Luzern ist nicht immer eine schöne Stadt. Es gibt oft diese Tage, an denen der Nebel über den Häusern hängt wie ein abgerutschter Himmel. Er streift die Dächer und erzeugt das beklemmende Gefühl, ihn einatmen zu müssen. Dann nützen weder das Plätschern des Vierwaldstätter Sees noch die romantische Kapellbrücke zur Launenanhebung, dann atmet alles große Tristesse. Genau vor dieser Kulisse spielt der neue „Tatort“ aus der Schweiz.

Eine 14-Jährige wird aufgefunden. Erschlagen. Schwanger. In ihren Schulunterlagen findet sich ein Prospekt über Hilfe bei sexuellem Missbrauch. Sie lebte in einer Familie, die dominiert wird von einem freikirchlichen Prediger. Er hat die Mutter herausgeholt aus dem Drogen- und Suchtsumpf, in dem der querulantische Vater immer noch steckt. Der Preis für die Rettung ist die Unterwerfung unter die Disziplin des Glaubens.

 

Reto Flückiger muss diesen Fall klären. Zuletzt sah man ihn vor ein paar Wochen, als er der Bodensee-Trutsche Klara Blum beim Lösen eines Falls in einer Schönheitsklinik half. Er küsste die Trutsche und kündigte am Schluss an, er werde fortgehen. Nun ist er in Luzern gelandet als Fachgruppenchef Leib und Leben.

Es ist ein bedrückender „Tatort“. Nicht nur wegen des Nebels. Der symbolisiert nur diese allgegenwärtige Bedrohung, dass das Böse nie so ganz weit weg ist und dass man aufgrund des vielen Graus auch schon mal auf sehr abwegige Ideen kommen kann. Es ist auch ein „Tatort“ der etwas anderen Sorte. Vergeblich wartet man auf flotte Sprüche.

Flotte Sprüche sind Flückigers Art nicht. Eher das Schweigen. Es wird viel geschwiegen in diesem Film. So dehnen sich Dialoge, so verdeutlicht sich die angespannte Atmosphäre. Zwischendurch ist einfach nur mal Stille. Sie wird unterstrichen von einem sehr feinen Soundtrack, der den Nebel quasi hörbar macht. Das hat durchaus was von der großen Kunst eines Angelo Badalamenti, der ja bekanntlich viel für David Lynch komponiert hat. Und zwangsläufig landet man über diese Assoziationsbrücke auch bei der Serie „Twin Peaks“. Auch da ging es um den Mord an einer Heranwachsenden, auch dort präsentierten sich die Beteiligten als eigenartig verschlossene Gemeinschaft. Nur ist Kommissar Flückiger nicht so aggressiv gut gelaunt wie Agent Dale Cooper. 

Dafür sind die Landschaftsbilder mindestens so groß wie bei „Twin Peaks“. Wolken ziehen da eilig ihre Bahn, und der Nebel hüllt alles ein, auch das, was nicht eingehüllt werden mag. Da wirkt es doppelt, wenn plötzlich mal jemand explodiert. „Alles ist passiert. Ich bin passiert“, brüllt der Querulant irgendwann, und es hallt förmlich von den Nebelwänden zurück. Dann ist wieder Stille. Eine große Stille.

Leider hält dieser „Tatort“ seine Qualität nicht durch. Wenn gegen Ende die Dinge klarer werden, lichtet sich auch der Nebel. Dann hat Flückiger plötzlich Sonne im Gesicht, was nicht passt, weil ja dieser leicht depressive Grundton, der so oft an die Melancholie diverser Schwedenkrimis gemahnt, zu diesem Mann gehört. Da wird dann auch deutlich, dass seine demonstrativ vorgetragene Religionsfeindlichkeit aus der Holzschnittwerkstatt stammt. So etwas kennt man von den Kölner Kommissaren, für so etwas sollte sich die Schweiz zu fein sein. 

Allerdings trüben die beiden Ausreißer das Gesamtbild nur wenig. Es bleibt die Stille in Erinnerung, es sind die langen Momente, in denen niemand etwas sagt, die diesen „Tatort“ zu einem sehr besonderen machen. Sehenswert.