Wie praktisch wäre es, wenn sich die Redaktionen eines Verlagshauses, das in erster Linie im Digitalen wachsen will, auch mit dem Digitalen auskennen würden. Führungskräfte-Urlaub im Silicon Valley scheint dafür jedenfalls nicht zu reichen. Bei der Lektüre des wichtigsten Flaggschiff des Axel Springer Verlages amüsiert am Montag eine kleine Anekdote: Im „Mini-Klatsch“ auf Seite 4 weiß „Bild“ am Montag zu berichten: „Harald Schmidt: Comeback im Internet“. Darunter die folgende Kurzmeldung:

Am 13. März läuft seine letzte Show bei „Sky“. Jetzt kündigte Harald Schmidt (56) via ‚Twitter‘ an: „Den Stand-up gibt es ab Herbst kostenlos bei T-Online. Die ganze Show jeweils für 0,99 Euro bei Amazon und iTunes zum Abruf. Glücklich?“ Geht so.

Die „Bild“-Zeitung ist also auf einen falschen Harald Schmidt bei Twitter hereingefallen. Der falsche Harald Schmidt ist in Wahrheit Robert Michel, im Internet eher bekannt unser seinem Künstlernamen Rob Vegas. Er betreibt seit inzwischen mehr als fünf Jahren den Fake-Account BonitoTV bei Twitter und formulierte am Sonntag in seiner Kolumne bei Quotenmeter.de ("Eine letzte Option") eine private Vorstellung davon, wie eine mögliche Zukunft für Harald Schmidts Sendung aussehen könnte. Den Kern dessen twitterte Michel auch über den @BonitoTV-Twitteraccount.

Schmidt Bild© "Bild"-Ausschnitt
Dass hinter den Tweets dieses Nutzers nicht Harald Schmidt steckt, sondern der 29-jährige Bielefelder, scheint sich aber auch nach mehr als einem halben Jahrzehnt und mehreren Portraits nicht überall herumgesprochen zu haben. Ein "Bild"-Redakteur antwortet auch noch, scheinbar ernsthaft, auf den Fake-Account. Besonders bitter: Vor elf Monaten fiel „Bild“ schon einmal auf einen Tweet des falschen Harald Schmidts zum „Tatort“-Hype rein; löschte den Fauxpas damals, als er auf Bild.de entdeckt wurde. Aus dem damaligen Fehler hat man offenbar nicht gelernt. Aus der millionenfach gedruckten Ausgabe lässt sich der heutige, kleine Fehler jedoch nicht so einfach löschen. 

Wie oft ein falscher Twitter-Account auch nach mehr als einem halben Jahrzehnt noch große Medien-Marken in die Irre führen kann, ist verblüffend und erschreckend zu gleich. Weil es nicht einmal um die Frage des Umgangs mit "neuen" Quellen wie Twitter geht - sondern die grundlegende journalistische Tugend der Recherche. Die fiel hier bei „Bild“ einmal mehr ebenso flach wie bei so manch anderem Medium zuvor. Prominentestes Opfer neben Springers Boulevard-Blatt war im Juli 2009 die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, die damals offenbar ohne jede Überprüfung eine vom falschen Harald Schmidt abgehaltene Twitter-Pressekonferenz für bare Münze hielt.

Update: Am Dienstag findet sich in der gedruckten "Bild" eine durchaus entwaffnend charmante Richtigstellung der Falschmeldung vom Vortag.

Bild Richtigstellung© Bild