Aus Gesprächen mit einigen Sendern hört man aber auch Skepsis raus, elementare Aufgaben auszugliedern. Ist das auch eine Frage der deutschen Mentalität der Vorsicht etwas aus der Hand zu geben?

Ich würde da die Parallele zu Telekommunikationsdiensten ziehen, da ich die auch persönlich gut kenne. Da gab es auch vor vielen Jahren schon die Diskussion darüber, was zur Kernkompetenz eines Anbieters gehört. Telekommunikationsdienstleister sind wie Sender in erster Linie Konsumentenmarken. Sie müssen sich am Markt differenzieren. Aber die technische Abwicklung steht auf einem anderen Blatt. Es ist vielleicht eine Mentalitätssache. Wenn man eine Sendeanstalt auf ihre Kernwerte herunter bricht, geht es meiner Meinung nach zuerst um das Programm. Es sind die Inhalte mit denen man im Markt für etwas stehen muss. Erst an zweiter und dritter Stelle steht die Technologie. Die soll einfach funktionieren.

Lassen Sie uns nochmal versuchen konkret werden. Welche Dienste bietet Ericsson an?

Ich denke, dass kann man auf zwei Bereiche herunterbrechen. Der Erste wäre Video-Operations. Also banal gesagt: Jemand hat ein TV-Recht oder Inhalte erworben, die bitte zum Kunden gelangen sollen. Da gibt es zahlreiche Herausforderungen. Denken wir nur an unterschiedliche Bildqualitäten und -standards, die gemanagt werden wollen. Wir handhaben rund 3 Millionen Stunden Programm für unsere Kunden. Wir bringen Inhalte für lineares Fernsehen und VoD in die benötigten Formate, übernehmen das Media Management und übergeben das dann ggf. Kabelnetzwerken und Satellitenbetreibern. Da haben wir quasi unsere Demarkationslinie.

Und der zweite Bereich?

Unser zweiter Hauptfokus liegt in der Verbesserung der Unterhaltungserfahrung für unsere Kunden. Mit der BBC haben wir einen Kunden, der mit seinem iPlayer schon früh sehr innovativ war. Das ist das Fernsehen der künftigen Generationen. Der iPlayer hat eine Art und Weise des Fernsehkonsums etabliert, auf die später auch Netflix, Amazon und alle anderen gesetzt haben. Es geht um personalisierte Angebote. Editoriale Metadaten und Untertitel spielen dabei zum Beispiel auch eine große Rolle. Personalisiertes Fernsehen im Netz bedeutet: Jede Zielgruppe kann mit angepassten Angeboten angesprochen werden. Seien es Sprachbarrieren oder Nutzungssituationen in denen sich der Ton nicht nutzen lässt - etwa in Taxen, Wartezimmern oder auch Bars. Wir bieten die Untertitelung an, aber wer ohnehin schon das gesamte Programm screent, kann es auch gleich das Captioning übernehmen. Und das wird in Zukunft Dinge ermöglichen, die wir gerade erst anfangen zu erahnen.

Wollen Sie da vielleicht ein Beispiel geben?

Wenn Serien wie „Game of Thrones“ basierend auf dem Captioning intensiv vertaggt sind, gibt das Plattformen ganz neue Möglichkeiten Inhalte aufzubereiten. Sie können Szenen mit bestimmte Charakteren anzeigen lassen oder einzelne Handlungsstränge gesondert ausgeben. Sie können zielgenau an konkrete Stellen der Geschichte springen, weil das Programm Sekunden genau vertaggt ist. Da lassen sich attraktive Mehrwerte für die Zuschauer kreieren. Aber auch für Sender selbst bietet die Vertaggung des eigenen Programms enorme Vorteile. Es entsteht ein in dieser Form so noch nie zuvor durchsuchbares Programm. Personen, Themen - die Berichterstattungen der Vergangenheit ließen sich beispielsweise bei den Öffentlich-Rechtlichen in ungeahntem Ausmaß aufbereiten. Das sind ganz praktische Beispiele für das, was sich hinter Big Data versteckt.

Das, was sie beim „Game of Thrones“-Beispiel ansprachen, gibt es in gewisser Weise ja schon bei Amazon mit dem X-Ray-Feature. Wird Big Data zu Smart Data?

Wir sehen es so: Um eine wirklich gute Nutzer Erfahrung zu erzeugen, muss man sehr viel über den Konsumenten wissen. Da gibt es natürlich kontroverse Punkte wie Privatsphäre. Aber die zweite Seite der Medaille ist: Man muss auch sehr viel mehr über seine eigenen Inhalte wissen. Es reicht nicht, den Kunden kennen zu wollen. Viele Sender kennen ihre Programminhalte derzeit noch nicht so gut wie sie sie kennen könnten. Das merken wir ja sogar bei den Angeboten, die auf Basis bisheriger Nutzung schon Empfehlungen geben. Selten treffen Algorithmen ins Schwarze. Sie sind noch zu trivial.

Wie ließe sich das denn verbessern?

Wir haben einen breiten Ansatz. Wir machen sehr viel Konsumentenforschung und die Idee ist, noch weitaus tiefer zu gehen. Wir haben ein weltweites Forschungsprojekt, ConsumerLab, mit Fokus-Gruppen-Analysen. Dadurch generieren wir Daten von mehreren tausend Leute weltweit. Bislang berücksichtigen viele Algorithmen beispielsweise nicht die Uhrzeit der Nutzung oder das gerade beim Nutzer herrschende Wetter. Dabei kann das auch Aufschluss über Nutzung und Interessen geben und künftig zu klügeren Empfehlungen führen.

Big Data bzw. Smart Data ist eines der Kernthemen der NAB Show. Anlässlich der Messe die Frage: Welche Stimmung sehen sie derzeit im Markt? Welche Themen stehen im Mittelpunkt?

Ich glaube wir nähern uns dem Zeitpunkt wo sich die Balance zwischen klassischem Fernsehen und Online stärker verändert. Das führt zu einer gewissen Nervosität im Markt. Außerdem geht es auch immer um Effizienz und die Frage, wie sich Kosten senken lassen. Da stehen Cloud-basierte Lösungen derzeit im Mittelpunkt. Darüber wurde schon lange geredet, aber es kommt zunehmend in immer mehr Branchen in der Realität an. Und natürlich reden wir über Bildqualität, Stichwort 4K.

Wie real wird 4K für den Endkonsumenten denn? Und in welchem Zeitraum?

Da kann ich Ihnen auch keine richtige Antwort geben. Wir haben hier mit BT zusammen an den ersten linearen 4K-Kanälen für Sportübertragungen gearbeitet. Das war im August 2015. Im Sport macht 4K den größten Unterschied. Wäre ich bereit mehr Geld zu bezahlen, um eine Fernsehsendung in 4K zu schauen? Eine schwierige Frage. Ich persönlich denke, dass 4K sich irgendwann durchsetzen wird. Aber das wird ein langer Prozess sein, der sich erst über sinkende Kosten beschleunigt. Ich finde es aber wichtiger, dass man sich Gedanken darüber macht, wie linear und non-linear zusammenwachsen. Und wie man dann die Möglichkeiten von neuen Technologien und der Cloud dann nutzen kann. Da sehen wir für Ericsson Broadcast and Media Services einen wichtigeren Fokus.

"Wir treten an, um in Deutschland einen größeren Sprung nach vorne zu tun."

Am Ende nochmal zum deutschen Markt: Wie sieht da jetzt ihr Zeitplan aus?

Wir hatten schon einige Gesprächen mit den Marktteilnehmern. Das Thema ist aber zu komplex als dass man im ersten Gespräch schon mit einem „Endlich, da haben wir seit zwei Jahren drauf gewartet“ empfangen wird. Es ist ein Gedankenprozess, den wir lostreten wollen. Der kann dauern. Aber wir treten an, um in Deutschland einen größeren Sprung nach vorne zu tun. Der erste Kunde hat in der Regel den Vorteil, dass wir seinen Standort übernehmen oder in der Nähe unseren Standort aufbauen. Das sind Entscheidungen, die gut überlegt sein wollen. Ich bin also nicht enttäuscht, wenn wir in 2016 noch keinen grossen Kunden gewinnen werden.

Herr Sauer, herzlichen Dank für das Gespräch.