Ich habe mir jetzt ein Netz gekauft, so ein sagenumwobenes Teil, von dem gerade alle reden. Ich war neugierig, was es damit auf sich hat. Der Mann im Geschäft hat gesagt, dass da jede Menge reinpasst. Aber ich will ja gar nichts reintun. Ich will vielmehr sehen, was das Netz macht. Schließlich lese ich täglich davon, was das Netz alles kann, was in seinem Inneren passiert. Ich habe viel davon gehört. Das Netz tobt und feiert, es vergisst nichts und es diskutiert.

Ich habe mein Netz dann bei mir zu Hause auf den Tisch gelegt und mich auf einen Stuhl davor gehockt. Sicherheitshalber packte ich noch meine Kamera auf ein Stativ, nur für den Fall, dass es spektakuläre Bilder geben sollte. Was soll ich sagen: Die gab es nicht.

Dabei war ich voller Vorfreude auf irre Fotos. Schließlich hatte ich gerade die Schlagzeile „Im Netz sorgt das für Kopfschütteln“ gelesen. Da wäre ich gerne dabei gewesen. Aber in meinem Netz tat sich nichts. No Headbanging anywhere.

Es wurde auch nicht lustig. Obwohl ich mehrfach die Schlagzeile „Das Netz lacht über“ zur Kenntnis genommen hatte, blieb mein Netz stumm. Ich erzählte dem Netz einen Witz, aber sein Verhalten blieb gleich. Es wollte einfach nicht reagieren.

Ich ging also zurück ins Geschäft und wollte mein Geld zurück. „Das Netz ist tot“, sagte ich dem Verkäufer. Der schaute mich an, als hätte ich gerade seiner Lieblingskatze auf den Schwanz getreten. „Nein“, sagte er, „das Netz ist nicht tot.“ Ich schaute offenbar etwas konsterniert, woraufhin er seine Diagnose ergänzte. „Es schläft nur“, sagte er. Ich glaubte ihm nicht.

„Schaun Sie mal“, sagte der Verkäufer. „Ich wecke es mal.“ Dann zupfte er an einem Ende des Netzes und wackelte so, dass sich das ganze Objekt zu bewegen schien. „Sehen Sie“, sagte er: „Das Netz tobt.“

Damit wollte ich mich nicht zufriedengeben. „Sie haben da ein b zuviel“, antwortete ich. „Das Netz tobt nicht, es ist tot.“ Das gab ihm offenbar zu denken. „Mmmmh“, sagte er und schüttelte mit dem Kopf. „Das kann gar nicht sein“, setzte er nach und holte eine Broschüre unter der Ladentheke hervor. Er blätterte eine Weile herum, stieß dann mit dem Zeigefinger auf eine Passage und begann vorzulesen. „Im Falle eines Netzausfalls wenden Sie sich bitte an Ihren zuständigen Netzbetreiber.“

Ich wollte gerade aus der Haut fahren, da begann der Verkäufer zu grinsen. „Mein lieber Mann“, sagte er. „Hören wir auf mit dem Quatsch. Wir sind doch nicht hier, um schlecht gute Monty-Python-Sketche nachzuspielen.“

Ich verstand erst nicht, aber dann erklärte mir der Herr sehr fein, dass ich einem Irrtum aufgesessen sei. Meine Annahme, das Netz könne lachen, toben oder sonstwas tun, beruhe allein auf der Faulheit von Journalisten.

Die hätten nämlich keine Lust mehr, selbst zu recherchieren, also mal rauszugehen, mit Menschen zu reden oder wenigstens zu telefonieren. Stattdessen durchstreiften sie das Internet auf der Suche nach irgendwelchen Meinungsäußerungen irgendwelcher Trolle, aus denen sie dann eine knackige Schlagzeile zimmerten. Wenn man also lese, dass das Schicksal eines alten Ehepaares das Netz rühre oder dass ein süßer kleiner Knuddelhund der Star im Netz sei, habe man es mit ziemlicher Sicherheit mit mentalen Minderleistern sowohl auf der Anbieter- als auch auf der Abnehmerseite zu tun.

Wer heute derart pauschalierend vom Netz rede, habe früher gerne vom Stammtisch geschwafelt oder Ausdrücke wie „Wäschekörbe voller Post“ und „die Leitungen liefen heiß“ benutzt. Es handele sich um den untauglichen Versuch, aus der lautstarken Meinung einzelner einen Trend zu zimmern, gar eine Mehrheitsmeinung zu destillieren. So etwas funktioniere, wenn nur genügend faule Journalisten auf den Trendzug aufspringen. Dann schreiben plötzlich alle voneinander ab und verweisen aufeinander, um die Glaubwürdigkeit ihrer Behauptungen zu untermauern. In solchen Momenten gebe es dann tatsächlich so etwas wie eine Netzgemeinde, also die heilige Kirche der Dummen oder der Depperten von Klick.

Wir haben sehr gelacht, der Mann und ich. Er hat mir dann erklärt, wie man mit dem Netz ganz prima seine Einkäufe nach Hause transportieren kann. Gänzlich analog. Allerdings gebe es Risiken und Nebenwirkungen. Mein Netz eigne sich nämlich nicht für Überflüssiges. Um das zu demonstrieren, ging er nach hinten, holte eine Tüte Milch und kippte ihren Inhalt ins Netz. Sofort floss der unten wieder heraus. Das sei der große Unterschied zum virtuellen Netz, erklärte mir der Mann. Da bleibe das Überflüssige immer drinnen und schwappe so lange hin und her, bis wieder ein fauler Journalist kommt und sagt, was das Netz alles tut, obwohl es in Wirklichkeit gar nichts tut, sondern nur Echokammer des Tatsächlichen ist.

Ich staunte sehr und musste dann grinsen. Ich packte mein Netz, sagte höflich Adieu und ging Schokoladenkuchen kaufen. Den packte ich ins Netz, und meine Vorfreude auf den nahenden Genuss ließ mich in schwingende Bewegungen ausufern. Dabei streifte mein Netz einen Laternenpfahl. Der Kollision hielt die Schokoladenkuchenverpackung nicht stand. Sie bröckelte, und plötzlich fielen Teile der Köstlichkeit auf den Gehweg. Sie sahen dort ein bisschen aus wie Kaninchenköttel. Ich dachte: Siehste, das Netz kann doch was. Das Netz kackt.