Am 19. Dezember steuerte Anis Amri einen zuvor geklauten LKW auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheitplatz, zwölf Menschen kamen bei diesem Anschlag ums Leben. Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer, zuerst in den sozialen Netzwerken, dann auch in den klassischen Medien. Das Erste unterbrach nach kurzer Zeit seine Spielshow "Wer weiß denn sowas XXL" und sendete eine Sonderausgabe der "Tagesthemen". Beim ZDF zeigte man erst noch den Spielfilm "Gotthard" zu Ende und  informierte danach im "heute-journal", das übrigens mit 4,88 Millionen Zuschauern das meistgesehene Nachrichtenformat an diesem Abend war.

Dass das ZDF aber erst noch den Spielfilm zeigte, störte viele Kritiker. Sie warfen dem ZDF Behäbigkeit vor. ZDF-Chefredakteur Peter Frey will das nicht gelten lassen, im Interview mit dem medienpolitischen Magazin "promedia" verteidigt er die Vorgehensweise seiner News-Mannschaft. So sei jeder Tag anders, auch beim Amoklauf von München sei die Situation zunächst unklar gewesen. Er habe nicht den "Gladbeck-Fehler" machen und ein Verbrechen live übertragen wollen. Frey: "Auch in Berlin war ja zunächst unklar, womit wir es zu tun haben. Außerdem brauchen wir Reporter und Produktionsmittel vor Ort, um überhaupt senden zu können. Auf dem Sender zu spekulieren, gar nicht selbst am Tatort zu sein und sich nur mit Experten-Einschätzungen zu behelfen, vergrößert nur die Unsicherheit."

Die guten Quoten des "heute-journals" an dem Abend beweisen laut Frey zudem, dass "Menschen verstehen, dass solider Journalismus Zeit für Recherche braucht". Auch der Einwand, dass ARD und ZDF auf ihren Spartenkanälen schneller über das Ereignis hätten berichten können, bügelt Frey ab: "Ich glaube, dass in solchen Lagen ZDF und ARD ihre Kräfte zu Recht auf ihre Hauptprogramme, auf die jeweils folgende Nachrichtensendung und eventuelle Sondersendungen konzentrieren, und dass dafür dann auch alle verfügbaren Ressourcen gebraucht werden."

Nach den jüngsten Anschlägen in Deutschland habe man beim ZDF über besondere Nachrichten-Lagen gesprochen und ein Regelwerk für die Kommunikation und Entscheidungswege im Haus entwickelt, sagt Frey im Interview mit "promedia". "Aber zur Wahrheit gehört dazu, dass kein Sender der Welt an allen möglichen Anschlagsorten sofort präsent sein kann." Im Zuge dessen gibt Frey auch zu bedenken, dass einige Medien das Spiel der Terroristen bereitwillig mitspielen würden. "Wir müssen uns schon darüber im Klaren sein, dass das Spiel mit der Aufmerksamkeitsspirale zum Kalkül der Terroristen gehört. Sie wollen Angst und Schrecken verbreiten, Menschen einschüchtern und unseren ‘way of life’ dadurch zerstören. Medien, die unter dem Druck von Wettbewerb und Geschwindigkeit alle Distanz aufgeben, machen das Geschäft der Terroristen."

Auf Facebook würde Frey gerne noch mehr machen als bislang. "Wir würden hier gerne präsenter sein, ich würde sogar sagen: wir müssen es sein, weil wir diese neuen Räume der Öffentlichkeit nicht den Faktenverdrehern und Fälschern überlassen dürfen." Dennoch müsse man sich angesichts der knappen Ressourcen "nach der Decke strecken". Gleichzeitig wisse man nicht, ob sich der Personaleinsatz für Social Media im Vergleich zu den anderen Ausspielwegen überhaupt lohne. Die vielzitierten Filterbubbles sieht auch Frey. Er fürchtet, dass diese kaum noch zu durchdringen sind. "Aber wir müssen dennoch im Netz präsent sein, vor allem weil wir wissen, dass sich insbesondere Unter-30-Jährige geradedort mit News versorgen." Dass vor allem die Öffentlich-Rechtlichen im Netz teils heftiger Kritik ausgesetzt sind, weiß Frey. Gleichzeitig sagt er auch: "Wir dürfen wir uns von der schrillen Stimmungsmache einer Minderheit nicht so sehr treiben lassen."

Im Zuge der "Fake News"-Debatte sagt Frey: "Facebook und Co. müssen endlich Verantwortung für das tragen, was bei ihnen publiziert wird." Es könne nicht sein, das öffentlich-rechtliche und private Sender sowie Print-Medien ganz genau überprüft werden und ggfs. Rügen kassieren bzw. sich entschuldigen müssen, während im Netz "Wildwest" herrsche. "Gewaltverherrlichung, Volksverhetzung, Lügen sind keine Kavaliersdelikte. Europa hat an dieser Stelle eine andere Tradition als die USA", sagt Frey. Europa müsse einen Weg finden, die "amerikanischen Monopolisten zu zivilisieren" - zumindest dann, wenn sie im europäischen Kulturraum agieren. Dafür brauche es weitergehende Regelungen als bislang.