Jan Böhmermann muss sich wegen des von ihm am 31. März im "Neo Magazin Royale" vorgetragenen "Schmähgedichts" nicht vor Gericht wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes verantworten. Die Staatsanwaltschaft Mainz hat die entsprechenden Ermittlungen nun eingestellt. "Nach dem Ergebnis der Ermittlungen waren strafbare Handlungen nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachzuweisen. Die Ermittlungen haben auch keine hinreichenden Anhaltspunkte für strafbare Handlungen anderer an der Entstehung oder Ausstrahlung des Beitrages beteiligte Personen ergeben", teilte die Behörde nun mit.

Eine Beleidgung nach den Paragraphen 185 oder 103 lasse sich insbesondere hinsichtlich des erforderlichen Vorsatzes "nicht mit dem für eine strafgerichtliche Verurteilung erforderlichen Maß an Gewissheit führen". So sei bereits fraglich, ob der objektive Tatbestand der Beleidigung erfüllt sei. Dagegen könne bereits sprechen, dass der Beitrag des "Neo Magazin Royale" als Beispiel für eine Überschreitung der Meinungsfreiheit dienen sollte und daher "weder ausdrücklich eine Ansicht des Beschuldigten im Hinblick auf persönliche Eigenschaften des türkischen Staatspräsidenten wiedergeben noch - wenn auch überzogene satirische - Zuweisungen enthalten sollte." Zudem fehle es es bei Karikatur oder Satire am Merkmal der Beleidigung, wenn die Überzeichnung menschlicher Schwächen eine ernsthafte Herabwürdigung der Person nicht enthält.

Die Staatsanwaltschaft entschied, dass Böhmermann kein "vorsäztlich beleidigendes Handeln" nachzuweisen sei. Der Vorsatz müsse das Bewusstsein umfassen, dass eine Äußerung nach ihrem objektiven Sinn eine Missachtung einer Person darstellt. Böhmermann hatte erklärt, es sei ihm an einer derart übertriebenen und von der konkreten Person abgelösten Darstellung gelegen gewesen, dass die fehlende Ernstlichkeit und das Fehlen eines ernst gemeinten Bezuges zur persönlichen Ehre der Person jedem Hörer unmittelbar erkennbar sein sollten und sofort klar werde, dass es sich um einen Witz oder Unsinn handele.

Die Staatsanwaltschaft folgte dieser Darstellung, weil sie vom Inhalt des Stückes, seiner Entstehung und der Art der Darbietung gestützt werde. Maßgebend sei, wie ein verständiger Dritter unter Beachtung der Begleitumstände und des Gesamtzusammenhangs die Äußerungen verstehe. Insoweit sei bereits zu berücksichtigen, dass der Beitrag Bestandteil einer bekanntermaßen satirischen Fernsehsendung war und ein durchschnittlich informiertes verständiges Publikum mithin davon ausgehen dürfe, dass dort getätigte Äußerungen vielfach mit Übersteigerungen und Überspitzungen einhergehen und ihnen die Ernstlichkeit häufig fehlt. "Von einem solchen Empfängerhorizont dürfte auch der Beschuldigte ausgegangen sein; zumal er den Charakter der Sendung im Rahmen des Beitrages durch die wiederholte Bezeichnung des Formats als 'Quatsch-Sendung' hervorhob", so die Staatsanwaltschaft.

Bereits dies lasse eine ernst gemeinte Herabwürdigung als nicht naheliegend erscheinen. Ferner findee sich in dem Text des so genannten "Schmähgedichts" selbst eine geradezu absurde Anhäufung vollkommen übertriebener, abwegig anmutender Zuschreibungen negativ bewerteter Eigenschaften und Verhaltensweisen, denen jeder Bezug zu tatsächlichen Gegebenheiten - offensichtlich beabsichtigt - fehle. Mit Blick auf die somit bewusst vorgenommenen, in der Tat "unsinnig" und absurd wirkenden Übertreibungen werde nicht zu belegen sein, dass der Beschuldigte einen ernstlichen Angriff auf den personalen oder sozialen Achtungs- und Geltungsanspruch des türkischen Staatspräsidenten billigend in Kauf genommen habe.

Der türkische Staatspräsident Erdogan hatte wegen des Gedichts am 8. April einen Strafantrag wegen Beleidigung nach § 185 des Strafgesetzbuches gestellt. Die türkische Botschaft hatte zudem die Strafverfolgung wegen §103 verlangt, der für Beleidigungen eines ausländischen Staatsoberhauptes noch deutlich höhere Strafen vorsieht als wegen einer "normalen" Beleidigung. Die Bundesregierung muss eine solche Strafverfolgung zunächst genehmigen. Diese Ermächtigung wurde von Kanzlerin Angela Merkel schließlich erteilt - ausdrücklich aber nicht als Vorverurteilung, sondern mit dem Verweis darauf, dass sich der Rechtsstaat in einem rechtsstaatlichen Verfahren mit dieser juristischen Frage auseinandersetzen solle. Gleichzeitig kündigte die Regierung an, diesen Paragraph für die Zukunft abschaffen zu wollen.

Ganz ausgestanden ist das Thema Erdogan für Böhmermann trotzdem noch nicht. Am 2. November verhandelt das Landgericht Hamburg über die Unterlassungsklage Erdogans. Mit dieser will der türkische Staatspräsident erreichen, dass das "Schmähgedicht" auch in Aussagen nicht mehr wiederholt werden darf.

Der DJV begrüßte die Entscheidung der Staatsanwaltschaft. Der Bundesvorsitzende Frank Überall erklärte: "Das ist die einzig richtige Entscheidung. Damit ist klar, dass in Deutschland die Satirefreiheit einen höheren Stellenwert besitzt als die Ehrpusseligkeit eines Autokraten. Herr Erdogan sollte sich weniger um seine persönliche Reputation und mehr um die Wiederherstellung der Grundrechte in der Türkei kümmern."