Es waren einmal vier junge Männer, die etwas anders waren, als die meisten um sie herum: Sie erforschten, was die Welt im Innersten zusammenhält, interessierten sich für Bücher mit vielen Bildern, spielten gerne Spiele mit Würfeln und viel Fantasie, und wenn sie miteinander redeten, war das für einige um sie herum nur schwer zu verstehen. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann sind sie auch in 100 Jahren noch Mittelpunkt einer sehr unterhaltsamen Comedy von CBS. Zu schön, um wahr zu sein. Denn schon jetzt, am Ende von Staffel 9, sind die vier Protagonisten von "The Big Bang Theory" längst nicht mehr das, was sie zu Beginn einmal waren. Und das ist sehr schade. 
 
 
Ich war fasziniert davon, dass es tatsächlich jemand wagte, Charaktere wie Leonard, Sheldon (!), Raj und Howard in den Mittelpunkt einer Sitcom zu stellen. Mainstream sah vor neun Jahren anders aus - weswegen in der Serie die blonde Penny gegenüber einzog. In der Zwischenzeit hat sich nicht nur in der Serie, sondern auch in der Realität drumherum einiges getan: Nerds sind im Mainstream angekommen. Und dazu hat die Sitcom einiges beigetragen, keine Frage. Umso erschreckender, dass sich der Inhalt dieser Serie vom Nerd-Leben zum Paar-Leben verändert hat. Und nicht in ein Nerd-Paar-Leben - was spannend hätte sein können. Nein, es ist, als hätten die Drehbuchautoren seit anderthalb Jahren das Festhalten am Nerdtum eingestellt und sich darauf konzentriert, möglichst stinknormale Paare mit stinknormalen Konflikten zu erschaffen. Und ich habe keine Ahnung, warum. (Ich komme mir ein bisschen vor wie die kleinen rothaarigen Trolle, die nach dem zerstörerischen Verhalten von Ronja Räubertochter hilflos durch die idyllischen Wälder rennen und "Wiesu denn bluß?" rufen.)
 
Jaja, ich weiß, die Sitcom war nicht perfekt. Oft hat sie ihre eigenen Protagonisten nicht ernst genommen und ohne besonderen Twist ins Lächerliche gezogen. Und ja, auch hier wurden sehr viele Stereotype bedient. Dennoch: Sie hatte ganz starke Momente, in denen die oft ausgegrenzten, belächelten Nerds die wirklichen Helden waren, die interessanteren Menschen mit spannenden Ideen. In denen mir klar wurde: Hier sind Drehbuchautoren am Werk, die ihre Hauptfiguren wertschätzen, mögen und nicht ins Null-acht-fünfzehn-Sitcom-Figur-Förmchen pressen. 
Leider sind diese Momente immer seltener geworden, die Entwicklung der Figuren wird für mich immer uninteressanter. Während ich - für eine Sitcom ja noch immer ungewöhnlich - einige Staffeln lang wirklich mit den Ereignissen mitfieberte und mich auf die jeweils neue Folge freute, sind mir das Mitfiebern und die Vorfreude in Staffel 9 plötzlich abhanden gekommen. Klar, ich gucke jede Folge, sie unterhält mich, manche Gags sind richtig gut. Doch das Nerd-Feuer, es ist aus. So ist es auch kein Wunder, dass es für das Staffelfinale - das in den USA vor gut einer Woche lief - Gaststars wie Christine Baranski und Laurie Metcalf brauchte, um die Episode aus dem Staffel-9-Einheitsbrei hervorzuheben.  
 
Mich interessieren die Figuren nicht mehr, denn das Besondere, ihre Andersartigkeit ist abhanden gekommen. Die Figuren, die Situationen, sie haben sich abgenutzt oder müssen längst bekannte und schon in anderen Serien tausendmal abgearbeitete Konflikte durchleben - leider ohne neue Ansätze. Und bestimmte Konstellationen erschließen sich mir auch nicht mehr: Warum genau sind Bernadette und Howard zusammen? Sie wirken nur genervt, wenn sie miteinander zu tun haben, und Anziehung ist keine vorhanden. Liegt das an den Schauspielern oder am Drehbuch? Vermutlich an beidem, irgendwie. 
 
Kommen wir zu Raj. Eine Figur, die ich bisher wirklich mochte. Doch jetzt ist es mir völlig egal, ob er nun mit der alten oder der neuen Frau etwas hat oder gar mit beiden  Und auch die neue Frau ist mir egal, weil ihr keine Eigenständigkeit zugestanden wird. Sie ist nur da, damit Raj eine eigene Handlung hat - und entsprechend flach ist die Figur daher. Dabei könnte sie neben Raj eine spannende Figur sein, wenn man ihr mehr Raum und Charakter geben würde.
 
Penny und Leonard. Die haben sich ja nun mal. Und das ist ganz nett. Aber mehr eben auch nicht. Denn den Autoren ist es nicht gelungen, die klassische On-Off-Beziehungskiste, die viele Sitcoms vorantreibt, zu einer tragfähigen Paar-Alltags-Geschichte zu entwickeln. Die beiden sind verheiratet. Aber das heißt noch lange nicht, dass es nichts Interessantes mehr zu erzählen gibt. Im Fall von Penny und Leonard leider schon.
 
Muss ich jetzt noch etwas zu Sheldon sagen? Vermutlich schon. Aber was soll ich da nur sagen? Selbst er ist da angekommen, wo er langweilig geworden ist: in einer Beziehung. Mit Körperkontakt.
 
Achja, es hätte so schön nerdig bleiben können mit Euch, Jungs. Aber nein, Ihr musstet Euch ja unbedingt auf das konventionelle Paar-Leben konzentrieren.

Und noch zwei Hörtipps zum Schluss:

Achtung, jetzt kommt zweimal Eigenwerbung. ;-) Die "Seriendialoge" sind nämlich zurück. Die zweite Podcast-Staffel ist vergangene Woche gestartet. In der ersten Folge rede ich mit dem Drehbuchautor Manuel Meimberg über "Friends" - und darüber, was eine gut geschriebene Comedy ausmacht. (Was natürlich auch für "The Big Bang Theory" gilt.) Das Audiofile gibt es nach diesem Absatz und mehr Infos hier

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In der zweiten Folge, die am Freitag veröffentlicht wurde, geht es um die dystopische Serie "Black Mirror". Ich rede mit Serienjunkie Marco Maas darüber, warum wir uns alle mit den pessimistischen Szenarien, die in der Serie gezeichnet werden, beschäftigen sollten. Nach diesem Absatz gibt's das Audiofile zum Anhören, weitere Infos hier

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Jetzt zum wirklich Wichtigen: Wo kann man das gucken, über das ich schreibe?

"The Big Bang Theory": Auf ProSieben läuft die Serie an fast jedem Wochentag zu unterschiedlichen Tageszeiten. Folgende Streaminganbieter haben alle neun Staffeln im Angebot: Amazon Video (teilweise Prime), Maxdome, iTunes. Auf Netflix gibt es acht Staffeln. Staffeln 1 bis 8 gibt's auf DVD.

Wer mir auf Twitter folgen möchte, kann das hier tun: @FrauClodette.