Eigentlich habe ich keine Zeit, eine Serie, die mir beim ersten Mal nicht gefallen hat, nur eines weiteren winzigen Blickes zu würdigen. Da ich im vorigen Satz das Wort "eigentlich" verwendet habe, wissen Sie ja, was Sie als nächstes erwartet: uneigentlich. (Wie? "Uneigentlich" hatten Sie nicht erwartet? Hm. Ja, es steht nicht im Duden. Na gut, dann versuche ich es mit einer anderen Formulierung:) Doch hin und wieder kann es unter Umständen vorkommen, dass ich mich umentscheide, dass ich mir eine Serie, die ich vor längerer Zeit aussortiert hatte, noch einmal vornehme.

Denn erstens ist so ein erster Eindruck ja nie objektiv und immer auch abhängig von der Situation oder Laune, in der ich gerade bin - und zweitens muss ich einer Serie zugestehen, dass sie sich anders entwickeln kann, als ich es nach dem ersten Blick denke. Im vergangenen Jahr war "The Good Wife" so ein Fall, dieses Mal ist es "Outlander"

Ich habe in den vergangenen drei Wochen einige Zeit in Schottland verbracht. Zuerst war ich im wahren Leben mit Mann und Tochter eine Woche in Edinburgh. Wieder zurück in Hamburg entschloss ich mich, "Outlander" eine zweite Chance zu geben. Vielleicht, weil ich noch ein bisschen virtuell in Schottland verweilen wollte. Auf jeden Fall aber, weil die Serie in letzter Zeit immer öfter in meinem Wahrnehmungsfenster aufgetaucht ist. Denn zum Start der zweiten Staffel in den USA wurde sehr viel darüber geschrieben. Und folgende Aspekte in der Berichterstattung haben mich neugierig gemacht: "Outlander" hebe sich von ähnlichen Serien stark ab, komplexe Frauen-Figur, ungewöhnlicher Umgang mit Sexszenen. Wobei ich natürlich immer noch etwas skeptisch war und mich fragte: Meinen die wirklich die Serie, in die ich 2015 mal reingeguckt habe?!

Denn im Mai 2015 hatte ich folgenden Eindruck: kitschig hoch drei. Beim Anschauen des Vorspanns dachte ich mir schon: Och nö, das sieht ja sehr nach Friede, Freude, Eierkuchen und Schottlandverklärung aus. Und schaltete weiter. Aus Neugier schaute ich zehn bis zwanzig Minuten später wieder bei "Outlander" auf Vox vorbei - ich kann mich nicht mehr genau an die Szene erinnern -, und dachte wieder: Puh, das ist mir zu gefühlsduselig. Und das war es dann mit "Outlander" und mir. Zumindest vorerst.

Zweiter Eindruck vom Vorspann: Joah, immer noch kitschig. Aber ich halte durch, schalte nicht aus. Schließlich erwarte ich Großes. Zweiter Eindruck der Handlung: Hm. Aber auch hier halte ich durch. Schließlich erkenne ich Tobias Menzies wieder, den ich aus großartigen Serien wie "The Honourable Woman" und "The Night Manager" kenne. Und auch die weibliche Hauptdarstellerin Caitriona Balfe zieht mich langsam aber sicher in ihren Bann. Kurz vor Ende der ersten beiden Folgen endlich stellt sich das "Oh, könnte doch was für mich sein"-Gefühl ein. Und ich schaue sofort weiter. Am Ende der dritten Folge dann weiß ich: Ja! Super Serie!

Die Highlander-Welt im 18. Jahrhundert, die dort erschaffen wird, ist faszinierend und sehr überzeugend umgesetzt. Ich reise mit der Haupfigur Claire in eine dreckige, dunkle, brutale, feindselige, nasskalte Zeit, in der Frauen sich Männern unterordnen müssen. Und in der jeder - auch jeder Mann - auf mehreren Ebenen ausgeliefert ist: der Natur, dem Wetter, dem Machthaber, manchmal den englischen Soldaten, dem Clanschef, den Bräuchen und der Kirche. Und Frauen außerdem: jedem Mann. Nach und nach lernt Claire zwar, sich durchzusetzen und entdeckt, dass es auch in dieser abweisenden Welt Menschen gibt, denen etwas an ihr liegt. Doch es bleibt eine Gesellschaft, in der man keine Frau sein möchte - wenn man die Wahl hat. Claire, die aus dem Jahr 1945 stammt, hat eine Wahl. Und setzt alles daran, wieder in ihre Zeit zurückzukommen. Und klar, es geht viel um Liebe und so einen Kram. Aber gefühlsduselig ist die Serie nicht. Denn die Gefühle sind nicht aufgesetzt, sondern ergeben aus der Entwicklung der komplexen Figuren heraus sehr viel Sinn. 

Die Bilder sind atemberaubend. Und zwar auf unterschiedliche Art: die bis ins Detail stimmige Ausstattung, die Kostüme, die Kulissen, die Drehorte, egal ob man gerade im Jahr 1945 oder im Jahr 1743 ist. Dann die Übersetzung der Gerüche in Bilder - bei manchen Szenen im Schloss bin ich froh, dass es noch immer kein Geruchsfernsehen gibt. Und natürlich die Landschaftsaufnahmen von Schottland, die spektakulär sind - selbst im Regen.

Ich bin jetzt eigentlich schon viel zu sehr ins Detail gegangen, schließlich dreht sich der Text ja nicht nur um "Outlander", sondern auch darum, dass es sich lohnen kann, einer Serie eine zweite Chance zu geben. Aber zwei Dinge muss ich noch kurz loswerden: Es trägt durchaus zu meiner Begeisterung bei, dass die weibliche und die männliche Hauptrolle mit zwei unglaublich gutaussehenden Menschen besetzt sind, die dann auch noch wirklich viel nackte Haut zeigen. Und: die nackte Haut wird sehr spannend inszeniert. Ausgiebige Sexszenen, bei denen mir das Zugucken sehr viel Spaß macht und bei denen ich trotzdem das Gefühl habe, dass sie die Handlung beziehungsweise die Charakterbildung vorangebracht haben. Hört sich überfrachtet an - ist es aber gar nicht. 

Ein wichtiger Punkt ist hier übrigens der Originalton: Als ich 2015 reinschaltete, war das die deutsche Version. Jetzt habe ich mich für die Originalversion entschieden. Das gibt der Serie mehr Authentizität, weil die wichtigen schottischen Figuren auch wirklich von Schotten gespielt werden - und sie Englisch mit einem harten, kantigen Akzent sprechen.

Die Wirkung des Vorspanns hat sich für mich übrigens komplett verändert. Ich kann zwar verstehen, warum ich ihn sowohl beim ersten als auch beim zweiten Mal so kitschig fand. Aber jetzt, nach dem Gucken der ersten Staffel, gibt er in meinen Augen die Serie sehr gut wieder. Fast alle der Szenen, die darin vorkommen, haben in der Serie eine wichtige Bedeutung, der Vorspann ist also ein Kondensat dessen, was "Outlander" ausmacht. Insofern eigentlich perfekt. Wenn da nicht das leider nicht zu unterschätzende Problem wäre, dass sich das einem Nicht-Kenner nicht erschließt. 

Worauf ich hinaus will? Manchmal ist eine zweite Chance sinnvoll. Es muss aber gut abgewogen werden, ob sie sich lohnt. Bei vielen Serien liegt man mit dem ersten Gefühl, das man hat, ja doch richtig. Schließlich ist das Entscheidende immer der eigene Geschmack - selbst solche Serien, die nach professionellen Kriterien sehr hochwertig sind, müssen nicht jedem gefallen. Ich zum Beispiel bin bei "Mad Men" mitten in Staffel zwei ausgestiegen. Es hat zwischen uns beiden einfach nicht gefunkt. Und ich bin mir sicher: "Mad Men" werde ich keine zweite Chance geben. Obwohl ich weiß, dass es eine sehr gute Serie ist. Aber für mich ist sie eben nichts.

Und zum Schluss habe ich noch einen Lesetipp und drei Gucktipps:

Für alle, die von "Outlander" ähnlich begeistert sind wie ich: Die Recaps von "Professional Fangirls" sind wirklich köstlich. Treffend und sehr witzig. Mein Favorit: der Text zu Folge 7 "The Wedding"

HBO trumpft nächste Woche richtig auf und lässt drei hochkarätige Serien am 24. April weitergehen: "Game of Thrones" Staffel 6 - "Veep" Staffel 5 - "Silicon Valley" Staffel 3. In Deutschland sind sie alle ab 25. April auf Sky on Demand, Sky Go und Sky Online zu sehen, "Game of Thrones" außerdem auf Sky Atlantic.

Jetzt zum wirklich Wichtigen: Wo kann man das gucken, über das ich schreibe?

"The Good Wife": Die sechste Staffel läuft derzeit bei Sixx. Fünf komplette Staffeln und die bereits gesendeten Folgen der sechsten gibt's bei Amazon Video, iTunes und Maxdome, andere Dienste habe einzelne Staffeln. Wer die komplette Staffel 6 und die bereits gesendeten Folgen von Staffel 7 gucken will, wird zum Beispiel bei iTunes US fündig. 

"Outlander": Nur einen Tag nach Ausstrahlung in den USA sind die neuen Folgen beim Pay-Sender RTL Passion zu sehen - im Originalton. Die erste Staffel und die bereits gesendeten Folgen der zweiten Staffel gibt's bei den Streamingdiensten Amazon Video, iTunes, Maxdome, Sony. Nur die erste Staffel ist bei Netflix und Xbox Video verfügbar. Staffel 1 gibt's auf DVD. 

"The Honourable Woman": Die Serie läuft derzeit beim Pay-Sender Sony Entertainment TV. Die einzige Staffel gibt's bei Amazon Video, Maxdome und iTunes. Und auf DVD.

"The Night Manager": Nur bei Amazon Video. Und auf DVD.

"Mad Men": Läuft derzeit auf keinem Sender. Alle sieben Staffeln gibt's bei Amazon Video, iTunes, Maxdome und Watchever. Andere Anbieter haben einzelne Staffeln. Gibt's auf DVD.

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