Eine Stadt am Rhein. Die schneebedeckten Häuser werden von einer gewaltigen Kathedrale überragt, unter der vorweihnachtlich-kommerzielles Treiben in der Fußgängerzone tobt. Mittendrin: ein Entertainer, Kabarettist und Ex-Late-Night-Moderator namens Harald Ebenezer Schmidt.

Landauf, landab war Schmidt als Dirty Harry bekannt: ein hartherziger Knochen, der für viele seiner Mitmenschen bloß Spott übrig hatte und der Welt mit zynischer Strenge begegnete. Tatsächlich blickte der Alte auf eine beachtliche Karriere im Fernsehen zurück, mit dem ihn eine tiefe Hassliebe verband, nachdem es ihn zu einer lebenden Legende gemacht hatte.

Überall, wo er hinkam, war er bislang als Held gefeiert worden. Keine Anmoderation dieser Welt könne ihm vollumfänglich gerecht werden, sagten die, die ihn bei sich empfangen durften. Und Schmidt pflichtete ihnen im Stillen bei.

Erste Strophe: Der alte Schmidt

Er hielt sich für ein Talent, wie es das Fernsehen nach ihm nie wieder gesehen hatte. Deshalb wurmte es ihn, dass er nie so viele Millionen vor dem Bildschirm versammeln konnte wie manche seiner Kolleg:innen. Als Schmidt vor vielen Jahren am Samstagabend moderiert hatte, brachen die Quoten ein. Das hat er nie verstanden. Es war seine größte Enttäuschung.

Denen, die wissen wollten, ob er nicht regelmäßig ins Fernsehen zurückkommen wolle, entgegnete er mit müdem Lächeln, dass das für ihn keinen Reiz mehr habe: "Das, was heute ein Chef im Sender ist, nehm ich keine Sekunde lang ernst."

Dabei war Schmidt so abhängig von der öffentlichen Meinung, wie er es nie zugegeben hätte. Lob ließ ihn schweben. Kritik nagte an ihm. Zu Erfolgszeiten hatte er sich immer durchgesetzt, wie ein afrikanischer Diktator. Doch die Zahl derjenigen, die er nun kommandieren konnte, war mit der Zeit immer weiter geschrumpft. Heute feierten ihn vor allem noch seine Fans in den Feuilletons, denen er Audienz gestattete, um sie an einem Schutzschild aus unverstehbarer Ironie zerschellen zu lassen, die anschließend eins zu eins in der Zeitung erschien, weil er nichts gegenzulesen wünschte.

Und doch hatte ihn all das mit den Jahren immer härter werden lassen, unerbittlich, heimtückisch, selbstzufrieden und dabei verschlossen wie eine Auster.

Er genoss das Schlendern durch die Fußgängerzone; dass Menschen aus der Bahn herauseilten, um Selfies mit ihm zu machen; er fragte sie nach den Namen ihrer Hunde, nahm ihre Aufmerksamkeit, strafte sie aber insgeheim mit Verachtung. Schmidt ist war gleichzeitig Realist und Populist, sonst hätte er nicht so erfolgreich sein können.

Als in einer seiner ersten Shows – "MAZ ab!" – gewöhnliche Familien gegeneinander spielen sollten, sagten die Verantwortlichen nach der ersten Ausgabe: "Wir müssen Promis engagieren, Schmidt kann nicht mit einfachen Leuten." Und Schmidt sagte: "Stimmt."

Sein Motiv war nie die ihm zugeschriebene Gesellschaftskritik, sondern sein Ego. Es waren stets die Zuschauer:innen, die meinten, Schmidt spiegle sie.

Harald Ebenezer Schmidt war der ewige Entertainer – ein Entertainer ohne Show, aber mit dem eisernen Grundsatz: Was in der Vergangenheit liegt, ist Mist. An diesem Heiligabend saß er in seiner Stube und lauschte dem Deutschlandfunk. Die Uhren in der Stadt hatten gerade erst drei geschlagen, aber es war schon dunkel. Mit Weihnachten hatte er, der ausgebildete Organist, nichts am Hut. Fest der Versöhnung? Zum Jahresende reichte Schmidts Ambition gerade mal für einen voraufgezeichneten Halbjahresrückblick mit ein paar müden Gags. Damit war die Angelegenheit für ihn erledigt.

Glaubte Schmidt an Gott? Unscharf. Liebte er seinen Nächsten? Ja, aber wichtiger Zusatz: wie sich selbst.

Umso überraschter war er, als ihm eine Stimme aus dem Nichts davon kündete, dass ihn in dieser Nacht vier Geister besuchen würden. Schmidt lachte, er hielt es für den schlechten Scherz eines verirrten Schreiberlings, den er auszulassen vergessen hatte – und begab sich zu Bette.

Zweite Strophe: Der erste der vier Geister

Als er wieder erwachte, war es dunkel und die Glocken des Doms schlugen: ein Viertel, zwei Viertel, drei Viertel, voll. Licht flammte im Zimmer auf, die Bettvorhänge wurden beiseite gezogen, vor ihm schwebte ein alter Weggefährte: Feuerstein! "Ich bin der Geist der vergangenen Weihnacht", sagte Feuerstein und imitierte ein Fensterputzgeräusch. "Ich bin gekommen, um dir zu helfen, Harald!" Und er nahm ihn mit, nur mit Pantoffeln und Nachtrock bekleidet, hinaus in die Nacht. Schmidt konnte sich nicht erklären, was um ihn herum geschah. Er wusste nur, dass es geschah.

Mit einem Mal standen sie am Ende eines riesigen Saals, in den sich gerade einmal 30 Leute für den dort Auftretenden hinverirrt hatten: den jungen Schmidt mit der unverkennbaren Haarmatte! Feuerstein selbst saß ebenfalls im Publikum, und überreichte dem Bühnenschmidt, nachdem dessen Programm beendet war, einen Brief. Darin stand: Frag mich, ob ich eine Sendung mit dir machen möchte.

Der Geist und Schmidt schwebten weiter in die Kölner WDR-Studios, wo Schmidt einst der Durchbruch gelang: er höchstselbst als die Kraft und die Herrlichkeit und Feuerstein als Sidekick und ewiger Verlierer in der Sendung, die gleichzeitig seinen Namen und eine Lüge im Titel trug – "Schmidteinander".

Und nachher in ein zum TV-Studio umgebautes Kino in der Kölner Innenstadt, wo er dank "Harald Schmidt Show" endgültig zum Liebling des Publikums und der Feuilletons avancierte und sein Tyrannentum perfektionieren konnte: indem er seinen Autoren deren Gäste-Recherchen vor ihren Augen ungelesen im Papierkorb versenkte und dem späteren Sendereigentümer spektakulär die Brocken vor die Füße warf, nachdem dieser gewagt hatte, den mit Schmidt befreundeten Senderchef zu entlassen.

Es war eine Zeit, in der alles möglich schien, weil niemand widersprach. Und daran gewöhnte sich Schmidt.

Die Stichworte, die er für seine Sendungen auf Pappen hingehalten bekam, langweilten ihn teilweise schon beim Lesen. Also improvisierte er. Und wusste zugleich, wenn er wieder nicht so gut war, wie er hätte sein können: Der Hardcore-Fan will eigentlich genau das sehen. Dass man im Grunde genommen sagt: die nächsten 10 Minuten muss man auch noch irgendwie rumkriegen, meine Damen und Herren.

Eigentlich erklärte sich auf diese Weise Schmidts komplette Karriere: Repräsentation statt Moderation.

Feuersteins Geist sagte: Jetzt hast du die guten Zeiten gesehen, doch ich will dir auch die schlechten nicht ersparen. Mit einem Mal sah Schmidt sich selbst, wie er hinter seinem Tisch im Ersten saß, innerlich brodelnd, während der von ihm selbst dorthin geholte Co-Moderator sich über eine musikalische Gästin lustig machte. Woraufhin Schmidt ihm in der laufenden Sendung attestierte, "so 'ne kleine, miese Type" zu sein – fast so wie er selbst, als er zehn Jahre zuvor von Bettina Böttinger in seiner Show sitzen gelassen wurde, nachdem die ihm mitgeteilt hatte, wie klein und mies sie die vorherigen Scherze auf ihre Kosten fand.

Schmidt sah erneut den Anfang vom Ende, nicht nur von "Schmidt & Pocher", sondern auch das schleichende seiner eigenen Late-Night-Karriere: nochmal Sat.1, Sky, Schluss.

Der Geist Feuersteins sagte: Ich glaube, dass die Zeit mit Pocher für dich traumatisch war. Du warst sauer auf dich selbst. Weil du die Pleite nicht hast kommen sehen. Ach ja, schöne Grüße von Manuel Andrack soll ich sagen! Und mit diesen Worten verschwand der Geist so schnell wie er erschienen war.

Eine bleierne Müdigkeit überfiel Schmidt, er konnte sich kaum noch auf Beinen halten. Bald war er in tiefen Schlaf versunken.

Dritte Strophe: Der zweite und der dritte Geist

Als sich seine Augen erneut öffneten, musste er sich im Bett aufsetzen, um seine Gedanken zu ordnen. Nach der Begegnung mit Feuerstein war er auf alles gefasst. Doch fünf Minuten, nachdem die Glocke erneut zur vollen Stunde geschlagen hatte, war noch immer niemand aufgetaucht – als plötzlich ein Licht im Raum nebenan aufschien. Gerade als er die Hand auf die Türklinke legte, befahl ihm eine fremde Stimme einzutreten.

Inmitten des Zimmers saßen nicht einer, sondern gleich zwei lustige Gesellen. "Hereinspaziert!", riefen Pierre M. Krause und Torsten Sträter, "wir sind die Geister der gegenwärtigen Weihnacht! Komm mit uns."

Sie erhoben sich und mit einem Mal verwandelte sich das Zimmer in eine triste Redaktionsstube, in der Schmidt zwei Herren in schlecht sitzenden Anzügen gegenübersaß – Feuilletonisten! Der Glanz in ihren Augen wies sie unverkennbar als Anhänger aus, die rückgratlos akzeptierten, dass ihnen auf ihre Fragen nur mit beißender Ironie, Unkonkretheiten und Herbeifantasiertem geantwortet wurde, wie sie es anderen niemals durchgehen lassen würden.

"Sozusagen eine Kunstform, die du neu gefunden hast", befand der erste Geist, sich einen traurigen Blick verkneifend. Denn Schmidt wusste: Wenn drei Interviews pro Tag angefragt wurden, dann machte er drei Interviews. Sollten die anderen anschließend ruhig darüber rätseln, wie es gemeint war. Die kalkulierte Empörung der anderen war seine neue, seine einzige große Bühne.

Die Geister führten ihn weiter, und als er sah, wo sie landeten, klammerte sich Schmidt für einen kurzen Moment erschrocken an ihren Mänteln fest: das "Weltwoche"-Gartenfest in Zürich!

Ihre Ankunft fiel mit dem Moment zusammen, als ein Fotograf den Auslöser für das Foto drückte, das kurze Zeit darauf durch die gesamte deutsche Presse und die sozialen Medien gehen sollte: Schmidt lächelnd zwischen Hans-Georg Maaßen und Matthias Matussek.

"Ich hab mich über das Foto gewundert. Ich hab wirklich gedacht, da kommt noch ein Gag", sagte der erste Geist zu Schmidt und versuchte, ihm eine Brücke zu bauen: "Bist du schon juristisch gegen diese Fotomontage vorgegangen?" Schmidt lachte, aber – da kam kein Gag. Damals nicht, und jetzt noch viel weniger. Es gebe für ihn keinen Grund, unzufrieden mit dem Foto zu sein, erwiderte der Angesprochene. Er sei dabei gewesen, als es gemacht wurde. Er habe gesehen, wer links und rechts stand. Er habe nur ein bisschen ein schlechtes Gewissen, dass er als einziger so dafür gefeiert werde.

Ob es ihn nicht störe, dass er in Folge dieser Publikation von Medien, die gesichert rechtsextrem seien, als Heldenfigur aufgebaut werde, wollte der zweite Geist wissen: "Gibt es da irgendwas Kathartisches, womit ich arbeiten kann?"

Aber Schmidt lächelte nur: "Es ist selten, dass Dinge so generalstabsmäßig aufgehen." Er hatte sich zu nichts zu verhalten und noch viel weniger zu erklären. Dass es bestimmt das ein oder andere Gehüstel geben würde, wenn er auf das Fest gehe, habe er gewusst. Und dass sicherlich einiges los sei, wenn viral gehe, dass er sich zu den besagten Herren stellen würde. Aber diese Empörung liege dann ja nicht mehr in seiner Verantwortung. Beschädigt oder instrumentalisiert fühlte er sich nicht. Sonst müsse er ja permanent alles kontrollieren, was im Netz geschrieben werde.

Die Geister schauten ihn verwundert an. Die Uhr des Doms schlug erneut. Im gleichen Moment waren die Geister verschwunden – Schmidt war wieder allein.

Vierte Strophe: Der vierte der vier Geister

Schon entdeckte er eine weitere Erscheinung im bodenlangen Gewand. Ihr Kopf war verhüllt, wie Nebel schwebte sie schweigend auf ihn zu. "Bist du der Geist der zukünftigen Weihnacht?", fragte Schmidt. Der Geist gab keine Antwort. Stattdessen zeigte er mit der Hand vorwärts. Schmidt folgte ihm eilig.

Sie flogen durch die Fußgängerzonen des Landes, in denen Menschen beieinander standen und darüber tuschelten, wer der graue alte Mann gewesen sei, der da gerade vom bekannten TV-Entertainer Pierre M. Krause gestützt werden musste, den sie noch eiligst um ein Selfie gebeten hatten.

Doch sie kannten den Alten nicht mehr. So war der Lauf der Zeit.

Plötzlich befanden sich Schmidt und der Geist in einem großen Konferenzraum. An einem lächerlich großen Tisch saßen ausschließlich Männer mit dicken Hornbrillen in zu engen Hosen, die sich unterhielten – Senderchefs! Schmidt näherte sich, um ihr Gespräch zu belauschen. "Nein", sagte einer. "Der ist doch tot, oder?" Und ein anderer: "Ich dachte, den würde es nie erwischen." – "Das haben die Einschaltquoten für ihn erledigt", witzelte ein dritter. "Und was hat er mit seinem Ruhm gemacht?" – "Interviews gegeben. Und sich mit rechten Idioten und Verschwörungstheorieverbreitern fotografieren lassen." Die Hornbrillen lachten.

Der Geist setzte sich wieder in Bewegung. Plötzlich stand er mit Schmidt an Deck eines großen Schiffs, der MS Amadea, die bereit war, in Richtung Amazonas auszulaufen. An der Reling lehnten Menschen in Uniform, die von Schmidt als Schauspieler:innen gelesen wurden, und spotteten: "Diesmal hat's der Alte echt übertrieben." – "Wie er immerzu versucht hat, den Eindruck zu erwecken, es gebe eine höhere Ironie-Ebene, auf der er sich verschanzen könnte, um nicht Position beziehen zu müssen." – "Dabei war er bloß feige." – "Aber Pocher ist in der Rolle des Oskar Schifferle Jr. doch ein großartiger Ersatz, oder?" – "Klar! Hast du schon deinen Text drauf?" – "Text?, Pfft! Du weißt doch: Drehort geht vor Inhalt."

Schmidt verstand noch immer nicht, was diese bitteren Worte mit ihm zu tun hatte.

Erst als ihn der Geist zu einer schweren Glastür führte, die sich ihnen zur Deutschen Kinemathek öffnete, schwante ihm Böses. Ein Fernsehmuseum! Hier also lag der unglückliche Mann, dessen Namen er nun endlich erfahren sollte, im Archiv.

Der Geist deutete auf einen flackernden Bildschirm hinab, auf dem sich immerzu die "Schmidt & Pocher"-Schmach wiederholte. Daneben war eine kleine Tafel eingelassen. Schmidt folgte mit zitternden Fingern den Buchstaben, die darauf gemeißelt waren – den Buchstaben seines eigenen Namens!

"Ich bin dieser Mann?", schrie er. "Oh, edler Geist! Ich will nicht mehr der Zyniker sein, der ich war! Ich will mich auch neuen Lehren nicht verschließen. Sag mir, wie ich die Schrift auf der Tafel auslöschen kann, um nicht auf diese Weise im Archiv zu verschwinden!" Doch der Geist gab ihm keine Antwort, er stieß Schmidt von sich weg, schrumpfte, fiel in sich zusammen und verschwand.

Fünfte Strophe: Das Ende vom Lied

Schmidt saß erneut in seinem Bett. Es war der Morgen des ersten Weinachtsfeiertags. Mit Schaudern erinnerte er sich an das Schicksal, das ihm die Geister in der Nacht zuvor gewiesen hatten. Lag noch genügend Zeit vor ihm, um alles wiedergutzumachen? "Ich werde in der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft leben", schwor er sich selbst. "Alle drei Geister sollen in mir wirken." Er glühte vor guten Vorsätzen und zeigte schon bald, dass Dirty Harry noch ein besseres Herz hatte, als seine Worte es sagen konnten.

Seinen Zynismus tauschte er mit Weltzugewandtheit und unterstütze fortan jene, die den Ehrgeiz hatten, der Late Night im Fernsehen neues Leben einzuhauchen.

Manche lachten, wenn sie die Veränderung an Schmidt bemerkten. Aber der war klug genug, sich daran nicht zu stören. Geister traf er in seinem Leben keine mehr. Was in der Vergangenheit lag, war nicht Mist – es war bloß vorüber. Schmidt hatte Lust auf Zukunft. Und keine Abmoderation dieser Welt könnte ihm vollumfänglich gerecht werden.

Harald Ebenezer Schmidt war in der Tat – eine Fernsehlegende.

Die allermeisten Schmidt-Zuschreibungen und Zitate in dieser Geschichte sind der "100. Kurzstrecke mit Pierre M. Krause" vom 21. September 2023, "Sträter XXL" vom 19. Oktober 2023 sowie dem "Spiegel"-Gespräch mit Herbert Feuerstein und Manuel Andrack von 2012 entnommen. Frohe Weihnachten!