Herr Jürgens, in diesen Tagen treffen sich wieder viele in Cannes: Wie gehts der Branche Ihrer Meinung nach?
Nun, YouTube ist Hauptpartner der diesjährigen MIPCOM - und das spiegelt eine Entwicklung im Markt.
Welche?
Geschäftsmodelle funktionieren nur, wenn man sie vom Konsumenten her denkt und wir sehen einen großen Gap in der Mediennutzung zwischen den Generationen, wenn wir uns das lineare Fernsehen anschauen - nochmal unterschieden zwischen Öffentlich-Rechtlich und den Privaten - und den Zielgruppen von TikTok oder eben YouTube. Gerade YouTube hat für eine junge Zielgruppe beim Navigieren durch die Vielfalt von Inhalten das ersetzt, was für andere Generationen die Senderliste auf dem Fernseher ist.
Aggregation und Distribution rücken in den Mittelpunkt?
Es gibt Sorgen und Unsicherheiten im Markt angesichts neuer Verwertungsketten und Distributionsmöglichkeiten einerseits und der Frage, welche Inhalte künftig wie und von wem produziert werden, andererseits. Das bringt auch Chancen mit sich, aber Veränderungen brauchen die Bereitschaft, sich zu bewegen. Die größeren Produktionsunternehmen, die einen größeren Apparat zu verteidigen haben, tun sich in der Regel ein bisschen schwerer. Denen stehen viele neue kleinere Unternehmen gegenüber, die weniger zu verlieren haben. Sie sind auch meist jünger. Da fließen Themen wie KI, Games und Community Building schneller und offener ein.
Das klingt besorgt.
Ja und nein, wir sollten den Optimismus bewahren. Auch wenn der Haushalt noch nicht steht, hat der Kulturstaatsminister Wolfram Weimer eine neue Förderung auf den Weg gebracht. Dass es erst einmal kein Tax Incentive Modell geben wird, sollten wir jetzt nicht zu lange betrauern. Wir sind mit politischer Rückendeckung wieder ein Markt, mit dem man rechnen kann, allerdings ist bei der langfristigen Verlässlichkeit noch Luft nach oben! Trotzdem möchte ich einen Appell sowohl an ausländische, vor allem aber auch an unsere einheimischen Produzenten richten: Produziert in Deutschland, ihr habt die Stärkung des Standorts und der Infrastruktur selbst in der Hand! Und wir als Länderförderer sind weiter ein verlässlicher Partner und unterstützen die Produktionen in der Region.
Wenn sich wieder Kreative und Produzenten aus aller Welt treffen: Was ist in dem Wettbewerb eigentlich die deutsche Qualität?
Wir sind zunächst einmal ein sehr großer Absatzmarkt für Inhalte mit großen Konsumentenschichten in vielen Zielgruppen, die noch dazu zahlungsbereit sind für gute Inhalte. Wir sind aber auch in der Kreation ein Markt mit großer Tradition im Erzählen von Geschichten, im Kino wie Fernsehen - mit einem starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der in stürmischen Zeiten wertvoll ist. Zur Größe und Qualität kommt gerade in diesen Zeiten aber noch ein drittes Argument für uns: Wir haben ein stabiles demokratisches System. Wir haben Medien, die frei sind, alle Geschichten zu erzählen, die sie erzählen wollen und gemeinsam eine Offenheit für Diversität und Inklusion. Keine Stadt repräsentiert das so gut wie Berlin. Und in der Branche gibt es ein unverändertes Commitment zum Umweltschutz, also Green Producing. Wir pflegen also mit Überzeugung Werte, die Räume und Perspektiven eröffnen.
Kann die Region Berlin davon profitieren?
Berlin ist für Kreative aus aller Welt ein attraktiver Magnet, der den Standort personell extrem divers und einzigartig macht. Aber für die Location allein kommt im stärker gewordenen Wettbewerb der Produktionsstandorte keiner nach Berlin oder Brandenburg. Da muss man mehr bieten und das tun wir. Seit mehr als 15 Jahren hat das Medienboard neben der klassischen Filmförderung die New-Media-Förderung etabliert. Wir betrachten Berlin-Brandenburg als interdisziplinären Standort, der mit diversen Förderinstrumenten die Audiovisual Creative Industries - von Games bis Film - pusht. Hier liegt die große Stärke der Region: eine riesige Vielfalt an Formaten und Genres, geballte Kreativität und Qualität und damit enormes wirtschaftliches Potenzial mit vermehrt auch internationaler Ausrichtung. Von der digitalen Film-Produktion in Brandenburg hat zuletzt zum Beispiel „Call my Agent Berlin“ für Disney+ profitiert. Das Set in Babelsberg konnte mit Virtual Production erweitert werden. Unsere Förderung ist gezielt breit aufgestellt, mit Erfolg: Bei den seriellen Formaten im New-Media-Bereich können wir Streaming- und Doku-Hits wie „German Cocaine Cowboy“ oder „The Wagner Brothers“, Daily Soaps mit Wirtschaftseffekt wie „Die Spreewaldklinik“ und „Ein Hof zum Verlieben“ bis hin zu Nachwuchs-Produktionen wie „Softies“ oder „Angemessen Angry“ verzeichnen. Darunter viele Preisträger, zuletzt wurden 5 MBB-geförderte Serien beim Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet, u.a. „German Cocaine Cowboy“. Auch mit der Nachwuchsförderung haben wir früh begonnen, immer ermutigend in neuen Wegen und digitalen Ansätzen in Stoffentwicklung und Produktion zu denken. Wir haben hier unsere Kooperation mit der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf, aus der zukunftsweisende Formate hervorgehen. Das Potsdamer Studio arcanum pictures experimentiert erfolgreich mit Virtual Production und gilt mittlerweile als absoluter Experte für neue Konzepte in Story Development und Produktion. Wir sehen uns sehr gut aufgestellt als Standort.
„Neu denken“ gilt ab 2026 auch für Förderentscheidungen des Medienboard Berlin-Brandenburg…
Es war an der Zeit eine größere Teilhabe zuzulassen und die Entscheidungen auf mehr Schultern zu verteilen, die noch dazu unterschiedliche Expertise einbringen können. Das ist eine Entwicklung mit wichtiger Außenwirkung. Als meine wunderbare Co-Geschäftsführerin Sarah Duve-Schmid angefangen hat, war es unsere erste gemeinsame Aufgabe, ein Gremien-basiertes Fördermodell zu entwickeln, wobei sie ihre langjährige Erfahrung aus der FFA eingebracht hat. Ab 2026 entscheidet beim Medienboard also ein Gremium über die Förderanträge, dem auch die Medienboard-Geschäftsführung angehört. Ich bin begeistert, dass wir in beiden Bereichen - der Filmförderung und der New-Media-Förderung - nun mit so tollen Leuten zusammenarbeiten. Für die New-Media-Förderung war es wichtig, dass unser Gremium-Pool interdisziplinär aufgestellt ist, so haben wir zum Beispiel Serien-Expertise aus Sendersicht gemischt mit Games- und XR-Expertise sowie Know-How aus dem Hochschulbereich.
Gibt es Bereiche in denen Sie sich als Förderer mehr Impulse und Initiativen wünschen würden?
Das würde auf jeden Fall auf XR/VR zutreffen, wo wir den prognostizierten Wachstumszahlen noch deutlich hinterherhinken, was aber auch auf die monopolistischen Hersteller zurückzuführen ist. Wenn wir jetzt mal die Oculus von Meta nehmen, dann wurde da sehr oft die Strategie geändert. Es gab zwischenzeitlich großes Interesse an einer Förderung von Inhalten, dann wieder eine Kehrtwende. Apples VisionPro ist da, aber auch noch nicht im Massenmarkt angekommen. Da würde ich mir wünschen, dass diese tolle Technologie intensiver genutzt und bespielt wird. Da sehe ich enormes kreatives Potential für Storytelling, aber es braucht einfach mehr Geräte und vermarktbare Inhalte im Markt. Derzeit scheint mir aber der Fokus bei Meta eher auf Augmented Reality-Produkten wie den vorgestellten RayBan-Brillen zu liegen. Das ist aber natürlich etwas Anderes.
"Wir sollten nicht unterschlagen, dass es weiterhin einen Markt für Highend-Unterhaltung gibt, die nicht selbstfinanziert entsteht und zwischendurch konsumiert wird."
Zehn Jahre nach der Euphorie über den Einstieg der Streamer in die Auftragsproduktion in Deutschland: Was ist übrig vom Golden Age of Television?
Das ist schwer zu sagen. Ich glaube es gibt nach wie vor noch Gold zu finden, aber man muss es zusammenkratzen. Es gibt nicht mehr den einen, der einem den ganz großen Schatz verspricht. Das war ja damals die Erwartung aus der Produzentenlandschaft als die Streamer nach Deutschland kamen. Aber diesen Goldschatz gab es nie. Heute macht es mehr Arbeit, das nötige Gold zusammenzubekommen. Wir reden von neuen Koproduktionsmodellen, Verwertungsfenstern und Partnerschaften. Die Finanzierung ist heute seltener die Frage einer einzelnen Zusage, als vielmehr die eines komplexen Baukastens. Kreativität kommt nicht mehr ohne unternehmerisches Denken aus.
„Sharing is the new owning“ ist eins der Schlagworte derzeit.
Definitiv. Und dabei ändern sich Anbieter und Nachfrage inzwischen so schnell, oft damit auch die handelnden und verantwortlichen Personen, dass Events wie der German MIP Cocktail in Cannes oder auch gerade letzten Monat Seriesly Berlin und die MediaTech Hub Conference in Potsdam wertvolle Gelegenheiten zum Austausch sind. Hier können die immer elementarer gewordenen Partnerschaften angestoßen und gepflegt werden. Wir fördern gezielt interdisziplinär gedachte Konferenzen, um Themen zu besprechen, die uns bei dieser Transformation beschäftigen - etwa KI oder eben die komplexer gewordene Frage nach der Zusammenstellung einer Finanzierung. Der Preisdruck im Markt bleibt uns erhalten. Ich sehe bei den Öffentlich-Rechtlichen wie auch den Privaten nicht viele Spielräume, einmal aufgrund der unsicheren Situation beim Rundfunkbeitrag sowie den schwierigen Rahmenbedingungen für kommerzielle Anbieter. All das führt dazu, dass es großen Bedarf zum Austausch und entsprechenden Veranstaltungen gibt.
„Creator Economy“ ist das Schlagwort dieser MIPCOM. Manch einer nutzt es zur Unterscheidung zwischen den neuen Kreativen und dem Establishment der Branche…
Ich glaube, dass sich die Kreativen hinter einer erfolgreichen Serie wie „Krank Berlin“ ebenso als Creator, also Schöpfer, bezeichnen würden wie das Team hinter dem TikTok-Kanal „Der korrekte Diener“. Wir sollten bei aller Begeisterung für YouTube und neue Formen von Unterhaltung, etwa für Instagram oder TikTok, nicht unterschlagen, dass es weiterhin einen Markt für Highend-Unterhaltung gibt, die nicht selbstfinanziert entsteht und zwischendurch konsumiert wird. Alle Inhalte kämpfen um das gleiche immer härter umkämpfte Zeitbudget der Aufmerksamkeit, aber sie ersetzen sich nicht. Es gibt also keinen Grund, pessimistisch zu sein.
Herr Jürgens, herzlichen Dank für das Gespräch.