Explizite Spoiler-Gefahr in Hinsicht auf “Sherlock”, “Harry Potter”, “The Dark Knight Rises”, “Scream”, “Dr. House” und “The Avengers"

“Goodbye, John”, verabschiedet sich Sherlock Holmes über Telefon von seinem Kollegen und Freund Watson, während er sein Bein über den Rand des Hausdachs hebt. Ein dramatischer Augenblick, der ein Ziehen in der Magengegend auslöst, sich ungewohnt anfühlt. Da geht er, einer der heutigen TV-Helden. Eine Szene, die mit ihrer immensen Spannung als grandioser Cliffhanger hätte funktionieren können. Hätte. Denn dann steht er plötzlich wieder da, und blickt kurz vor dem Abspann seiner eigenen Beerdigung entgegen. Quicklebendig. Der wiederbelebte Held. Ein inkonsequenter Schritt, passiert in den Büchern zwar das Gleiche, jedoch mit einem etwas anderen zeitlichen und faktischen Hintergrund. So hat Schriftsteller Sir Arthur Conan Doyle seinen Detektiven wirklich umbringen wollen. Für knappe 10 Jahre gab es nach der Kurzgeschichte “Das letzte Problem” keine aktuellen Erzählungen über Holmes. Dann brach Doyle unter der Wut und dem Druck der Fans zusammen - Sherlock kam wieder, hatte seinen Tod nur vorgetäuscht. Es gab protestähnliche Zustände, vergleichbar mit politischen Aktivitäten. Verrückt, oder? Warum kann man es nicht akzeptieren, wenn unsere, wohlgemerkt fiktionalen Charaktere, sterben?  

Eine der rührendsten Szenen in “Harry Potter” spielt sich ab, wenn Professor Snape (Alan Rickman, † 2016) seine letzte Aufopferung als Doppelagent antritt. Aber warum war sie so rührend? Weil ein Mann, der sieben Filme entlang teilweise wie eine eiskalte Maschine gewirkt hat, im Großen und Ganzen dennoch die vielleicht nobelste Rolle in der gesamten Geschichte spielte. Und dann gestorben ist. Er hat Dumbledore treu gedient, Harry beschützt und den Tod dafür in Kauf genommen. Trotz dieses Werdeganges, den Alan Rickman als Snape mit seiner Zuschauerschaft hingelegt hat, bei dem er zu einem emotionalen Brennpunkt für jeden Fan wurde, starb er. Weil es der richtige Weg gewesen ist. Der Gedanke, dass Snape irgendwie von den Toten zurückgekehrt wäre und er dann gemeinsam mit Harry sentimental an die vergangenen Geschehnisse gedenken würde, ist ein widerlicher. Sicher ein annehmbarer für Freunde des perfekten Happy Ends, doch wäre das nicht kongruent gewesen, hätte sich tief innendrin falsch angefühlt. Hätte man fünf Minuten zuvor Tränen für nichts vergossen, kommt er doch sowieso wieder zurück, fühlt es sich wie Betrug um die eigenen Gefühle an.

Doch was sehen wir en masse, wenn wir uns in der TV- und Filmlandschaft umschauen? Mittlerweile 12 (im Wort: zwölf) Staffeln der Mysteryserie “Supernatural”, in der die Brüder Sam (Jared Padelecki) und Dean Winchester (Jensen Ackles)  gefühlt alle drei Folgen im Wechsel sterben, nur um in einem Strudel immer konfus werdender Wiederbeschwörungsriten erneut zum Leben zu erwecken. Batman stirbt heldenhaft in “The Dark Knight Rises”, nur um, kurz bevor der Abspann beginnt, dramatisch wieder aufzuploppen. “Fuller House” kommt nach ca. 20 Jahren auf Netflix zurück, um die nostalgischen Gedanken so mancher Fans mit dem Geschmack aufgewärmter Grütze zu demolieren. Sidney (Neve Campbell) stirbt in “Scream” nicht (‘96) und nicht (‘97) und nicht (2000) und nicht (2011). Da verliert man doch seinen Glauben in die guten, alten Slasher! “Freitag der 13.” und “Nightmare On Elm Street” haben da wenigstens Killer, die wissen was sie tun. Und es geht weiter: Krusty der Clown stirbt vermeintlich in einer “Simpsons”-Folge in einem Flugzeugcrash, nur um zurückzukehren. “Dr. House” faked seinen Tot, nur um zurückzukehren. Nick Fury wirbelt die “Avengers” mit seinem Abgang auf, nur um zurückzukehren. In Superheldengeschichten muss sowieso jeder mindestens einmal gestorben sein. Da kommt man über den Gedanken “ach, der kommt wieder” schon gar nicht mehr hinaus.

Natürlich gibt es Gegenargumente, bietet alleine “Lost” und der aktuelle Heldenzerstörer “Game of Thrones” zwei Hände voll davon, doch plädiere ich für noch mehr Konsequenz. Ich meine, bedeutet das Lebensende denn gar nichts mehr? Der Tod verkommt in Film und Serie viel zu oft zu einer Farce. Wiederauferstehung wird zum Klischee. Reicht eine gute Story pro Held nicht aus? Müssen es fünf sein, die dann künstlerisch vielleicht auch nicht mehr so wertvoll sind? Wahrscheinlich zweiteres. Denn was wäre eine Kuh, wenn sie nicht bis auf den letzten Tropfen gemolken werden würde. Und was wäre der Zuschauer, wenn er mit komplexeren Gefühlen, die sich auf der Leinwand und vielleicht in einem selber abspielen, umgehen müsste. Ich träume von packenden Tragödien, in denen der Held allen Stimmen zum Trotze noch steht, um am Ende einen würdigen Tod zu finden. Dieses “Gladiator”-Prinzip ist nichts komplett neues, aber ein doch zutiefst befriedigendes. “Der Feigling stirbt tausend Tode, der Held aber nur einen”, schrieb William Shakespeare einmal in seinem Drama “Julius Ceasar”. Nehmen wir uns das doch zu Herzen.