„Können Sie mich verstehen“, lautet die Frage, die kurz vor Schluss an die Kommissarin Inga Lürsen gestellt wird. Können Sie mich verstehen? Ehrlich gesagt fällt die Antwort nach diesen 90 Minuten sehr schwer, denn einerseits birgt das Vorangegangene eine gewisse Logik, andererseits sträubt sich so ziemlich alles, dieser zu folgen. Es schwebt eine große Tragik im Raum. Tragik in dem Sinne, dass jemand sich schuldlos schuldig gemacht hat, dass alle Versuche, dieses Problem zu lösen nur noch weiter ins Elend führen.

Der „Tatort“ mit dem Titel „Die Wiederkehr“ beginnt mit einem Rückblick ins Jahr 2005. Damals verschwand die siebenjährige Fiona, und Inga Lürsen hatte den Vater in Verdacht, seine Tochter getötet zu haben. Sie setzte ihm sehr zu im Verhör, sie nahm ihn in die Zange, sie war überzeugt, dass alles gegen ihn sprach, dass er der Täter war. Der Vater hielt diesem Druck nicht stand, er erhängte sich.

Schnitt. 2015. Es klingelt an der Tür. Vor der Tür steht eine junge Frau mit knallig roten Haaren. Fiona. Das Wiederauftauchen der einst Vermissten wirft ein dunkles Licht auf die Ermittlerin. Auf einmal steht sie da wie eine, die einen Mann grundlos in den Tod getrieben hat. Sie macht sich Vorwürfe, obwohl ihr selbst ein Vorgesetzter bescheinigt, damals nichts falsch gemacht zu haben. Nun ist aber nichts falsch machen nicht gleichzusetzen damit, das Richtige zu tun. Ein Dilemma, das Lürsen und ihren Kollegen Stedefreund nicht ruhen lässt. Ihr kommen Zweifel, ob das alles so war, wie es die vaterlose Familie wahrhaben will. Sie weiß, dass irgendetwas nicht stimmt. Aber was?

Matthias Tuchmann und Stefanie Veith haben das Buch zu diesem Film geschrieben, ein Buch, das so verschachtelt angelegt ist, dass es manchmal zu der Annahme verleitet, dass die Autoren Schwierigkeiten hatten, den Überblick zu bewahren, alle Handlungsstränge in der Hand zu halten. Das dürfte den Regisseur Florian Baxmeyer vor einige Schwierigkeiten gestellt haben, aber als bewährter Kämpfer für den spannenden Film hat er sich der Aufgabe gestellt und liefert nun einen höchst komplexen, nichtsdestotrotz aber vor allem höchst bedrückenden Film. Wenn zu dem der „Tatort“-Abspann läuft, möchte man auf den Bildschirm schießen. Das Knallige der Musik passt einfach nicht zu dem, was vorher war. Hat bei der ARD noch nie jemand darüber nachgedacht, für solche Fälle mal einen alternativen Abspann zu nutzen, einen, der den Zuschauer nicht brutal aus der Stimmung kippt?

Die Schuld, die den Menschen schuldlos ereilt, ist eine harte Probe. Sie stellt dem Zuschauer unmittelbar die Frage, was er denn täte, käme er in genau solch eine Situation. Um die Antwort darf man verlegen sein. Niemand hat letztgültige Antworten auf solche Probleme.

Natürlich gibt es wie in jeder exzellenten Produktion ein paar Schwächen. Nicht alle Figuren geraten glaubhaft, und nicht alle Erklärungen klingen logisch. Aber das sind nur Randaspekte in einem Film, der vor allem getragen wird durch fabelhafte schauspielerische Leistungen. Gro Swantje Kohlhof als wiederaufgetauchte Fiona ist ebenso eine Entdeckung wie Amelie Kiefer, die Fionas Schwester spielt. Im Mittelpunkt steht allerdings die Mutter, die sich glücklich schätzt, ihr Kind wieder in die Arme schließen zu dürfen, die gleichzeitig der Kommissarin schwere Vorwürfe macht. Gabriela Maria Schmeide spielt diese Rolle voller Ambivalenz wirklich toll. Selbst an Sabine Postel und Oliver Mommsen als Ermittlerpaar Lürsen und Stedefreund gibt es nichts zu mäkeln, sie treten in bestechender Form an.

Auf sehr besondere Art korreliert dieser Film mit Ferdinand von Schirachs ZDF-Reihe „Schuld“. Auch dort geht es um die Frage, wie man in Situationen kommt, die außergewöhnliche Reaktion verlangen. Zu oft ist es die falsche, die folgt. Wo in dem Schirach-Opus indes ein bisschen zu viel Wert auf die Form gelegt wird, ein bisschen zu viel Oberfläche bleibt, geht dieser „Tatort“ wirklich in die Tiefe. Er geht so tief, dass es irgendwann unerträglich wird. Genau deshalb ist er so gut.