Herr Hiller, ProSieben wagt das Abenteuer tägliche Serie. Was hat den Ausschlag gegeben?
ProSieben ist bekannt für mutige Programmentscheidungen. Und nach 18 Jahren hatten wir wieder Lust auf das Abenteuer tägliche Serie. Dabei zählen für uns zwei zentrale Aspekte.
Und welche sind das?
Alles auf Joyn. Unser Superstreamer Joyn steht im Zentrum all unserer Programmentscheidungen. Tägliche Serie und Streaming sind ein perfect Match. Mit fünf neuen Folgen jede Woche holen wir die Zuschauer:innen regelmäßig ab. Und zum zweiten der Audience Flow. Wir haben mit "taff" ein sehr weiblich geprägtes Programm, mit den "Simpsons" ein tendenziell extrem männliches Programm. Gerade in der Access, wo man Zuschauer:innen einsammelt, haben wir einen wahnsinnigen Bruch.
Aber das ist doch schon seit Jahren so?
Und das funktionierte auch lange gut, weil die "Simpsons" irrsinnig stark waren. Da nimmt man das in Kauf. Aber in der aktuellen Crunchtime beschäftigen wir uns natürlich mit der Frage, wo man optimieren kann. Plus wir wollen unabhängiger von Lizenzware werden und auf mehr Slots eine eigene Identität anbieten. Und eine tägliche Serie ist mit der Bindung des Publikums, wie bereits erwähnt, auch für Joyn ein hochattraktives Genre. Dieses Zusammenspiel nutzen die Kolleg*innen von SAT.1, aber auch die Konkurrenz. Das wollen wir knacken.
Wie kam es dann konkret zum Projekt "Die Cooking Academy" und nicht etwa eine Telenovela mit klarem Erzählversprechen?
Wir haben den Markt genau analysiert, national und international. Wir wollten eine Story um eine dramatische Fragestellung, die sich bei Erfolg nicht nur über 120 Folgen, sondern darüber hinaus weitererzählen ließe. Diese Analyse floss in das Briefing ein und über ITV Studios Germany haben wir dann diese attraktive Idee gefunden. Eine großartige Coming of Age Serie mit allem, was dazugehört: Liebe, Streit, Freundschaft, Konkurrenz, Drama, Verrat und überraschende Wendungen. Und das alles an einem zentralen Ort, der "Cooking Academy". Wir verfolgen die Story unserer Hauptdarstellerin Irini in der Kochschule und über allem steht die dramatische Frage: Wird ihr Geheimnis gelüftet?
Wir wollen unabhängiger von Lizenzware werden und auf mehr Slots eine eigene Identität anbieten.
Die Serie läuft nicht nur auf ProSieben und Joyn, auch auf Disney+: Ist Sharing the New Owning?
Nicht nur das. Wir haben Sie am Donnerstag auch in einer Preview direkt nach "The Voice of Germany" gezeigt. Dahinter steht eine spannende Frage, die den ganzen Markt in den nächsten Jahren intensiv beschäftigen wird: Wie bekommt man genug Aufmerksamkeit für den Start neuer Programme? Und Sharing ist auf jeden Fall ein Schlüssel für die Zukunft. Marketing, selbst das Invest von großen Summen, ist lange kein Garant mehr dafür, dass du wahrgenommen wirst. Statt darauf zu bauen, die Zuschauer*innen zu "Die Cooking Academy" zu bringen, bringen wir sie mit Disney+ zu noch mehr Menschen - und trotzdem bleibt es unverkennbar unser Programm. Smartes Windowing ist sicherlich eine Währung, mit der wir uns in Zukunft noch intensiver beschäftigen müssen.
Was mich zum neuen "Stromberg"-Film bringt: Wann kommt der Papa denn zurück zu ProSieben?
Wir werden das zeitig genug ankündigen, damit es alle wahrnehmen und werden den Film dann auch einbetten in einen tollen Event-Tag auf ProSieben. Im Winter startet "Stromberg" erstmal im Kino und Prime Video ist auch Produktionspartner.
Aber wo wir doch über Smart Windowing sprechen: Beim "Letzten Bullen" hat Prime Video einen Vorsprung von vier Wochen, bei "Krank Berlin" hatte AppleTV+ ein ganzes Jahr bevor es Anfang 2026 zum ZDF kommt. Sind es eher vier Wochen oder ein Jahr?
(lacht) Wir sind sehr zufrieden mit den vereinbarten Ausspielungstimings und werden alle unseren Spaß haben mit Bernd Stromberg – auch auf Joyn und ProSieben
Wenn jetzt alle miteinander Inhalte und Marken tauschen: Wofür steht dann eigentlich eine Marke wie ProSieben? Sie können alles antworten außer "Verlässliche Überraschung"…
(lacht) Kein Problem. ProSieben ist der Profi-Entertainer mit Haltung. Daran arbeiten wir sehr intensiv und unverändert. Ich glaube wir haben den Markt in den vergangenen 20 Jahren geprägt mit spektakulärer, professioneller Unterhaltung, haben den ersten Teil also schon mal eingelöst. Dabei achten wir immer darauf, wer für uns tätig ist und mit welcher Haltung unsere Gesichter das tun, was sie tun. Profi-Entertainer mit Haltung - das hat sich schon oft z.B. in den 15 Minuten "Joko & Klaas LIVE" gespiegelt, aber auch in den Reportagen unserer Top-Journalist*innen mit denen wir diesen Herbst unsere längste Reportage-Strecke am Montagabend planen.
Smartes Windowing ist sicherlich eine Währung, mit der wir uns in Zukunft noch intensiver beschäftigen müssen.
Was ist geplant?
Mit Jenke von Wilmsdorff klären wir u.a. ganz real, ob man zwei Wochen lang ohne Handy auskommt. Linda Zervakis widmet sich unserer Sicherheit und unserem Bildungssystem. Und Thilo Mischke hat eine sehr besondere Reportage gemacht über einen Mitarbeiter einer Hilfsorganisation, der fast 50 Tage unschuldig in einem Foltergefängnis in Syrien gelandet ist. Sehr emotional. Mit Linda, Thilo und Jenke haben wir drei prima Leute, mit denen wir gerne arbeiten. Sie haben ihren jeweils eigenen Blick auf die Themen und verleihen ihnen damit ihre eigene Handschrift. Neu ist, dass sich das nun auch in den Sendungstiteln widerspiegelt. Statt "ProSieben Thema" sind die Filme personalisiert, wie wir es bei Jenke ohnehin schon immer machen. Das, was draufsteht, ist auch drin.
Ist es die Sichtbarkeit, die Prime-Time-TV immer noch schaffen kann, die Fernsehen für Talents so attraktiv macht im Vergleich zu all den anderen Möglichkeiten?
In meiner Interpretation können ihnen wir als ProSieben zwei Dinge geben: Unser Commitment. Wir schenken ihnen unser Vertrauen, damit sie Sicherheit und Klarheit haben Bei unseren Journalist:innen z.B. bei ihren umfassenden Recherchen mit einem Ausgang, den wir oft nicht kennen. Damit gehen wir auch ins Risiko. ProSieben ist ein Partner, der Rückendeckung gibt. Und das zweite, was wir geben können: Maximale Wahrnehmung. Auch damit geht maximales Risiko einher. Wir räumen die Prime Time für wichtige Themen. Klar, das kann auch schiefgehen. Aber nur die rein linearen Overnight-Quoten sind schon lange nicht mehr unsere wichtigste Währung. Am Ende geht es immer um die Gesamtreichweite. Und gut gemachte Reportagen werden gefunden, spätestens auf Joyn. Auch da hilft die neue Personalisierung der Titel bei der Auffindbarkeit.
Und dann steht daneben ein Spektakel wie das "HeidiFest" - allerdings mit überschaubaren Einschaltquoten. Wie fällt Ihre Bilanz aus?
Wie in allen Familien gilt auch bei uns: In guten wie in schlechten Zeiten. Ich habe am Freitagmorgen Heidi gleich kontaktiert und ihr genau das gesagt. Ihre Reaktion war sehr heidi-like: Sie hat direkt das Hofbräuhaus angerufen und den Termin fürs nächste Jahr klargemacht (lacht). ich finde wir müssen beim "HeidiFest" über die lineare Quote hinausdenken. Wenn an diesem Tag über irgendetwas gesprochen wurde, dann über Heidi, ihr "HeidiFest" und ProSieben. Selbst meine Mutter rief mich an dem Abend an und fragte: "Hannes, was machst Du da?" Wir haben enormen Buzz generiert und das ist genau das, was Heidi und wir wollten. Insofern: Klar werden wir uns mit ihr über das nächste "HeidiFest" unterhalten.
Wo wir gerade Bilanz ziehen. Zum Saisonstart war "Deutschlands dümmster Promi" euer Show-Highlight. Zufrieden?
Mit der Show? Ja. Mit dem Ergebnis, wie es von den Zuschauer*innen bei uns wahrgenommen wird? Nein. Auch hier haben wir viel Buzz generiert, selbst im Ausland wurde durch die Beteiligung von Politiker-Kindern darüber berichtet. Es hat sich nur nicht in die lineare Quote übersetzt. Ich glaube das spiegelt die große Herausforderung im Entertainment, die wir lösen müssen. Nicht als ProSieben, sondern als Branche. Wie können wir den Buzz den wir über uns selbst kreieren in eigene Reichweite verwandeln.
Die Losung der Stunde, Zuschauerschaften auf Event-Programme zu aktivieren, beißt sich natürlich grundsätzlich mit der wirtschaftlichen Produzierbarkeit. Das ist knifflig.
Und wie hält man die Aufmerksamkeit für die x-te Folge einer Staffel, wenn überall andere, neue Angebote das Publikum locken…
Die Aufmerksamkeitsökonomie muss unsere Blickwinkel ändern. Die Losung der Stunde, Zuschauerschaften auf Event-Programme zu aktivieren, beißt sich natürlich grundsätzlich mit der wirtschaftlichen Produzierbarkeit. Das ist knifflig. Aber nur auf Effizienz en bloc zu produzieren, birgt die Gefahr, dass Produkte sehr clean und industriell werden. Wir bei ProSieben lieben live, auch bei "Ein sehr gutes Quiz (mit hoher Gewinnsumme)", "Schlag den Star" oder "The Masked Singer", was diesen Herbst mit Verona Pooth und Chris Tall neu im Rateteam zurückkommt. Ich glaube wir bedienen damit auch den Zeitgeist; den Wunsch des Publikums, Teil der Sendungen werden zu können.
Vor dem Hintergrund ist dann auch "TV Total interaktiv" entstanden, das diesen Mittwoch startet? Nächste Woche gibt es dann ja - Stand jetzt - das Fernduell Pufpaff gegen Raab.
Unsere Programmplanung machen wir unabhängig von der Konkurrenz. "TV Total Interaktiv" haben wir mit Brainpool und Puffi schon im Frühjahr beschlossen, nachdem wir das Konzept in der vergangenen Staffel mal mit einem Backdoor-Piloten getestet haben. Da sich die Show reisebedingt nicht voraufzeichnen ließ, dachten wir uns: Wenn schon live, dann nutzen wir das. Daraus entstand dann die neue Sendung. Und was liegt näher, als die Fans am Dienstagabend auf die Sondersendung am nächsten Abend hinzuweisen? Es ist spektakulär, wie treu unser Publikum am Dienstagabend ist. "TV total" läuft aktuell am Dienstag so erfolgreich wie noch nie. Brainpool und Puffi machen einen hervorragenden Job - und wir freuen sehr uns auf "TV Total interaktiv" schon an diesem Mittwoch.
Was steht sonst noch in der ProSieben-Unterhaltung an?
Natürlich "Joko & Klaas gegen ProSieben" und "Wer stiehlt mir die Show?", dann kommt Chris Tall mit einer neuen Prime-Time-Show am Dienstagabend. Wir haben mit "Die Abrechnung" eine frische Reality, die Wolter-Zwillinge mit "Erkennst du den Song live" in der Late Prime und wir feiern das ganz große Finale von "Duell um die Welt". Der Herbst/Winter ist wirklich picke-packe voll – und im Januar geht’s nahtlos weiter
Könnte der ESC noch ein Thema werden für ProSieben, nachdem Raab und RTL als Partner der ARD raus sind?
Für 2026, nach dem Wechsel der Verantwortung vom NDR zum SWR, sind die Kolleginnen und Kollegen dort jetzt erstmal genug beschäftigt damit, das neu aufzusetzen. Ich werde den Abend natürlich, wie jedes Jahr, live auf Joyn verfolgen.
Herr Hiller, danke für das Gespräch.