Selbst wenn man die guten Exportchancen englischer Serien in Rechnung stellt, ist der britische Fernsehmarkt in Relation zum amerikanischen so viel kleiner, dass britischen Sendern für ihre Serien nicht das gleiche Budget zur Verfügung steht wie den Amerikanern. Ende 2011 kündigte der neue NBC-Eigentümer Comcast an, 300 Millionen Dollar mehr in das Programm des Senders stecken zu wollen. Zum Vergleich: Die BBC gibt für ihre gesamte Drama-Produktion etwas über 200 Millionen Pfund (310 Millionen Dollar) aus. Und wird angesichts der eingefrorenen Rundfunkgebühren den Gürtel wohl noch enger schnallen müssen.

In dieser Situation gibt es nun zwei mögliche Strategien: Man kann versuchen, mit den geringeren finanziellen Mitteln die gleiche oder sogar noch eine höhere Dichte von Serien-Episoden zu produzieren, indem man das Produktionsbudget der einzelnen Folgen so weit absenkt, dass die Anzahl von Szenenwechseln, Statisten u.Ä. streng rationiert wird und die Autoren in ein enges, jede Kreativität erstickendes Korsett gezwängt werden. Ein Verfahren, welches manchen Serienmachern in Deutschland bekannt vorkommen könnte.

Oder man reduziert die Anzahl der Folgen, gewährleistet dafür aber eine gleichbleibend hohe Produktionsqualität, wie es die Briten tun. Darauf angesprochen, ob man nicht mehr als drei Folgen von „Sherlock“ im Jahr produzieren sollte, antwortete Autor und Produzent Steven Moffat in einem Interview: „Wir betrachten die Folgen als Filme, und das bedeutet: Sie müssen die Größe und das Gewicht eines Spielfilms haben.“

Doch es ist mehr als nur eine Konzentration der finanziellen Mittel. Es steckt eine ganz Programmphilosophie dahinter, welche sich sehr grundlegend von der unterscheidet, wie sie auf den amerikanischen Networks, aber auch im deutschen Free-TV üblich ist. 2010 ging BBC-Dramachef Ben Stephenson in einem Vortrag explizit auf die Unterschiede zwischen dem amerikanischen und dem britischen Produktionsmodell ein und verteidigte die geringere Folgenzahl britischer Serien mit dem Argument, dass das britische Fernsehen den Autor und seine Idee in den Mittelpunkt stelle: „In den USA sagt man den Autoren: Macht 13 oder 24 Folgen oder verschwindet. Steven Moffat wäre nicht in der Lage, Sherlock so zu schreiben, wie er es möchte. Er würde vor die Tür gesetzt und durch einen Showrunner ersetzt werden, der die kommerziell günstigeren 24 Folgen produziert. Wo sind die Stücke von Autoren, die nicht fünf Jahre lang an einer Idee schreiben wollen? Die nicht den Eindruck haben, dass man ihre Idee über 100 Folgen auswalzen kann, bis es für die Syndication reicht?“ Er sei keineswegs dagegen, selbst eine Serienstaffel mit 24 Folgen zu beauftragen. Aber nur, wenn dies aus der Idee heraus gerechtfertigt sei.

Gleichzeitig unterscheiden sich natürlich auch die Produktionsbedingungen beider Länder. Ein Umstand, auf den kürzlich „Akte X“-Produzent Frank Spotnitz auf einem Drama-Workshop in Berlin hingewiesen hat. Der US-Autor hat gerade die erste Staffel der britisch-amerikanischen Ko-Produktion „Hunted“ (ab Herbst auf BBC One) abgeschlossen – und dabei festgestellt, dass die Arbeitszeiten und damit das Tempo der Dreharbeiten in beiden Ländern erheblich differieren: Während man bei der Produktion einer US-Networkserie seine Familie über neun Monate hinweg nicht zu Gesicht bekommt, endeten die Dreharbeiten in England zu einer Zeit, dass man zum Abendessen zu Hause sei. Das sei gut für die Beteiligten, aber natürlich ein großes Hindernis, wenn man eine hohe Stückzahl von Episoden produzieren wolle.

Nicht aus dem Blick verlieren darf man darüber hinaus das Publikum: Dass die britischen Sender nur vergleichsweise kurze Serienstaffeln produzieren, liegt schließlich nicht zuletzt daran, dass es unter den Zuschauern eine historisch gewachsene Akzeptanz dafür gibt. Die Miniserie, also der klassische Zwei-, Drei- oder Vierteiler mit einem abgeschlossenen Handlungsbogen, hat eine lange, stolze Tradition im britischen Fernsehen und kommt, wie etwa der Erfolg von „Marchlands“ im vergangenen Jahr auf ITV gezeigt hat, nach wie vor beim Publikum sehr gut an. Die britischen Zuschauer sind diese Art kurzer Serien gewohnt. Und wissen sie vielleicht deshalb besonders zu schätzen, weil an anderer Stelle die Soap Opera von so großem Gewicht im britischen Fernsehen ist. Mit Drama Serials wie „Coronation Street“ und „EastEnders“ haben die Briten ja bereits langlaufende Serien im Programm, welche die Zuschauer mit mehreren Folgen pro Woche durch das ganze Jahr begleiten. Und welche vom Publikumserfolg her einen ganz anderen Stellenwert genießen als beispielsweise die Soaps und Telenovelas im deutschen Fernsehen. Vor diesem Hintergrund ist es möglicherweise gar nicht einmal so erstaunlich, dass kurze, auf wenige Folgen konzentrierte Serien und Serienstaffeln für das britische Publikum den Reiz der Abwechslung bergen.