„Ich kann diese Stoffe nicht mehr sehen, in denen es keine zwei Minuten dauert bis eine tote Frau am Strand liegt“, sagt Annette Hess beim Q&A nach der Weltpremiere von „Ku’damm 77“ im Grand Auditorium des Palais des Festivals in Cannes. Drama statt Thriller liegt ihr, noch dazu der Wunsch eine Bandbreite an Frauen-Figuren zu erzählen, die über die tragische Leiche hinaus geht. Lebend lässt sich dann doch mehr erzählen als tot. „Frauen in den 50er Jahren waren wohl die am meisten unterdrückte Gruppe in Berlin“, sagte Hess über die Entstehungsgeschichte der Saga. Mit bereits drei „Ku’damm“-Staffeln hat sie ihre Figurenzeichnung erfolgreich und preisgekrönt bewiesen.
Dabei verknüpft Hess klassische Familiensaga mit einem gar nicht so klassischen Period Drama: Denn obgleich das deutsche Fernsehen sich wahrlich oft mit deutscher Geschichte beschäftigt, sind sonst oft historische Ereignisse im Mittelpunkt, nicht der Alltag einer Familie wie den Schöllacks und ihrer Tanzschule Galant. Die vierte Staffel, so viel verrieten Showrunnerin Annette Hess und ihr Regisseur Maurice Hübner bereits beim diesjährigen Seriencamp in Köln, werde anders ausfallen. Im Palais des Festivals macht Hess noch einmal sehr deutlich: Ein einfaches „Weitererzählen“ der Figuren, ist ihr nicht Antrieb genug.
Deshalb wurde ein erster Entwurf für die vierte Staffel überworfen - und mit Hübner zusammen dann die kleine Revolution geplant. Die Weltpremiere von „Ku’damm 77“ enthüllte am Dienstagabend dann endlich, was Hess und Hübner gemeinsam realisiert haben: Ein einerseits vertrautes Wiedersehen mit Familie Schöllack, das ergänzt wird durch eine neue Perspektive. Für eine Dokumentation über Familienunternehmen am Ku’damm werden die Schöllacks in der Serienerzählung von einer Dokumentarfilmerin begleitet. Immer wieder wird „Ku’damm 77“ über ihr gedrehtes Material erzählt.
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Ein smarter Kniff, der maßgeblich dazu beigetragen hat, dass in Cannes neben anhaltendem Applaus viel Lob und Vorfreude unter den Besucherinnen und Besuchern der Premiere zu vernehmen war. Die Idee schafft eine Ebene der Kommentierung des Geschehenen innerhalb der Serienerzählung, welche insbesondere hilft, Generationenkonflikte zu reflektieren - und davon gibt es mehr denn je. „Ku’damm 77“ ist komplexer geworden: Mit gleich drei erwachsenen Generationen unter einem Dach ergeben sich neue Dynamiken, wenn Töchter zu Müttern werden und gleichzeitig gesellschaftliche Konventionen noch stärker im Wandel sind als während der erzählten Zeiten der ersten drei Staffeln.
Auch für Produzent Marc Lepetit und Markus Schäfer, als Geschäftsführer von ZDF Studios für den internationalen Vertrieb verantwortlich, ein ganz besonderes Projekt. Schäfer eröffnete die Weltpremiere im Palais des Festivals, mit der man in Cannes für den internationalen Verkauf der neuen Staffel trommeln wollte. Die bisherigen drei Staffeln der Story haben sich international gut verkauft, konkret in 30 Ländern auf vier Kontinenten. Die Premiere der ersten Episode lässt wenig Zweifel, dass das auch mit der Fortsetzung gelingen kann, die auch noch zeitgeistiger geworden ist als sich die Crew hätte träumen lassen, so Produzent Lepetit.
Schließlich erzählt man West- und Ost-Berlin Ende der 70er Jahre. Eine Zeit in der Vorstellungen von gesellschaftlicher Freiheit, Toleranz und Inklusion neu definiert wurden. Mit dieser Serie jetzt in eine Zeit zu platzen, in der von Donald Trump bis Osteuropa oder auch Italien gesellschaftliche Errungenschaften zurückgedreht werden, macht sie nebenbei politischer als geplant. Ein bisschen dauert es allerdings noch bis auch Fans der Serie und alle, die nach der Weltpremiere in Cannes angefixt sind, reinschauen können: Ab dem 30. Dezember ist „Ku’damm 77“ zunächst in der ZDF-App verfügbar, läuft linear dann am 12., 13. und 14. Januar in Doppelfolgen im ZDF.