„Da ahnt man nichts Böses und schon ist man beim ZDF. Ist mir genauso gegangen“, begrüßt Steven Gätjen seinen ersten Überraschungsgast, der unter einem Vorwand in ein notdürftig zum Fernsehstudio umdekorierte Lagerhalle gelockt wurde, ohne zu wissen, was ihn dort erwartet. Und obwohl der Schlamassel damit eigentlich schon ganz gut auf den Punkt gebracht ist, fragt Dennis verdutzt nach: „Wo bin ich?“ – „Du bist im ZDF.“ Im Afterlife der deutschen Showunterhaltung.

Die war eigentlich gerade dabei, ihre kleine Renaissance zu genießen, nachdem sie sich für eine Sendung mit maskiert singenden Prominenten geistesgegenwärtig auf ihre größten Stärken besonnen hatte. Um diesen Erfolg der Konkurrenz nicht zu lange nachhallen zu lassen, versetzt man ihm in Mainz nun kurzerhand einen sanften Nackenschlag. Der heißt „Sorry für alles“, soll eine neue Dimension der versteckten Kamera liefern, ist aber eigentlich bloß ein scharf zusammengeschnittenes Best-of wohlbekannter Genre-Versatzstücke, gegen das „Verstehen Sie Spaß?“ mit Kurt und Paola Felix aus den 80ern geradezu progressiv wirkt.

Die vermeintliche Neuheit besteht darin, dass der Sender ahnungslose Normalo-Kandidatinnen bzw. Normalo-Kandidaten mit Hilfe ihres eingeweihten Umfelds über vier Wochen in mehr bzw. eher weniger kuriose Situationen lenkte, um ihre Reaktionen dort mit der versteckten Kamera zu filmen. Abschluss dieser Prozedur ist die Show, in die sie ahnungslos hineingeschoben werden, um Fragen zu den Fallen zu beantworten, in sie hineingelaufen sind, während die auf Klappstühlen positionierte erweiterte Verwandtschaft das im Studio grinsend beklatscht.

Im Gegenzug gibt’s Punkte, die nachher in Kaffee-Flatrates, Spielekonsolen und Traumreisen umgewandelt werden; wobei die Redaktion  schon dafür gesorgt hat, dass am Ende gewiss keiner ohne den Hauptpreis als Entschädigung herausgeht – was den Hereingelegten einerseits zu gönnen ist. Und andererseits jegliche Spannung von vornherein unterbindet.

„Das war so schlimm!“

Die wenig originellen Einspielfilmchen tun dazu ihr übriges. Dabei kann man im Sender noch froh sein, dass wenigstens das Kandidaten-Casting ganz gut geklappt hat. Denn Erst-Opfer und Buchhändler Dennis hat den Verantwortlichen zur Premiere den großen Gefallen getan, die von ihm durchgestandenen Pleiten, Pech und Pannen im Splitscreen so höflich zu kommentieren, wie man sich das als Überraschungsshow-Fernsehmacher für seine Sendung wünscht: „Das war so schlimm!“, „Es war so unglaublich!“, „Das gibt’s ja nicht!“

Um etwas mehr über sie zu erfahren, hat das ZDF seine Opfer zur Tarnung vorher absurderweise in ein fingiertes Fernseh-Casting geschickt – oder wie Gätjen meinte: „Gecastet für eine Sendung, die es gar nicht gibt; gelandet in einer Sendung, von der du nichts wusstest.“ (Gesendet in anderthalb Stunden, die man auch prima den Kanal mit der Kaminfeuerdauerschleife hätte gucken können.)

Und so hat sich Dennis von Promikoch Johann Lafer das Essen versalzen lassen dürfen, ist in der Fußgängerzone mit einem russischen Schlagerstar verwechselt worden und hat nicht bemerkt, wie Thomas Herrmanns in seiner Buchhandlung für zehneinhalb Sekunden Bücher signierte. Als Hobby-Gastredner wollte er eigentlich einen kleinen Menschen auf der Welt willkommen heißen; es hat ihm bloß niemand gesagt, dass er seine vorbereitete Rede eigentlich für ein kleines Kälbchen hielt. Schlimm? Nee. Witzig? Auch nicht.

Verliebt, verlobt, verraten

Eine Passage aus Dennis’ Rede (die, umfunktioniert zum Buch, nachher noch – haha – von Christine Westermann im „Literarischen Quartett“ kurzbesprochen wurde) lautete übrigens: „Im Leben ist es immer gut, Menschen um sich zu haben, die einem den Rücken stärken.“ Ja, im Gegensatz zu solchen, die einen ohne mit der Wimper zu zucken an eine dahergelaufene Fernsehredaktion verraten, bereitwillig jeden Sabotage-Stuss mitmachen – und einen im Zweifel anschließend auch noch heiraten wollen.

So wie bei Kandidatin Alisa, die in der zweiten Hälfte der Show sämtliche Gelegenheiten vorgeführt bekam, in denen ihr Verlobter kichernd mit dem TV-Team paktierte und „fast schon zur Redaktion“ gehörte, um seine Liebste sanft an der Nase herumzuführen. Im Aktzeichenkurs mit Penismodell, beim Entlarven eines Date-Schwindlers, und beim Brautkleidaussuchen, wo Alisa tausendmal die Antwort auf die Frage eingebimst bekam, die sie ein paar Wochen später im ZDF beantworten sollte. (Den Hochzeitsantrag hat der Verlobte fürs Fernsehen praktischerweise auch gleich mit gefilmt. Geht halt nichts über Prioritätensetzung.)

Später wurde Alisas Bruder von den Seychellen zugeschaltet, um auch noch eine Frage zu beantworten – und Gätjen musste sich arg zurückhalten, ja nicht anzudeuten, was ohnehin schon ziemlich klar war: dass der Hintergrund, vor dem der Bruder saß, verdächtig nach umdekorierter deutscher Fernsehstudiolagerhallenwand aussah. Selbstverständlich war der Bruder fürs gemeinsame Wiedersehen vorher eingeflogen worden, und ihre neugeborene Nichte hatte Alisa ein paar Tagen zuvor auch schon auf dem Arm, ohne es zu wissen. Versteckte Kamaraaa!

Schwer zu entschuldigen

Den ersten Platz im Wettbewerb zur Reanimation der weltältesten TV-Kniffe  hatte „Sorry für alles“ (Produktion: Warner Bros. Deutschland) da schon längst gewonnen (genau wie den um den dämlichsten Shownamen); und eigentlich war man als Zuschauer zu diesem Zeitpunkt nur noch froh, dass die dahin rinnenden Minuten der Vorabaufzeichnung eine Blitzverheiratung zum Showende unmöglich machten.

Ratlosigkeit blieb trotzdem: Darüber, wie man bei Deutschlands größtem TV-Sender ernsthaft annehmen kann, dass diese Aneinanderreihung überaufwändig vorbereiteter Egalheiten im Jahr 2019 als zeitgemäße Show-Unterhaltung taugen soll. Darüber, wie höflich Kandidatinnen und Kandidaten diese Spielchen immer noch auszuhalten bereit sind, anstatt allen Beteiligten den Vogel zu zeigen. Vor allem aber darüber, dass Steven Gätjen immer noch freiwillig zum ZDF zurückkehrt, wenn man ihn kurz mal weggelassen hat.

Natürlich kann man für all das „Sorry“ sagen. Aber vergeben muss man dem Sender den Unfug deswegen ja noch lange nicht: Entschuldigung abgelehnt!

Korrektur: Die Kandidatin hieß im Text zunächst „Alina“; richtig ist: Alisa. (Sorry für alles.)