Als der "Stern" 1983 die angeblichen Tagebücher Adolf Hitlers veröffentlichte, schien es, als sei dem Hamburger Magazin ein Coup gelungen. Doch schon wenig später entpuppten sich die Bücher als vollständige Fälschung, die den "Stern" in eine tiefe Krise stürzten. Bis heute liegen die Originalbände der "Hitler-Tagebücher" in einem Safe bei Gruner + Jahr - und abgesehen von einigen im "Stern" veröffentlichten Auszügen war das Werk des Fälschers Konrad Kujau bislang nicht zugänglich.

Bis jetzt, denn überraschend hat der NDR angekündigt, die gefälschten Tagebücher in einer kritischen Ausgabe mit wissenschaftlichen Kommentierungen des Politikwissenschaftlers Prof. Hajo Funke von der FU Berlin zu veröffentlichen. Sie sollen ab diesem Donnerstag um 18:00 Uhr online auf NDR.de bereitstehen. Zeitgleich wird die vollständige Recherche auch in der neuen Sendung "Reschke Fernsehen" in der ARD-Mediathek abrufbar sein. Die TV-Ausstrahlung erfolgt um 23:35 Uhr im Ersten.

Wie der NDR mitteilte, sei es gelungen, die kompletten 60 Bände der "Hitler-Tagebücher" lesbar und auch recherchierbar zu machen. Dem Projekt liegen demnach Kopien der Tagebücher zugrunde. Mit Hilfe einer Künstlichen Intelligenz konnte die gefälschte Handschrift Hitlers in ein Transkript übersetzt werden. Damit werde zugleich erstmals in vollem Umfang deutlich, in welcher Absicht die Fälschungen verfasst wurden und wie der "Stern" bereit war, die NS-Geschichte neu zu deuten und zu verharmlosen.

Kujau tiefer in neonazistisches Umfeld verstrickt

"Diese Tagebücher sind Ausdruck von Holocaustleugnung. Das ist eindeutig", so Prof. Hajo Funke. "Sie wollten Hitler von den schlimmsten Verbrechen der Nazis freisprechen." Die Historikerin Heike Görtemaker, die ebenfalls Teil des wissenschaftlichen Beirats war, unterstreicht die massive historische Umdeutung. "Der fiktive Hitler hat mit nationalsozialistischen Gewaltverbrechen nichts zu tun. Er ist sogar derjenige, der versucht, andere seiner Parteigenossen im Zaum zu halten", sagte Görtemaker. "Kujau erfindet hier eine positive Hitlerfigur."

Die neuen Recherchen sollen belegen, dass Konrad Kujau tiefer in ein neonazistisches Umfeld verstrickt war als bislang bekannt. Dem NDR zufolge habe er bis in die frühen 80er-Jahre hinein Kontakte zum Umfeld des Neonazi-Führers Michael Kühnen, dem Leiter der später verbotenen Aktionsfront Nationaler Aktivisten (ANS), gehabt .Er war zudem offenbar eng verbunden mit dem Pressesprecher Kühnens, Lothar Zaulich, mit dem er gemeinsam in den 70er-Jahren Hitlerfälschungen verkaufte. So erstellte Zaulich Reproduktionen von Hitler-Portraits und brachte Kujau bei, wie man sie mit gefälschten Hitler-Unterschriften versieht.

Der "Stern" äußerte sich unterdessen gegenüber dem NDR nicht zu den Recherchen, betonte stattdessen lediglich, dass man die Originale der Tagebücher nie für die Öffentlichkeit freigegeben habe, um "Missbrauch zu verhindern". Eine 2013 vom "Stern" zugesagte Freigabe der Originale an das Bundesarchiv ist bis heute nicht erfolgt.