Weil am Sonntag Wahl ist, brauchen die ARD-Zuschauer keinen frischen „Tatort“. Und in der Zeit danach auch nicht. Sommerpause. Wiederholungszeit. Irgendwie so lautet wohl die Logik der Programmplanung fürs Erste. Also wird wiederholt. Nicht einmal etwas längst Vergessenes. Nein, das könnte ja auf irgendeinen Mehrwert für den Zuschauer hinauslaufen. Es wird ein „Tatort“ wiederholt, der am 14. April 2013 zum ersten Mal lief (9,04 Millionen Zuschauer, 25,6 Prozent Marktanteil), also vor 13 Monaten und ein paar Tagen. Und weil der durchschnittliche ARD-Zuschauer ganz offenbar als leicht dement eingeschätzt wird, gab es am 1. Februar 2014 noch eine Wiederholung im HR. Wenn man dem öffentlich-rechtlichen System wohl will, dann kann man jetzt von einem sorgsamen Umgang mit Beitragsgeldern sprechen. Aber nur dann.

Zum Glück ist es ein guter „Tatort“, der da wiederholt wird. Nicht solch ein Schrott, wie er mit der Bremer Wiederholung am Ostersonntag zelebriert wurde. Es ist ein Król/Kunzendorf-„Tatort“, und die waren fast alle herausragend. Dieser mit dem Titel „Wer das Schweigen bricht“ war vielleicht sogar der beste.

Ein junger Mann ist im Gefängnis zu Tode gekommen, nach ausgiebiger Folter inklusive dem Ziehen von zehn Zehennägeln. Natürlich schweigen alle, die was wissen könnten, und die, die was wissen, wissen nicht genug. Es beginnt ein Klein-Klein der Ermittlungsarbeit. Kommissar Steier (Joachim Król) und seine Kollegin Conny Mey (Nina Kunzendorf) haben zu tun.

Allerdings haben sie beinahe mehr zu tun mit sich als mit dem Fall. Mey hat sich wegbeworben, als Dozentin an die Polizeischule will sie, an eine Stelle also, wo ihr frisches naives Gemüt, mit dem sie im Polizeidienst, vor allem bei Steier, so oft aneckt, von Vorteil sein könnte.

Der Titel mit dem Schweigen kommt nicht von ungefähr. Regisseur Edward Berger traut sich nämlich etwas, das man im deutschen Fernsehen nicht allzu oft hört: nichts. Sekundenlang ist einfach nur nichts zu hören, wenn die Kamera auf die Kommissare hält. Man kann ihnen dadurch förmlich beim Denken zuschauen, kann spüren, wie sie zaudern, wie sie zweifeln, wie sie unsicher sind. Da ist kein atemloses Von-Szene-zu-Szene-Eilen, da ist Ruhe. Allenfalls hört man ein leichtes Klicken im Hintergrund. Eine tickende Uhr oder ein tropfender Wasserhahn?

Dazu kommen die von Lars Kraume exzellent auf den Punkt geschriebenen Dialoge. Besonders in Erinnerung bleibt einer, in dem Mey ihrem Kollegen Steier erklärt, warum sie von ihm weg will. „Ich glaube daran, dass man die Welt verbessern kann. Das haben wir doch gemeinsam“, erklärt sie dem verdutzt dreinschauenden Kollegen. Und dass sie sich doch schon eine Weile kennen.

Dann wendet sich die Kamera Steier zu, und wenn es ein 08/15-„Tatort“ wäre, käme nun ein väterliches Das-wird-schon-Kindchen von dem alten Kriminalhasen. Kommt aber nicht. „Sehen Sie, Frau Mey, das stimmt“, sagt Steier, „wir kennen uns schon eine ganze Weile.“ Guter Ansatz, der jetzt in der ARD-Logik zwingend folgende Schmus kann jetzt die ausgelegte Schleimspur entlang gleiten.

Kann er nicht, denn Steier setzt unmittelbar zu einem Ausbruch an, gegen den das, was der Vesuv damals mit Pompeii anstellte, ein feuchter Kehricht war: „Ne größere Scheiße haben Sie noch nie von sich gegeben.“ Sagt’s und geht. Mey bleibt zurück, und nach einer Atempause, haucht sie ein schüchternes „Arschloch“.

Aus dem Holze sind Szenen, die die Ewigkeit überdauern. An die wird man sich noch in 50 Jahren erinnern, wenn die Trauer, dass dieses TV-Pärchen nicht mehr gemeinsam Dienst schiebt, längst verflogen ist.

Doch vorerst füttert diese Wiederholung die Trauer. Da hilft es nichts, dass Steier sich später entschuldigen will und etwas faselt von „Zwei wie Pech und Unglück“. Der Zug ist abgefahren, da helfen auch Steiers letzte Blicke auf den von Mey zurückgelassenen Blumenstrauß nicht mehr. „Mädchengemüse“, sagt er leise. Und dann ist Schluss. Ganz großes Kino.