Einschlafen" (Freitag auf Samstag von 0.05 Uhr bis 0.50 Uhr) sozusagen eine inhaltliche Notwendigkeit.

"Gute Nacht!", ruft sie ihren Zuschauern folgerichtig schon im Titel zu und schickt ihren Moderator Wigald Boning im Joachim-Fuchsberger-Gedächtnisnachthemd, mit Schlafhaube und grünen Wuschelsocken auf die Bühne, um dort in einem Riesenbett Gäste zu betalken, die bereitwillig über die persönlichen Schlafgewohnheiten Auskunft geben oder Expertenwissen diffundieren.

"Man kann Schlaf aufholen, aber nicht vorschlafen", doziert NDR-Arzt Dr. Johannes Wimmer zum Auftakt, Schauspielerin Janin Ullmann gesteht, in ihren Träumen an einer Karriere als Juwelendiebin zu feilen, und Boning selbst erklärt: "Ich versuch ja immer von 10 bis 6." Klappt aber meistens nicht

Zwischendurch turnt der leidenschaftliche Formalist ("Darf ich Sie Siezen", fragt Boning den Doktor) durch Einspielfilme mit wechselnder Qualität: Einmal testet er, wie es sich in einem Kleinwagen übernachten lässt. Antwort: Nicht so gut. In der zweiten Episode versucht Boning sich in der kommenden Woche weitgehend pointenfrei als Matratzenverkäufer im Möbelhaus. Lustig ist hingegen das Zapping durch norddeutsche Schlafzimmer, das zugleich als dünnes Regionalitätsmäntelchen von "Gute Nacht!" herhalten muss.

"Inge sagt: nein!"

Einen Tag hat der Moderator mit Kamerateam an Haustüren geklingelt und darum gebeten, zur Inspektion der Nachtruhestätte eingelassen zu werden. "Hier ist Wigald Boning, der will in unser Schlafzimmer!", brüllt ein Hausherr in die Wohnung rein, wartet kurz die Antwort der Gattin ab und übersetzt dem prominenten Haustürbesuch anschließend: "Inge sagt: nein." Eine ganze Menge anderer Inges haben glücklicherweise ja gesagt und Boning sogar danieder liegen lassen, um anschließend die wichtigen Fragen zu stellen: Federkern oder Kaltschaum? Kalt- oder Warmschläfer? Wer hat das Bild mit dem traurigen Clown an die Wand gehängt? Das Ergebnis ist eine hervorragende Ergänzung der sonst hauptsächlich in RTL-Dokusoaps geleisteten Dokumentation deutscher Wohnzimmer-Einrichtungskompetenz (dem so genannten FTI = Fliesentisch-Index).

Die meiste Zeit wird allerdings im Studio verplaudert, dazu gibt's Yoga-Entspannungsübungen und Vorlesekostproben vom Einschlaf-Podcaster. (Schnarch.) Einen Originalitätspreis gewinnt "Gute Nacht!" damit schon mal nicht, zumal nach wenigen Minuten bereits alle vorausahnbaren Schlaf-Gags gemacht worden sind. (Die Gäste "stecken unter einer Decke", hihi, Boning lässt sich als "bettfertig" anmoderieren, hoho, usw.)

Gute Nacht! Die Show vorm Einschlafen© NDR

Aber das kann man der Show nur eingeschränkt anklei.. – ankreiden, besteht sie doch von sich aus darauf, ihr Publikum möglichst sanft und aufregungsfrei auf die bevorstehende Bettruhe vorbereiten zu wollen. Dafür ist es freilich eher kontraproduktiv, Schlagersänger Jürgen Drews in die Premiere geholt zu haben, der so ausführlich Auskunft über sein Zubettgehen gibt, dass man danach nur noch sehr schlecht die Augen zukriegt, weil all diese Bilder erstmal verarbeiten werden wollen.

Drews trägt nachts T-Shirt "und sonst nichts". Schlafanzug hat er gar nicht. Dafür immer zwei Skisocken übereinander, weil: Füße kalt. Bei Drews' zuhause gibt's drei Schlafzimmer. Mit Betten, die grundsätzlich 2,05 mal 2,25 Meter breit sind. Ihr Besitzer schnarcht, schläft getrennt ein von der Gattin und will bald mal ins Schlaflabor. Manchmal kriegt Drews nachts Häppchen von Ramona gemacht. Unterwegs hat er immer vier Schlafbrillen dabei. Und Ohropax. IMMER OHROPAX, hören Sie? Eigentlich aber lässt sich alles auf eine einzige Weisheit reduzieren. Drews: "Wenn ich morgens aufwache in meinem Alter frag ich mich erstmal: Ist noch alles dran?"

Rettung vorm Sekundenschlaf

Und dann krächzt er unter Bonings Flötenbegleitung "Ein Bett im Kornfeld" (Bett, Sie verstehen!), weil: leise singen hat Drews nie jemand beigebracht, und anders geht's nicht in einer "Show vorm Einschlafen", wenn schon das dämliche Publikum im nachthimmelblauen Hamburger Thalia-Theater ohne Rücksicht auf die Dezibel-Grenze klatscht.

Es gibt ein paar sehr schöne Momente in diesem Nighttalk, wenn Boning sich zum Beispiel ins Nichteinschlafendürfen hineinsteigert, das ihm (und uns) die moderne Leistungsgesellschaft abverlangt, und die Gruppe anschließend über ihre Taktiken diskutiert, den Sekundenschlaf beim Autofahren abzuwenden, während der Mediziner im Bett nebendran fast einen Herzinfarkt kriegt. (Nasenhaareausreißen soll helfen.) Die meiste Zeit ist "Gute Nacht!" aber tatsächlich das, was die Show sich vorgenommen hat: ein guter Anlass, ins Bett zu gehen. Möglicherweise sogar ein paar Minuten bevor Boning seine Gäste wie bei den "Waltons" einzeln süße Träume wünscht. Und mit der schönen Gewissheit, ganz bestimmt nichts Wichtiges verpasst zu haben.

"Gute Nacht! Die Show vorm Einschlafen", freitags ab 0.05 Uhr im NDR.