Ach, Kai Pflaume. Musste das sein? War das wirklich vonnöten? Der schleimige Show-Aal, der charmante Schwiegermuttertröster, der rabulistische Rheumadeckenverkäufer jetzt auch noch als Sozialarbeiter, der sich von Menschen mit Down-Syndrom deren Welt zeigen und erklären lässt? Man kennt das ja von anderen prominenten Nasen, die sich gerne mal ein Benefizkettchen umlegen, um damit noch besser auszusehen als sie ihr persönlicher Chirurg geschaffen hat. Jetzt auch noch Kai Pflaume? Daher nochmal die Frage: Musste das sein?

Es musste sein. Es musste nicht nur sein, es war zudem die große Überraschung der Saison, jemanden wie den Pflaumen-Kai mal von einer ganz anderen Seite kennenzulernen, zu entdecken, dass den Mann bei diesem vierteiligen Projekt nicht die Eitelkeit trieb, sondern offenbar ehrliches Interesse. Sollte es anders sein, dann hätte dieser Pflaume wiederum einen Oscar verdient für herausragende schauspielerische Leistung. Ich glaube aber nicht, dass es anders ist. Ich glaube diesem Herrn Pflaume, und damit hat die Reihe „Zeig mir deine Welt“ schon mal richtig was erreicht.

Es ist nicht so, als hätte ich nicht genau hingeschaut, als Kai Pflaume da verschiedene Menschen mit Down-Syndrom in ihrem Alltag besuchte. Ich habe natürlich versucht, herauszufinden, an welchen Stellen möglicherweise ein Beleg dafür zu finden ist, dass der Herr Moderator dies alles möglicherweise doch nur zur Mehrung der persönlichen Berühmtheit tut, dass er sich lediglich schmückt mit seinem Engagement. Allein, ich habe nichts gefunden.

Ich habe einen Mann gesehen, der sich für etwas interessiert, der tatsächlich eintaucht in die Welt der Menschen, der sich, auch auf die Gefahr hin, naiv zu wirken, auf sie einlässt. Es gab da eine besonders schöne Szene, als Pflaume eine Wohngemeinschaft besuchte. Beim gemeinsamen Essen begann plötzlich ein Mädchen zu weinen. Pflaume saß ihr gegenüber und fühlte sich augenblicklich angesprochen. Nicht wegen der Kamera, sondern weil er just in dem Moment da war und damit zuständig. Er fragte das Mädchen, ob sie zu ihm kommen wolle oder ob er zu ihr kommen solle. Dann kletterte er zu ihr und nahm sie in den Arm. Sie erzählte von ihrer toten Oma, und Pflaume reagierte genau richtig. Keine Sekunde keimte da ein Gefühl von Voyeurismus, vielmehr vermittelte sich das Gefühl einer sehr anrührenden Situation, aus der man möglicherweise lernen kann, wie man künftig besser tröstet. Um zu ermessen, was der Pflaume da schaffte, stelle man sich nur mal für einen Moment vor, der Lanz wäre an seiner Stelle gewesen.

Natürlich hat diese vierteilige Reihe, die am Mittwoch nach dem ARD-Fernsehfilm begann, auch ihre Schwächen. Sie ist vor allem zu lang. Sie wirkt zudem hier und da zu poliert, ein bisschen wie Margarine-Reklame. Und sie entspricht so ganz und gar nicht den Regeln, die gemeinhin als Fernsehgesetz verstanden werden. Darauf kommt es aber gar nicht an. Es kommt darauf an, dass einer wie Pflaume zeigt, was geht. Und dass er etwas riskiert. Wie leicht hätte er sehr belämmert aussehen können, wie leicht hätte es peinlich wirken können, wenn der große schlanke Kai neben die nie dem gängigen Schönheitsideal entsprechenden Menschen mit Down-Syndrom tritt. Aber immer ist Pflaume nur für einen Moment der optisch Größere. Ganz schnell begibt er sich auf Augenhöhe, und dann lässt er seinem Gegenüber Raum, persönliche Qualitäten zu entfalten. Pflaume profitiert dabei von der Lebendigkeit seiner Gesprächspartner und weiß mit deren Direktheit umzugehen.

Dabei spart er die heiklen Themen nicht aus. Er stellt die Fragen, die sich stellen, er redet über die Probleme, die im Raum schweben, etwa über die Frage, ob Menschen mit Down-Syndrom Kinder bekommen sollten, wann ein Mann schwul ist und was das für die Eltern für ein Gefühl war, als sie von der Behinderung ihres Kindes erfuhren. Es gibt dabei keine letztgültigen Antworten, es gibt echte Gespräche mit einem Für und einem Wider. Das Besondere dabei ist die angenehme Leichtigkeit, diese lockere Art Pflaumes. Er muss Ernstes nicht immer gleich staatstragend problematisieren, so als wäre man in einer Betroffenheits-Doku, er wagt auch mal einen Witz und veräppelt sein Gegenüber, ohne es bloßzustellen. Wann sieht man so etwas im deutschen Fernsehen?

Ja, ich weiß, dass die ARD nicht allzu viel gewagt hat. Im keimenden Sommer ist in der Todeszone am Vorabend ohnehin nichts zu holen. Da verkraftet man schlechte Quoten, die so ein Projekt nun mal mit sich bringt, leicht. Aber immerhin: Sie haben es getan.

Und der Pflaumen-Kai? Der wird natürlich trotz seiner Zurückhaltung profitieren von seinem Engagement. Allerdings auf die bestmögliche Art, denn es wird künftig verdammt schwer werden, ihn noch als gleitcremigen Showfuzzi abzuqualifizieren. Das macht meinen Job als Kritiker nicht leichter. Schönen Dank auch, Herr Pflaume.