Eine Fernsehmesse wie die MIPTV rückt diese Entwicklung für wenige Tage wieder gerade. Beim Klassenausflug der Fernsehverantwortlichen an die französische Mittelmeer-Küste lässt sich erleben, wie das aufblüht, was sonst dem Kostendruck oder Rendite-Erwartungen untergeordnet ist: Die Lust auf neue Ideen. Auch wenn nichts so gefragt ist wie neue Serienware, wird natürlich in allen Genres nach dem nächsten großen Ding oder mindestens Nachschub zur Überbrückung gesucht. Noch vor einem halben Jahr erschien beispielsweise „Rising Star“ als Hoffnungsträger für alle, die nach lebensverlängernden Maßnahmen für das Casting-Genre suchten. Die Show-Idee aus Israel wurde im Handumdrehen zum gefragten Hit der letzten TV-Messe in Cannes.



Doch diesmal hagelt es Kritik. Bis zu diesem Wochenende gab es - trotz zahlreicher Verkäufe in Fernsehmärkte rund um den Globus - einzig und allein die israelische Umsetzung. Jetzt zieht Brasilien als erste Adaption nach. Der große Hype um ein Format, dass den Erfolg außerhalb Israels noch schuldig ist, zeigt für Gary Carter, Chairman Northern Europe bei der Shine Group eins: „Uns scheinen Zeiten bevorzustehen, in denen Sales und Marketing von Formaten mehr Strategie, mehr Marketingerfahrung und mehr Geld benötigen als derzeit. Möglicherweise reden wir von mehr Geld als kleine Produktionsfirmen ausgeben können.“ Auch „Utopia“ von John de Mols Talpa sei ein Format, das sich mehr über das Marketing als die Performance verkauft, ergänzte er bei einer Keynote in Cannes.

Natürlich spricht da auch eine nachvollziehbare Portion Neid eine Rolle. Die vergleichsweise kleine israelische Firma Keshet mischt den weltweiten Format-Markt auf - da kann auch der Casting-Produzent Nr.1 weltweit, FremantleMedia, nicht einfach nur still zugucken. Auch Rob Clark, Director of Global Entertainment Development, hielt noch vor Beginn der MIPTV nicht mit seiner Meinung hinterm Berg. „Es ist eine Show, die sehr gut vermarktet und verkauft wurde, aber sie muss noch beweisen, dass sie auch in einem größeren Markt funktioniert. Das ist noch kein Hitformat. Wenn es bei ABC in den USA 15 oder 20 Millionen Zuschauer erreicht, dann sprechen wir von einem Hit. Aber wenn das nicht gelingt, ist es kein Hit. Punkt.“

Fündig werden könnten deutsche Sender in Cannes eher bei der ein oder anderen Inspiration für das Tagesprogramm. Hier suchen öffentlich-rechtliche wie private Sender seit Jahren nach funktionierenden Genres. Charmant wirkt beispielsweise die kleine aber amüsante Hunde-Spielshow „Superstar Dogs“ (im Vertrieb von BBC Worldwide). Während es in dieser Größenordnung in den nächsten Tagen sicher noch weitere feine, kleine TV-Ideen zu entdecken gibt, bleibt hinter dem auserkorenen Hit „Rising Star“ vorerst noch ein Fragezeichen. Musik steckt dafür in fiktionalen Programmen, in die das ZDF ohne „Wetten, dass..?“ - aber natürlich nicht nur die Mainzer - jetzt mehr Geld investieren sollten. Damit das „New Golden Age of Television“ auch bei uns ankommt. Dafür brauchen wir kein Netflix, sondern gute Produktionen. Weil am Ende nicht die Technik über gutes Fernsehen entscheidet, sondern eine gute Geschichte.