"Mentale Stärke ist auf jeden Fall eine meiner größten Waffen." – "Ich kann schon sehr überzeugend sein." – "Hauptsache du gewinnst – wie du gewinnst, ist am Ende ja egal." – "Ich denke ich hab 'ne gute Menschenkenntnis."
Nein, Sie sind hier nicht aus Versehen in die Übertragung der Highlights aus der Rede von Donald Trump vor der UN-Vollversammlung oder in die Ersten Internationalen Festspiele der Selbstbewusstseinsartikulation hineingeraten – sondern bloß in die Auftaktfolge der neuen ARD-Reality "Werwölfe – Das Spiel von List und Täuschung", die in der vergangenen Woche in der ARD Mediathek gestartet ist.
Und das aus gutem Grund: Denn um ein zunehmend zeitsouverän fernsehendes junges Publikum zu erreichen und die Akzeptanz des Rundfunkbeitrags langfristig aufrecht zu erhalten, schichten die öffentlich-rechtlichen Sender bereits seit einer Weile größere Teile ihres Programmbudgets um: aus dem linearen Programm in die eigenen Online-Kanäle.
Super gefilmtes Psycho-Spielchen
Das geht einher mit einem Vorstoß in Genres, die für die Sender bislang eher untypisch sind. Weil damit die Altersgruppe der über 30-Jährigen angesprochen werden soll, die dem Funk-Kosmos schon entwachsen ist, aber gleichzeitig zu jung für "Sturm der Liebe" und "Presseclub".
Das ist lobenswert, zumal diesen Genres dadurch neue Erzählarten hinzugefügt werden könnten, wie sie die Privaten nicht umsetzen können oder wollen. Im Moment besteht diese Anstrengung aber leider aus einer länger werdenden Liste der verpassten Chance.
Und damit wären wir wieder bei den Werwölfen: In der an "Die Verräter" von RTL erinnernden Reality-Reihe müssen 13 Kandidat:innen einer clever zusammengecasteten Dorfgemeinschaft herausfinden, wer von ihnen als "Werwolf" gegen die eigene Gruppe intrigiert – bevor niemand mehr übrig ist, weil alle gefressen wurden: Rapper gegen Mathematikerin gegen Unternehmensberater gegen Content Creatorin. Das Psycho-Spielchen ist toll gefilmt und super geschnitten. Zugleich muss man arg viel Geduld mitbringen, weil "Werwölfe" seine Zuschauer:innen nur sehr gemächlich einzuweihen gedenkt, welche der Protagonist:innen eigentlich fürs Intrigieren zuständig sind.
Immer dieselben verräterischen Satzfetzen
Stattdessen gibt es sehr viel Raum für wilde Verdächtigungen und Spekulationen, munteres Berufedeuten und ewiges Spielregelnerklären mit neuen Sonderrollen, während immer wieder dieselben vermeintlich verräterischen Satzfetzen einzelner Teilnehmer:innen wiederholt werden.
So kommt "Werwölfe" zumindest in den ersten vier bislang ansehbaren Episoden kaum voran – und wirkt schon nach kurzem unnötig redundant. (Was auch daran liegt, dass es wenig optische Abwechslung gibt.) Daran kann der für das Genre typische Herzschlag-Teaser mit schnellen Schnitten, mystischer Musik, emotionalen Ausbrüchen und Close-ups ebenso wenig ändern wie die zeitweise arg penetrant eingesetzte Wackelkamera, die verfremdeten Werwolf-Stimmen und die ständige Unschärferegulierung der Kamera. Irgendwann hat man's kapiert.
Vor allem aber versäumt die Produktion, ein paar durchaus interessante Fragen zu beantworten, die nahe gelegen hätten. Zum Beispiel: Haben die hier zur Schau gestellten Mechanismen innerhalb der Gruppe womöglich eine tiefere gesellschaftliche Relevanz? Oder: Wie formen Verdächtigungen und die (Über)Interpretation bestimmter Verhaltensweisen unser aller Verhalten im Alltag?
Wo bleibt der Reality-Realitäts-Check?
Schon um Redundanzen aufzubrechen, hätte es dem Format gut getan, eine Ebene einzuziehen, auf der eine eigens für das Experiment eingeweihte Psychologin bzw. ein eingeweihter Psychologe bewertet, warum Menschen in Situationen so reagieren, wie sie es im Format eben (unter künstlich herbeigeführten Bedingungen) tun bzw. welche Dynamiken daraus erwachsen: eine Art Reality-Realitäts-Check.
Das hätte "Werwölfe" tatsächlich einzigartig im deutschen Bewegtbildmarkt werden lassen können. Und dem Genre zugleich eine neue Dimension hinzugefügt.
Noch auffälliger ist die Leerstelle bei "City of Love", dem von SWR und hr gemeinschaftsproduzierten "Regionalen Reise-Dating-Format", das seit wenigen Wochen in der ARD Mediathek zum Abruf steht. In jeder der vier Episoden treffen sich Singles in deutschen Städten, um sich bei redaktionell bestimmten Aktivitäten besser kennen- und im Idealfall sogar lieben zu lernen.
Weipperts Knick-Knack-Bullshit-Kommentare
"Challenges, Abenteuer, Herzrasen", verspricht Moderatorin Lola Weippert vorher – tritt aber zum Beispiel in der Frankfurt-Folge nur so selten selbst in Erscheinung, dass man das Spektakel auch einfach "Wo ist Lola?" hätte betiteln können. So müssen sich Franzi und Kevin sowie Robin und Tajan in der "Liebes-Rikscha" von Weippert nur per Tablet durch die Stadt begleiten, um in voraufgezeichneten Schnipseln mit nichtssagenden Standardfragen behelligt zu werden ("Überraschung, ich bin's – sagt mal, wieviel Nähe braucht ihr eigentlich in einer Beziehung?" – "Hey ihr zwei, sagt mal: Was bringt euer Herz so richtig zum Rasen?").
Für die Zuschauer:innen spricht die Gastgeberin im Splitscreen augenzwinkernde Knick-Knack-Bullshit-Kommentare ein, während die Dating-Paare im Palmengarten Herzen aus Blumen einpflanzen und Spezialitäten in der Kleinmarkthalle verkosten: "Mensch Kevin, das ist doch die perfekte Steilvorlage, um ihre eine private Pilatesstunde anzubieten." Und: "Oh-oh, ich hab das Gefühl, Tajan hat richtig Lust auf die Mund-zu-Mund-Beatmung – natürlich nur für die erste Hilfe, ist ja klar."
Der Kontakt ist leider abgebrochen
Regelmäßig scheint die Ambition durch, die gesammelten Oberflächlichkeiten durch ein kleines Frankfurt-Porträt zu bereichern. Eigentlich aber wird mit Minimal-Fakten zwischen Hochhäusern im "Mainhatten" und urigen Apfelweinkneipen in Sachsenhausen bloß das Klischeebild einer Stadt gezeichnet, in der wirklich nur die Haupttouristenattraktionen abgeklappert werden: Palmengarten, Museumsufer, Alte Oper, Börse, Römer.
Das alles ist so harmlos und egal, dass es auch nicht weiter verwundert, wenn die ARD-Amor-Ambition am Ende in der Vollkapitulation endet – weil das erste Paar schon von vornherein auf das in Aussicht gestellte Candlelight-Dinner verzichtet. Und es beim zweiten nach dem Abspann heißt: "Tajan hätte gern noch ein Date gehabt … Robin konnte leider keinen passenden Termin finden, der Kontakt ist leider abgebrochen."
"Ist es am Ende einfach ein cooler Städtetrip gewesen oder der Beginn einer Love Story?", fragt Weippert zum Schluss. Und die korrekte Antwort darauf lautet leider: weder noch.
Geht Entertainment auch perspektiverweiternd?
Es sagt ja niemand, dass man es nicht trotzdem probieren darf, Dating in Fernsehen und Streaming mal so zu machen, dass alle entweder superpeinlich oder sofort nackt sind. Aber am Ende kann es ja nicht das einzige Ziel der öffentlich-rechtlichen Anbieter sein, nur nicht genauso laut, aggressiv und schamlos zu sein wie die private Konkurrenz.
Ich glaube auch gar nicht, dass es realistisch wäre, jedes Genre, mit dem ARD und ZDF nun experimentieren, von Grund auf neu zu erfinden. Aber was den bisherigen Experimenten fehlt, ist der erkennbare Anspruch, sie so weiterzudenken, dass sie im Kern öffentlich-rechtlich sind – zum Beispiel mit perspektiverweiterender Einordnung, der Vermittlung von relevantem Zusatzwissen, einem überraschendem Aha-Effekt, der über das reine Entertainment hinausgeht. Das wäre dann nämlich wirklich etwas, an dem es dem Bewegtbildmarkt derzeit trotz des allgemeinen Überangebots im Easy-Viewing-Genre fehlt.
Oder, anders gesagt: Dass sich die Dorfbewohner:innen im Düsterwald derzeit bei der Analyse ihrer Eindrücke zur Werwolf-Entlarvung deutlich mehr Mühe zu geben scheinen als Redaktionen von ARD und ZDF mit der Konzeption ihrer jungen Mediathek-Formate, ist leider echt zum Heulen. Und muss sich dringend ändern. Sonst heißt es zum Schluss auch für die Sender und ihre Zielgruppe: Der Kontakt ist leider abgebrochen.
Und damit: zurück nach Köln.
Die ersten vier Folgen von "Werwölfe – Das Spiel von List und Täuschung" und alle vier Episoden von "City of Love" sind in der ARD Mediathek ansehbar.