Die Antwort des frei empfangbaren Fernsehens in einer Welt mit immer mehr Kanälen war in den vergangenen Jahren jedoch stets die mantra-artige Beschwörung der Bedeutung von Sendermarken. Sie würden herausstechen und Orientierung bieten. Die großen deutschen Privatsender - sie waren zu lange auf tragische Weise das Karstadt und Kaufhof der Bewegtbild-Welt. Bunte Gemischtwarenläden, die darauf vertrauten, dass ihre etablierten Marke ziehen und sich zu sehr mit Marken-Kosmetik beschäftigten statt die Angebote zu überdenken. Was zunehmend - und damit eben evolutionär - zu beobachten ist, beim Handel wie auch Fernsehen: Im Alltag spielt es für immer weniger Konsumenten eine Rolle, wer ihnen das gewünschte Produkt liefert.



Gewollt wird eine spezifische Ware. So kurios es klingen mag: Druckerpatronen unterscheiden sich da nicht sehr von gutem Fernsehen. Ich kann sie über den altbekannten Laden um die Ecke beziehen oder mir von Amazon frei Haus liefern lassen. Mögen Karstadt und Kaufhof früher noch regelrecht der Inbegriff fürs Einkaufen gewesen sein so wie RTL und Sat.1 Inbegriffe fürs Fernsehen waren, so stehen heute weniger die Anbieter als viel mehr die Produkte im Mittelpunkt. Wer nach gutem Fernsehen fragt, der wird keine Anbieter-Marken sondern Serien genannt bekommen. „House of Cards“, „Breaking Bad“, „Tatortreiniger“ oder „Pastewka“ sind gutes Fernsehen. Achtung, Binsenweisheit: Auf die Inhalte kommt es an. Geliefert, pardon, geguckt werden die aber längst über die verschiedensten Wege. Wer ein gerade begehrenswertes Produkt, ein neues Smartphone oder eine neue Serie haben will, vertraut doch längst nicht mehr auf den Laden/Sender um die Ecke - sondern sucht sich den, der liefern kann.

Selbstverständlich gilt das nicht immer: Gezappt wird im linearen Fernsehen auch weiterhin genauso wie in den Fußgängerzonen gebummelt wird. Doch das große Geld wird woanders verdient. Man kann versuchen diesen Kampf mit Marketing zu gewinnen, um in einem bestehenden Wettbewerb Marktanteile (zurück) zu gewinnen und mit Produkten zu punkten, die jedoch mittlerweile überall verfügbar sind. Oder man zieht eine logischere Konsequenz daraus: Nur wer selbst produziert oder produzieren lässt und damit begehrenswerte Inhalte schafft, steuert die positiven Effekte und kann allein davon profitieren. Inhalte anzubieten, die kein anderer anbieten kann - genau das macht Netflix so spannend. Nicht die schon lange vorher verfügbare Technik. In Deutschland produzieren die linearen Fernsehsender noch viel zu viel Fernsehen für die, die man noch erreicht und nicht für die, die man wieder erreichen könnte.

„Wenn ich mich berieseln lassen will, gehe ich unter die Dusche“ - so warb der kleine Spartensender ZDFneo vor fünf Jahren zum Sendestart. Ironischerweise ist der Sender heute weitgehend ein Berieselungsprogramm, das sich kaum von kleinen Privatsendern unterscheidet. Wie schön wäre es bloß, hätte der Sender einen so starken Strahl entwickelt, dass einen das Programm umhaut. Doch das deutsche Fernsehen war sich lange selbst genug. Der Wettbewerb von außen ist deshalb so erfrischend und scheint dafür zu sorgen, dass das deutsche Fernsehen langsam aufwacht. Aus den unterschiedlichsten Winkeln kommen in diesen Wochen Ankündigungen neuer Serienprojekte, die einen höheren Anspruch haben als einfach Sendeplätze zu füllen und Bügelbegleitung zu liefern. Natürlich lässt sich noch nicht bewerten, ob die hohen Erwartungen erfüllt werden können.

Aber überhaupt einmal wieder Erwartungen ans deutsche Fernsehen zu haben - das ist schon einmal was. So manches Serienprojekt, das in den letzten Tagen angekündigt wurde, löst ja regelrecht Vorfreude aus. Wie ungewohnt! Wie erfreulich! Daraus lässt sich schließlich auch für die Sender Kapital schlagen. Fiktionale Produktionen sind werthaltiger als non-fiktionales Unterhaltungsfernsehen, das sich günstig aber auch schnell versendet. Erfolgreiche fiktionale Produktionen können Zuschauerbindungen über Jahre erzeugen. Kein Wunder dass nicht nur inzwischen beinahe jeder US-Kabelsender die Fiktion für sich entdeckt hat, sondern als Folge dessen die Vielzahl an Produktionen aus aller Welt die MIPCOM in Cannes geflutet hat. Die Botschaft an der französischen Mittelmeerküste war eindeutig: Begehrenswert sind derzeit die fiktionalen Produktionen.

Nie war diese Erkenntnis, dieser Trend so stark und eindeutig wie bei dieser MIPCOM. Nach mehr als einem Jahrzehnt, in dem Formatfernsehen insbesondere durch Casting- und Competitionshows dominierte, sind es derzeit Geschichten, die gefragt sind. ARD, ZDF, RTL, Vox, Sky, TNT Serie - mehrere Sender haben inzwischen fiktionale Prestige-Projekte in der Pipeline. Endlich reagiert Deutschland auf diese Entwicklung - die Produzenten aus einer hoffnungsvollen Position zunehmender Stärke, die Sender aus einer Position der dringenden Notwendigkeit angesichts des verschärften Wettbewerbs. Es ist dieser sicherlich subtile Unterschied, der aufhorchen lässt.