Es ist kein gutes Zeugnis, das der öffentlich-rechtlichen Unterhaltung ausgestellt wird. "Ich kenne kein einziges Show-Format von ARD und ZDF aus den letzten 20 Jahren, das innovativ war", sagt Jörg Grabosch, Chef der Produktionsfirma Brainpool TV, die für beide Systeme tätig ist. "Wenn es etwas Neues gibt, dann meist ein Quiz oder Vergleichbares. In der Unterhaltung haben sich die Öffentlich-Rechtlichen von allen Zuschauern unter 50 komplett verabschiedet. Sie sind so weit weg, dass es kaum noch Chancen auf Anschluss gibt."

Von den Spitzenvertretern der ARD, die beim Werkstattgespräch des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises in Düsseldorf anwesend sind, erhält Grabosch keinen Widerspruch - sondern sogar Zustimmung. "Was das Thema Show angeht, hat Jörg Grabosch leider völlig Recht", sagt der designierte WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn. "Ich finde es ein beängstigendes Phänomen, dass die Kreativen aus Show oder Comedy gar nicht mehr zu uns kommen. Und wenn sie vereinzelt doch mal kommen, bleiben sie meist nicht lange."



Die Diskussion, die der Unterstützerverein des Grimme-Preises und Ausrichter des Bert-Donnepp-Preises für Medienpublizistik unter dem fast erschlagenden Titel "Qualität und Quote - Zur Legitimationsdebatte über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk" führt, zeigt vor allem eines: ARD und ZDF kommt die gefühlte Legitimation bei jüngeren Beitragszahlern immer mehr abhanden. Zwar sehen sie manche ihrer eigenen Fehler ein, haben jedoch noch nicht allzu viel dagegen unternommen. Schönenborn, derzeit noch WDR-Chefredakteur, begründet das mit der "Erfolgsfalle", in der die Anstalten seiner Meinung nach stecken. Das öffentlich-rechtliche System habe so hohe Marktanteile wie nie zuvor, aber die Zuwächse kämen überwiegend von den Zuschauern über 60.

"Ich sehe es jetzt als unsere Aufgabe an, umzusteuern", so Schönenborn. "Wir müssen bereit sein, auf bestimmten Flächen im Hauptprogramm gezielt mehr auf Anspruch und auf Jüngere zu setzen und dafür notfalls auch auf ein paar Marktanteilspunkte zu verzichten." Unterstützung für diesen Kurs signalisiert Ruth Hieronymi, Vorsitzende des WDR-Rundfunkrats. Bei der Frage nach dem "Relaunch"-Bedarf des öffentlich-rechtlichen Hauptabendprogramms, der sich eines der Panels in Düsseldorf widmet, stellt die CDU-Politikerin in ihrer zupackend-optimistischen Art einen solchen Relaunch für September 2014 in Aussicht.

Was Hieronymi damit meint: Die Rundfunk- und Verwaltungsräte aller ARD-Anstalten haben den Intendanten - "und Programmdirektor Volker Herres, um ihn mal persönlich zu nennen" (O-Ton Hieronymi) - einen Termin gesetzt, bis zu dem sie eine gründliche Evaluierung des Genre-Mix im Hauptabendprogramm des Ersten erwarten. Ergebnisse sollen zur ARD-Hauptversammlung im September vorliegen. Für Hieronymi ist freilich schon jetzt klar, was schief läuft: "Der Genre-Mix ist nicht mehr ausgewogen. Wir brauchen dringend mehr Doku, mehr Satire und mehr anspruchsvollen Kinofilm."

Gleichwohl plädiert sie auch dafür, die Stärken des Systems weiter zu stärken, nämlich noch mehr mit dem Pfund der eigenproduzierten Fiction zu wuchern. Dass ARD und ZDF den Privaten auf diesem Feld weitgehend enteilt sind, während es in der nonfiktionalen Unterhaltung genau umgekehrt aussieht, hatten kurz zuvor bereits in ziemlicher Eintracht Brainpool-Boss Grabosch, NDR-Fiction-Chef Christian Granderath und RTL-Gründervater Helmut Thoma festgestellt. Thoma geißelte bei dieser Gelegenheit einmal mehr das "Innovationsverhinderungskartell" der heutigen Duopolisten im Privat-TV-Markt: "Wozu noch Geld fürs Programm ausgeben, wenn die Gewinnmaximierung auch anders funktioniert?"

Auf die vermeintlich naive Frage von Jürgen Büssow, Vorsitzender der Grimme-Preis-Freunde, warum NDR und ProSieben ihre erfolgreiche Kooperation in Sachen Eurovision Song Contest nicht mehr fortsetzten, plaudert Grabosch dann kurz aus dem Nähkästchen. Seiner Ansicht nach würden NDR und ARD auch heute noch kooperieren - "aber nur, wenn ProSieben weiterhin sechs von acht Shows bezahlt und gesendet und der ARD den quotenträchtigsten Teil des Wettbewerbs, das Finale, überlassen hätte". Wer sich nicht der nationalen Aufgabe verpflichtet fühle, sondern wie ProSiebenSat.1-Chef Thomas Ebeling eher dem Börsenkurs des eigenen Unternehmens, sage eine Kooperation unter solchen Vorzeichen dann eben ganz schnell ab.

Ganz am Ende des Werkstattgesprächs, als fast alle Argumente ausgetauscht sind, flackert dann noch ein ganz anderes Thema auf, das wenige Wochen vor der 50. Verleihung des Grimme-Preises zwischen Marl und Düsseldorf wabert. Ulrich Spies, Geschäftsführer der Grimme-Preis-Freunde einerseits, nach 33 Jahren kurz vor der Pensionierung stehender Preisreferent im Grimme-Institut andererseits, meldet sich hörbar bewegt zu Wort: "Was haben wir in 50 Jahren Grimme-Preis eigentlich falsch gemacht", will er von WDR-Mann Schönenborn wissen, "dass wir als einziger wirklich unabhängiger Fernsehpreis des Landes von ARD und ZDF nicht geliebt werden?" Er habe sich, sagt Spies, "ein bisschen mehr Respekt" gewünscht, etwa bei dem harten Kampf dafür, dass 3sat das große Grimme-Jubiläum am 4. April erstmals live überträgt.

"Sie tragen das mit sehr viel Verve und offensichtlicher Enttäuschung vor", erwidert Schönenborn, der die Details zwischen WDR und Grimme nach eigenen Angaben nicht kennt. Er werde das Thema mit zurück ins Haus nehmen, könne aber versichern, dass der Grimme-Preis "auf allen Fluren, auf denen ich mich bewege, allergrößte Wertschätzung genießt und als Riesenehre empfunden wird".