Meret Becker sagt, der neue Berliner „Tatort“ sei wild und emotional. Da hat sie wohl recht. Wild ist „Das Muli“, weil er den Zuschauer mit ziemlich heftigen Bildern von Blut und abgetrennten Körperteilen schockt, emotional soll er wohl sein, weil von so vielen kaputten Existenzen die Rede ist, die erst durchs wilde Berlin irren, um dann zum Showdown alle an einem Ort zusammenzukommen, der partout nicht heil werden will, am neuen Berliner Flughafen. Dort gibt es mehrere Tote. Unter den Leichen findet sich auch die Qualität dieses Films.

Zwei neue Ermittler kommen erstmals zusammen. Die von Meret Becker gespielte Kommissarin Nina Rubin und ihr neuer Kollege Robert Karow (Mark Waschke). Beide werden als vom Schicksal gebeutelt eingeführt. Sie bumst nachts hemmungslos in der Gegend herum und wundert sich, dass ihr Mann daheim das Weite sucht und die Kommunikation mit den Söhnen nur noch über Bockigkeiten und verzweifelte Blicke funktioniert. Er kommt aus einer anderen Abteilung und hat seinen Ermittlungspartner verloren. Der wurde tot aufgefunden, und lange ist unklar, welche Rolle Karow in der ganzen Angelegenheit spielt.

Zum ersten Mal sehen sich die beiden Kommissare, als sie zu einem Blutbad gerufen werden. Das ist buchstäblich zu nehmen, denn in einer Ferienwohnung finden die Männer von der Spurensicherung nur jede Menge Blut, aber keine Leiche. Zu dem Zeitpunkt hat der Zuschauer aber schon mehr gesehen als die Ermittler. Ein blutverschmiertes Mädchen irrt über Berlins Straßen. Sie weint, sie schreit, sie stöhnt und ruft dann ihren Bruder zu Hilfe. Als der eintrifft, ist schnell klar, dass sie auf der Flucht ist. Gemeinsam verkriechen sie sich in einem noch nicht genutzten Hotelneubau am neuen Berliner Flughafen.

Stefan Kolditz hat das Buch zu diesem Film geschrieben, und der vielfach bewährte Stephan Wagner hat es als Roadmovie inszeniert. Berlin hier, Berlin da, und dann auch noch Berlin dort. Viele Lichter, viele Autofahrten, viele Telefonate. Dazu kommt die dürre Kommunikation von Rubin und Karow, die viel übereinander wissen, sich aber nicht über den Weg trauen. Er hält sie für eine Schlampe und sie ihn für einen Kollegenmörder.

Das werden wegen der Bildgewalt der Heimatbilder insbesondere die Berliner mögen. Ach was, sie werden es lieben und sich daran betrinken. Und es hätte ja auch einen ganz schönen Film ergeben können, wäre da nicht die falsche Gewichtung der Erzählungen und das Komplettversagen eines Hauptdarstellers gewesen. Zu viel wird erzählt vom Scheitern der Kommissarin Rubin. Beinahe genüsslich nimmt der Film ihr Versagen als Vorlage und dekonstruiert die Frau bis auf einen kümmerlichen Rest, der gegenüber ihrem sehr selbstbewusst auftretenden Kollegen chancenlos bleibt.

Dieser Kollege wird von Mark Waschke gespielt. Nein, das ist falsch. Er wird eben nicht gespielt. Mark Waschke mag ein netter Kerl sein und schon viel geleistet haben, ein guter Schauspieler ist er in diesem Film nicht. Er trägt einen einzigen Gesichtsausdruck durch den kompletten Film, was dem Zuschauer wohl signalisieren soll, dass man an diesen Typen nicht rankommt. Waschke soll den Grantler spielen – und versagt. Er soll den blitzgescheiten Alleswahrnehmer, eine Art Sherlock Holmes vom Kiez, spielen – und versagt. Er soll den verzweifelten Verlassenen spielen – und versagt.

Ein Film aber, der um seine Hauptfigur herum funktionieren soll, hat wenig Chancen, wenn diese nicht funktioniert. Zwar gelingt es Regisseur Wagner leidlich, die von Kolditz gemeinte Spannung gegen Ende zu verdichten, aber man ahnt rasch, was dieser Film hätte sein können, wäre er mit einem Schauspieler gesegnet gewesen, der nicht wirkt, als sei ihm auf der Schauspielschule das Gesicht eingefroren.

Zudem scheint die Grundkonstellation mehr als vertraut. Der verstörte Ermittler, der aus undurchsichtigen Motiven anders handelt als er sollte, das kennt man aus dem Dortmunder „Tatort“, und die Konstellation, in der sie die leicht Verstörte gibt und er den Grummler mit zu viel Nähe zum Verbrechen, ist spätestens durch den „Polizeiruf 110“ aus Rostock mit der glänzenden Anneke Kim Sarnau und dem formidablen Charly Hübner bereits bestens besetzt.

Aber was tut man dieser Tage nicht alles, wenn man zum horizontalen Erzählen ansetzt. Da muss eben vieles ungesagt bleiben, damit in weiteren Folgen noch Stoff bleibt. Und wer weiß: Vielleicht hat Mark Waschke auch noch ein zweites Gesicht und bewahrt es in einem geheimen Tresor der Produktionsfirma auf. Wer weiß?