25 Jahre sind mehr als nur ein Abschnitt, sie sind eine Ära. Vor 25 Jahren regierte ein Kanzler namens Kohl und kommuniziert wurde nur mit Kabel am Telefon. Im ZDF lief „Diese Drombuschs“, Bundesligafußball allein bei Sat1, im Ersten gab es exakt eine Talkshow, aber selbst zur Hauptsendezeit häufiger Hochkultur. Der Plan, einen Kulturkanal wie Arte in die Schlacht des dualen Systems zu werfen, erschien da zwar irgendwie klug, nicht unerlässlich.

Damals.

Denn wenn das deutsch-französische Gemeinschaftsprojekt wie heute in Hamburg das Saisonprogramm präsentiert, erinnert die Gründung weit mehr an ein Erdbeben als vor fast 25 Jahren. Wenngleich ein kleines. „Angesichts großer Sportereignisse“, lobt Arte-Präsident Peter Boudgoust in einem Luxushotel am Alsterfleet, „ist es ein Riesenerfolg, dass unser Schnitt 2016 solide bei einem Prozent lag“. Gut, entspräche die Einschaltquote der Richterskala, wäre das kaum Stärke 2. In L.A. blieben da wohl selbst Angstpatienten ungerührt; im erdbebenfreien Deutschland dagegen sind durchschnittlich 20 Millionen Zuschauer pro Woche bei 30 Prozent mehr Mediatheken-Zugriffen gegenüber 2015, ganz schön bewegend.

Jene Hochkultur, für die sich einst ARD und ZDF zuständig fühlten, ist schließlich – zumindest vor Mitternacht – ziemlich geschlossen Richtung Arte abgewandert. Man kann das gut am künftigen Angebot begutachten. Zwischen „heute“ und der „Tagesschau“, wenn im Ersten wie Zweiten die Vorabendkommissare kichern, startet Arte am 13. März um 19:45 Uhr ein tägliches Reportage-Format namens „Re:“. Als „alter Skat-Spieler“ kündigt der deutsche Geschäftsführer die halbstündige Reihe kokett ohne zeitgenössische „Presenter“ im Bild zwar als analoge Antwort auf den digitalen Zeitgeist an. Zugleich aber verweist Wolfgang Bergmann auf die zukunftsweisende Info-Ballung mit Europaschwerpunkt vor acht, den das „Arte-Journal“ zur neuen Sendezeit um 19.20 Uhr einleiten wird.

Mit vorwiegend menschelnder Thematik vom ukrainischen Kriegsveteranen über französische Supermütter bis zum schwulen Imam ist das ein klares Bekenntnis zum programmatischen Pfund in der sogenannten Access-Primetime, wenn die Konkurrenz viel Geld mit Werbung verdient. Und es wird wie gewohnt mit viel inhaltlichem Gewicht umwoben. Ebenfalls im März zum Beispiel mit einem Rückblick auf 60 Jahre EU. Eher heiter als wolkig tun dies Annette Frier und Antonia de Rendinger in der Doku-Reihe „Ach, Europa!“, eher umgekehrt geht das Dokumentarspiel „Am Anfang waren’s sechs: Die Römischen Verträge“ zu Werke. Dazwischen liegt der Zehnteiler „Cinekino“ über den kontinentalen Film seit 1957.

Das ist auch im restlichen Angebot die Messlatte: Bedeutsame Themen aus randständiger Perspektive mit europäischem Blick plus unterhaltsamer Relevanz zu beleuchten. Dazu zählt die Dokumentation „WHO – Im Griff der Lobbyisten“ über die Abhängigkeit der Weltgesundheitsorganisation von einem einzigen Mäzen namens Bill Gates ebenso wie das Nachstellen der Oktoberrevolution von 1917 mit der Medientechnik von heute (28. Februar). Dazu zählt das aufwändige Reenactment „Die Auswanderer“ im Juni über jene 55 Millionen Menschen, die in den 100 Jahren bis 1940 den Kontinent verlassen haben, aber auch eine hinreißende Betrachtung der kuriosen Existenz unseres liebsten Haustieres. „Wilde Miezen“ spürt der Katze durch ihr städtisches Revier nach und entdeckt dabei Erstaunliches.

Depression und Neutrinos, Wüsten und Muslime, Otto Dix und Frank Zappa, die documenta 14 und der Tag des Waldes – was selbst auf anspruchsvollen Sendern allenfalls mal Gegenstand nächtlicher Magazine ist, findet auf Arte tagein tagaus dann statt, wenn die Leute wirklich noch wie einst vorm Fernseher sitzen. Und werden dort keineswegs nur mit Weltpolitik und Wagneropern belehrt, sondern bisweilen locker unterhalten. Etwa wenn im April bei der Premiere von Johannes Fabricks hinreißender Vater-Tochter-Studie „Kleine Ziege, sturer Bock“ mit Wotan Wilke Möhring als überrumpelter Junggeselle. Oder ein paar Wochen später die Komödie „Schrotten“, wo Frederick Lau und Lucas Gregorowicz unverhofft die marode Resterampe ihres Vaters erben.

Auch zwei Serien lassen aufhorchen. „Zimmer 108“ ist nicht nur der Name eines belgischen Zehnteilers ab März, sondern jener Hotel-Raum, in dem die junge Kato getötet wird, aber weiter unter den Lebenden weilt, um ihren Mörder aufzuspüren. Aus Dänemark stammen acht Folgen „Helden am Herd“ aus dem Milieu der Spitzengastronomie, die sich menschlich als gar nicht so fein erweist. Solche Formate schaffen es mit ein wenig Glück auch mit deutschen Untertiteln in die Mediathek. Mittlerweile sind darin Originale in fünf Sprachen zu lesen. Und wenn 2018 Italienisch hinzukommt, werden 70 Prozent aller Europäer versorgt.

Das belegt zweierlei: Arte schwimmt dem Medienmainstream gern ein Stück voraus, besinnt sich dabei jedoch auf seine analogen Stärken von Themenschwerpunkt am Dienstagabend bis hin zum neuen Kulturmagazin „Stadt Land Kunst“ ab 13. März, täglich um 13 Uhr, reichhaltig ergänzt im Netz, passend zubereitet für alle Endgeräte ob Röhrenfernseher oder Smartphone. „Wir sind längst eine Content-Plattform“, lobt Arte-Präsident Boudgoust im klassisch groben Jackett seinen Sender mit modernem Vokabular und fügt hinzu: „Der Unterschied zwischen linear und non-linear wird weiter aufgebrochen.“