Fernsehsendungen über den Alltag von Hartz-IV-Empfängern treffen nun schon seit einiger Zeit den Nerv vieler Zuschauer. Vor allem RTL II erkannte diesen Trend und feierte jüngst mit diversen Formaten überraschende Quoten-Erfolge. Dass es RTL nun derart eilig hat, auf den Zug mitaufzuspringen, ist allerdings mindestens genauso überraschend. Ursprünglich für Ende des Monats angekündigt, ging der neue Hartz-IV-Themenabend des Senders bereits an diesem Dienstag erstmals an den Start – auf einem Sendeplatz also, der bislang vorwiegend mit fiktionalen Formaten bespielt worden ist.

RTL geht mit seiner Programmierung also durchaus ein Risiko ein. Doch es lohnt sich, den Neustarts eine Chance zu geben. Insbesondere das Format "Zahltag! Ein Koffer voller Chancen", das seinen Ursprung in Großbritannien hat und hierzulande nun als Zweistünder in der Primetime zu sehen ist, weiß zu überzeugen. Die Idee ist schnell erklärt: Mehrere Familien, die von Sozialhilfe leben, bekommen ihre kompletten Hartz-IV-Jahresbezüge in einem Koffer vor die Tür gestellt. Was sie damit machen, bleibt ihnen selbst überlassen. Von hoffnungsvollem Neustart mit hin zum hemmungslosen Scheitern ist somit alles möglich.

Schon die erste Folge, in deren Mittelpunkt gerade einmal zwei Familien stehen, zeigt die gesamte Spannbreite. Da wäre zunächst eine vierköpfige Familie aus Sachsen, deren Oberhaupt seiner Arbeit durch diverse Krankheiten nicht mehr nachgehen kann und nun mit dem unverhofften Geldsegen von rund 25.000 Euro einen Second-Hand-Laden für Kinderkleidung eröffnen will. Anstelle jedoch den Fokus auf das Geschäft zu legen, wird die Kohle mit vollen Händen ausgegeben. Die elf Cheeseburger, die es zur Feier des Tages im Drive-In gibt, sind dabei noch das geringste Problem.

Ein neues Wohnzimmer und diverse weitere Anschaffungen sorgen schließlich dafür, dass kaum zwei Wochen vergangen sind und schon die Hälfte des Geldes den Besitzer gewechselt hat. "Mehr Fluch als Segen" sei der plötzliche Reichtum, ist schnell von beiden zu hören – und die Experten, die das Treiben aus sicherer Entfernung betrachten, können nur noch die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. "Ich glaube, die haben das Experiment nicht verstanden", platzt es bereits nach einer guten Stunde aus einem von ihnen heraus.

Viel Geld, viele Sorgen

Die Experten, das sind der ehemaliger Bürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky, die frühere Hartz-IV-Empfängerin Ilka Bessin, die sich als Cindy aus Marzahn einen Namen machte, und Felix Thönnessen, der jungen Gründern unter die Arme greift. Schnell wird klar, dass RTL und die Produktionsfirma Endemol Shine Germany ein ziemlich geniales Trio für das neue Doku-Format ausgewählt hat. Die drei sind nämlich alles andere als homogen: Während Bessin und Thönnessen schon mal Verständnis dafür zeigen, wenn zur Feier des Tages mehr als nur ein Happy Meal bestellt wird, verdreht der Politiker sofort fassungslos die Augen.

Passend dazu steuert Buschkowsky trockene Kommentare bei: "Im Moment laufen die auf Marshmallows und sind im siebten Kartoffelhimmel", sagt er über die plötzliche Fast-Food-Aktion der Familie. Später klingt er beinahe verzweifelt: "Haste kein Geld, haste Sorgen. Haste viel Geld, haste noch viel mehr Sorgen." Tatsächlich scheint an diesem Satz etwas Wahres dran zu sein, denn im Laufe der beiden Stunden wird deutlich, dass die sächsische Familie nicht nur ein Problem mit dem Geldausgeben hat, sondern auch mit sich selbst. Und so endet die erste Folge damit, dass sich der Familienvater nach einem Streit im Auto einschließt und der vierjährige Sohnemann verwirrt in der Wohnung herumgeistert.

"Die Seele ist kaputt, das Herz ist kaputt, das Vertrauen ist kaputt", sagt die Mutter unter Tränen in die Kamera – und was nun mit dem geplanten Laden geschehen soll, bleibt völlig im Unklaren. Gewiss kein schlechter Cliffhanger für die Fortsetzung in der kommenden Woche.

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Dass es auch anders geht, zeigt die zweite Familie, die den "Koffer voller Chancen" von RTL frei Haus geliefert bekommt. Hier soll ein Imbisswagen den Weg zum Glück ebnen. Und anders als die Familie aus Sachsen macht die alleinerziehende Mutter mit ihren sechs Kindern von fünf verschiedenen Männern vom Angebot des Senders Gebrauch, den Rat der Experten einzuholen. Dass auch hier einiges im Argen liegt, offenbart Ilka Bessins Hausbesuch. Einigermaßen schockiert muss sie feststellen, dass Sauberkeit und Schulpflicht nicht sonderlich ernst genommen werden. "Heute schon mal an der frischen Luft gewesen, mein Lieber?", fragt sie einen der am Computer in sich versunkenen Söhne. Spätestens jetzt nimmt man sie endgültig nicht mehr als Cindy wahr.

Dass Bessin später mit einem seiner Brüder zum Sport geht, sorgt dann aber auch innerhalb des Experten-Trios für einen Streit. Heinz Buschkowskys mahnender Einwand, der Sohn solle doch besser zur Schule gehen, stößt nämlich auf wenig Verständnis. "Sorry, das kann man diesen jungen Menschen doch nicht vermitteln", schimpft er. "Das ist ein Schulschwänzer. Und wir reden das hier schön und sagen: Ach wie toll der sich in der Gruppe macht." Einmal in Rage, lässt sich Buschkowsky kaum noch noch einfangen. "Entschuldigung, dass ich auf der Welt bin", motzt er nach diversen Beschwichtigungsversuchen seiner Kollegen. Und Bessin seufzt: "Was wäre die Welt ohne Sie?"

"Zahltag! Ein Koffer voller Chancen" funktioniert also auf gleich mehreren Ebenen: Die Geschichten der Protagonisten sind gut erzählt und dürften vor dem Fernseher kaum einen Zuschauer kalt lassen. Gleichzeitig kommen die Experten gerade wegen ihrer oft unterschiedlichen Ansichten glaubhaft daher. Dass man nach dem offenen Ende der ersten Folge wissen möchte, wie es weitergeht, ist wohl das beste Anzeichen dafür, dass hier sehr viel richtig gemacht worden ist.

RTL zeigt "Zahltag! Ein Koffer voller Chancen" dienstags um 20:15 Uhr.