Foto: Johnny HaeuslerLieber Herr Haeusler, von ihrem Büro aus sieht man auf eine Straße – den berühmten Spreeblick gibt es nicht mehr. Was bleibt als Kerngedanke Ihres Blogs?

Die Spree ist immer präsent, auch wenn wir sie jetzt nicht sehen, und es bleibt ein Traum, mal wieder einen echten Spreeblick zu genießen. Unser Kerngedanke ist aber allenfalls ein stilistischer. Wir suchen immer neue Ansätze, wir vollziehen Paradigmenwechsel. Was man bei uns nicht findet, sind testosterongesteuerte Beiträge. Meine Frau verantwortet den Blog mit, wir versuchen insbesondere, Frauen als Leserinnen einzubinden. Wir verzichten auf -ismen und versuchen, uns immer wieder daran zu erinnern, dass wir über Positives schreiben wollen, statt nur zu kritisieren. Schnelle Kritik ist viel zu einfach.

Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Blogeintrag? Hat sich Ihre Herangehensweise seitdem verändert?

Das kann ich nicht leugnen. In fast 7 Jahren hat sich vieles verändert. Ganz einfach: Man versucht, besser zu schreiben, witziger zu sein, stilistisch sicherer. Im ersten Blogeintrag ging es um eine kuriose Situation am Kiosk, ein Alltagserlebnis. Natürlich hat sich auch unsere Themenpalette verändert. Den wichtigsten Unterschied macht für uns die Zahl der Leser – es ist nicht unwichtig, ob es 8 oder 8000 sind. Da tauchen beispielsweise Humorgrenzen auf, plötzlich gibt es Leser, die meinen Humor nicht verstehen.
 


Und es gibt Raum für Debatten. Suchen Sie danach?

Ja. Ich habe lange Jahre beim Radio gearbeitet und das Bloggen schon früh mit einer Moderatorentätigkeit verglichen. Manchmal reicht es, auf ein Thema hinzuweisen, um die Debatte in den Kommentaren stattfinden zu lassen. Oft reflektiert man so auch seinen eigenen Standpunkt neu.

Was sich nicht wegdiskutieren lässt, ist die Motzkultur, die in Blogs gepflegt wird.


Klar: Je mehr Blogs geschrieben und gelesen werden, umso breiter wird die Bevölkerungsschicht, die an den Debatten beteiligt ist. Umso wichtiger ist, dass die Leute Argumente beachten und sich respektieren, statt zu beleidigen. Es geht mir gegen den Strich, dass sich Leute, die sich nicht kennen, gegenseitig wild beschimpfen. Mich können sie ruhig beleidigen, denn durch Spreeblick hat die Person Johnny Haeusler ein Eigenleben bekommen, das so oft nur in den Köpfen einiger Leser exisitiert.
Foto: Johnny HaeuslerSuggeriert ein Blog eine Privatheit, die es eigentlich nicht geben kann?

Ich habe auf Spreeblick noch nie mein Innerstes nach Außen gekehrt, ich glaube auch nicht, dass das irgendein Blogger tut. Natürlich weiß man, dass man mit Fremden kommuniziert und bemüht sich, sich dementsprechend zu verhalten, auch wenn dabei manchmal Fehler passieren.

Welche Texte würden Sie gern zurücknehmen?

Ach, das waren Schnellschüsse. Geschichten, die ich zu schnell aus dem Netz aufgenommen habe, in die ich mich zu unmittelbar eingeklinkt habe. Ich sehe es im Moment als eine große Herausforderung an, die Meinungsvielfalt zu stärken, die das wichtigste Plus von Blogs sind. Derzeit muss man manchmal feststellen, dass zu viele zu oft in die gleiche Kerbe hauen. Jemand, der beispielsweise einen Pro-Wolfgang-Schäuble-Beitrag schreiben würde, wäre wohl schnell vogelfrei.

Wenn viele in eine Kerbe schlagen, wie bei Schäubles Vorratsdatenspeicherung, warum kommt dann so wenig dabei heraus?


Ich mache Spreeblick nicht, um gesellschaftliche Relevanz zu erreichen. Das halte ich für utopisch. Die Blogosphäre ist meist nicht einer Meinung, sie ist keine homogene Masse. Bei der Vorratsdatenspeicherung haben viele Blogger erreicht, dass das Thema bei Google hochgeschwemmt wurde, dass viele Informationen dazu verfügbar sind. Ein Teil der Aufmerksamkeit für dieses Thema wurde durch Blogs gefördert. Blogs haben in Deutschland ein komisches Image, manchmal das eines Pöbelstammtisches. Das ist in Frankreich und den USA anders.

Ist dieses Imageproblem hausgemacht – weil sich jeder in der Blogosphäre zuallererst mit sich selbst beschäftigt?

Selbstreferenzialität ist okay, denn Blogs sind als Medium noch jung, sie stehen erst am Anfang einer Entwicklung. Aber entscheidend sind die Autoren. Ein guter Autor mit einem besonderen Stil findet mit der Zeit auch mehr und mehr Leser. Stefan Niggemeier erreicht eine ganze Menge Leser, obwohl er noch gar nicht so lange bloggt, und das liegt an seiner Person und seinen Fähigkeiten. Auch die „FAZ“ oder die „Süddeutsche“ lebt von jedem einzelnen Autor.
 
Was muss ein „Spreeblick“-Autor mitbringen?

Meistens ist es eine Bauchentscheidung – aber was ich mag, ist eine hohe Eigenständigkeit der Autoren. Ich brauche keinen zweiten Johnny Haeusler, oder die Kopie irgendeines anderen Autoren. Was mich neugierig macht, sind Einzigartigkeiten, durchaus auch Schrägheiten. Meistens kommen wir mit den Autoren durch irgendwelche Zufälle zusammen – sehr selten über eine Bewerbung. Manchmal bekomme ich Anschreiben von Leuten, die noch nie etwas im Netz veröffentlicht haben und gleich „groß“ veröffentlichen wollen. Das passt bei uns nicht rein. Ich bin kein Kindermädchen und kein Ausbildungsunternehmen für Blogger. Blogger müssen selbst Eier haben.

Mir ist aufgefallen, dass Sie Pate stehen könnten für die zyklische Entwicklung des Internet: Sie leiteten mit „defcom“ zunächst eine erfolgreiche Agentur, mussten dann Insolvenz anmelden, und schafften das Comeback mit „Spreeblick“.

Zeitlich würde das hinhauen, aber auf defcom trifft das nicht ganz zu – wir hatten so gut wie keine New-Economy-Kunden und haben eher für klassische Unternehmen gearbeitet. Kurz vor der Insolvenz dachten wir eigentlich, wir gehören zu den „Überlebenden“ der New Economy. Aber dann kam das eine, große Projekt, das nicht bezahlt wurde, ein jahrelanger Rechtsstreit und die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens. Das Bloggen hatte eine selbsttherapeutische Funktion, eigentlich war es am Anfang pure Erholung.