Wenn RTL II am 20. und 21. September zur besten Sendezeit die "Neandertaler" loslässt, schließt sich für Autor und Produzent Nikolaus Krämer ein achtjähriger Kreis zwischen Idee und TV-Premiere. Der gebürtige Deutsche, seit 15 Jahren in Los Angeles zu Hause, hat den Vierteiler mit seiner Firma Atlantic Crossing Entertainment an der Seite der inzwischen zur Bavaria gehörenden Ninety-Minute Film koproduziert.

Nach Ansicht der ersten Folge – mehr bekommt die Presse vorab nicht zu sehen – lässt sich feststellen, dass die spannende, dynamisch erzählte Krimikost mit SciFi-Touch deutlich mehr Mainstream-Popcorn-Potenzial aufweist als das ambitionierte "Gottlos", mit dem RTL II sein Quoten-Glück im Februar vergeblich versucht hatte. Dem Vernehmen nach soll "Neandertaler" ab 8 Prozent Marktanteil aufwärts in eine zweite Staffel gehen, deren Outlines Krämer schon in der Schublade hat.



Für Mainstream steht der Name Nikolaus Krämer ohne Zweifel: Als US-Austauschstudent der Filmakademie Ludwigsburg wirkte er Mitte der 90er an den Visual Effects von "Independence Day" mit, betreute später als RTL-Redakteur 35 TV-Movies vom Kaliber "Die Mädchenfalle – Der Tod kommt online" und brachte von LA aus gemeinsam mit deutschen Produzenten TV-Events wie "Dresden", "Vulkan" oder "Bermuda-Dreieck Nordsee" auf den Weg. Zum Interview erreicht DWDL.de ihn via Skype in seinem Büro in Tujunga am Rande des Angeles National Forest.

Herr Krämer, ist es für einen in Los Angeles lebenden deutschen Produzenten leichter, eine deutsche oder eine amerikanische Serie zu verkaufen?

Neandertaler© RTL II
Bisher habe ich es fast immer zuerst in Deutschland probiert, weil ich da einfach besser vernetzt bin. In den US-Markt hineinzukommen, ist verdammt schwierig. Wobei ich ehrlich sagen muss: "Neandertaler" habe ich auch in Deutschland über acht Jahre immer wieder angeboten. Alle relevanten Sender haben abgesagt, ein Privatsender sogar zweimal, weil es zwischendurch einen Redaktionswechsel gab. Man kennt ja diese Absagen, die sehr diplomatisch formuliert sind: "zu spitz", "zu extrem". Natürlich ist dieser Stoff alles andere als "middle of the road". Sowas muss man sich trauen. Schließlich haben RTL II und die TMG es gewagt. Dank Andreas Bartl, Tom Zwiessler, Herbert Kloiber sen. und jun. und dank meinem Koproduzenten Ivo Beck konnten wir etwas erzählen, das bei anderen Sendern gar nicht möglich gewesen wäre. Wir hatten eine kreative Freiheit, die es so in Deutschland eigentlich gar nicht gibt und die man nur bei HBO, Showtime oder Netflix in den USA hat. Kein Redakteur, der den Dialog auf Seite 15 des Drehbuchs verbessert wissen will.

Wie gehen Sie vor, um ein neues Projekt an den Mann zu bringen?

Ich schreibe sehr zurückgezogen in meinem Haus in LA. Wenn ich einen Stoff fertig zum Pitchen habe, schicke ich ihn entweder an deutsche Senderredaktionen, zu denen ich einen guten Kontakt habe, oder an deutsche Produktionsfirmen, die besser vernetzt sind und die Zugänge haben, die mir fehlen. Parallel verfolge ich auch internationale Projekte, aber das zieht sich ewig und drei Tage, bis man hier in LA einen Stoff so gepitcht bekommt, dass es überhaupt mal einen Entwicklungsauftrag gibt.

Sind Ihre Ideen und Projekte anders, weil Sie in LA sitzen?

Ich nehme es als Inspiration, hier zu leben. Die Umgebung färbt ab, und das sieht man dann vielleicht an den Stoffen – dass sie außergewöhnlicher sind, dass sie eben nicht "middle of the road" sind, sondern ein gewisses Wagnis eingehen. Nicht noch ein Arzt, Anwalt oder Ermittler. Ich schaue mir den deutschen Markt tagtäglich an und lade mir jede Menge Sendungen via "OnlineTVRecorder" runter, um auf dem Laufenden zu bleiben.

Und wie steht der deutsche Markt in puncto Serie Ihrer Meinung nach da?

Puh, bei der Frage tritt man schnell mal jemandem auf den Fuß... (lacht) Innerhalb von Europa ist Deutschland sicher nicht der innovativste Markt. Wenn man das mit Großbritannien, Frankreich oder auch Italien vergleicht, wird kreativer Wagemut in Deutschland nicht gerade groß geschrieben. Man produziert gern das Bekannte und Bewährte. Deshalb ist deutsches Fernsehen auch international nicht der Brüller – von einigen wenigen Ausnahmen wie "Deutschland 83" abgesehen. Wenn mal was gewagt wird und es dann nicht auf Anhieb funktioniert, zieht man gleich wieder den Schwanz ein. Nach dem Motto: Wir haben's ja versucht. Umfassende und vor allem ehrliche Fehleranalysen bleiben meist aus.

Sind die Entscheider der US-Networks mutiger oder macht es dort einfach die schiere Masse an ständig neuen Serien?

Sowohl als auch. Die Entscheidungsstrukturen funktionieren hier insgesamt professioneller und analytischer. In Deutschland wird Fiction weiter beschnitten, hier geht die Serie so durch die Decke, dass es zur Überhitzung des Marktes kommt. Ein Flop ist in Deutschland für alle viel deutlicher sichtbar und dadurch schwerwiegender.

"Das deutsche Fördersystem krankt daran, dass es viel wichtiger ist, ob ein Stoff den Förderern gefällt, als welche Marktchancen er hat"

Nikolaus Krämer


Noch ein großer Unterschied sind die Budgets. Bei einem US-Sender hätte "Neandertaler" vermutlich hinten eine 0 mehr dran gehabt.

Unser Motto hieß: Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Wir haben vier Episoden produziert zu einem Budget, für das die Amerikaner höchstens eine hinbekommen würden – etwas über zwei Millionen Euro. Da ist bei einer normalen US-Produktion die Grenze nach unten erreicht, bei uns die Grenze nach oben. Wir haben frühzeitig erkannt, dass wir das bei einem Dreh auf deutschem Boden nicht schaffen würden, weil die Kosten zu hoch sind. Und die Filmförderung, um die wir uns bemüht hatten, wurde abgelehnt. Wir sind daher – bis auf zwei Drehtage in Berlin – nach Ungarn ausgewichen und haben dort eine höchst professionelle und vertrauenswürdige Serviceproduktionsfirma gefunden. Am Ende ist nichts aus dem Ruder gelaufen, wir hatten Glück und sind mit HU und Gewinn durchgekommen.

Woran lag die Ablehnung der Förderung – am Stoff, am Sender?

Der Stoff polarisiert – manche lieben ihn, andere hassen ihn. So eine Geschichte bekommt der deutsche Förderer offensichtlich nicht so oft auf den Tisch. Das ist auch ein Unterschied zwischen den Ländern: In den USA sind Film und Fernsehen ein klares Wirtschaftsprodukt, das sich am Markt refinanzieren muss. Das deutsche Fördersystem krankt daran, dass es viel wichtiger ist, ob ein Stoff den Förderinstitutionen gefällt, als welche Marktchancen er tatsächlich hat. Das erinnert mich an den berühmten Spruch meines ehemaligen RTL-Chefs Helmut Thoma: Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.