Frau Brockhaus, vor einer Woche ist bei Welt Ihre neue Talkshow „Meinungsfreiheit“ gestartet. Ihr persönliches Fazit nach den ersten drei Ausgaben?
Die Zwischenbilanz fällt sehr positiv aus. Am Montag und Mittwoch lagen wir mit unserer Quote über dem Senderschnitt, die dritte Ausgabe verzeichnete 3,2 Prozent Marktanteil bei den 14- bis 59-Jährigen. Im Digitalen hatten wir direkt zum Start eine Watchtime von zwölf Minuten, und wir sind das meistgesehene Video auf Welt.de. Am meisten freut mich allerdings, dass wir mit unserem Gast Hendrik Streeck direkt eine bundesweite Debatte angestoßen haben.
Agenda-Setting ist wichtiger als die Quote?
Nein, ich bin leistungsgetrieben. Ich habe die Zahlen konstant im Blick – übrigens auch die meiner Konkurrenten, sowohl die TV-Quote als auch die Onlineabrufe und selbstverständlich auch YouTube. Aber das Schlimmste wäre für mich eine Sendung, in der wir nur die Nachrichten der anderen nachkauen. Unser Anspruch ist es, eigene Themen zu setzen. Das gelingt uns, indem unsere Gäste ihre Themen selbst mitbringen. Seit unserer Sendung wird das Thema von Hendrik Streeck über die Therapierung am Lebensende breit debattiert. Das freut mich.
Der Sendeplatz um 16:10 Uhr ist eher ungewöhnlich für einen politischen Talk. Ist das eine Chance oder ein Risiko?
Ich empfinde den Sendeplatz als gutes Omen. Schließlich hatte Sandra Maischberger früher mit ihrer Talkshow bei ntv täglich um 17 Uhr großen Erfolg. Um 16:10 Uhr liefern wir die erste Einordnung des Tagesgeschehens in Form von Debatte. Und im Anschluss kann sich jeder den Talk über unsere Homepage oder dem YouTube-Kanal ansehen. Zu bestimmten Anlässen gehen wir vielleicht später noch in die Primetime damit.
Dabei hatten Sie bei Bild TV mal eine ganz ähnlich gelagerte Sendung mit dem Titel „Viertel nach Acht“.
Die Sendung wurde damals ja immer belächelt, aber sie war für Bild ein irrer Erfolg. „Viertel nach Acht“ hatte teilweise einen Marktanteil von bis zu 3,4 Prozent bei den 14- bis 49-Jährigen und bis zu 3,1 Millionen Youtube Videoabrufen je Folge.
Wieso hat es so lange gedauert, bis es ein Nachfolgeformat gab?
Die Wahrheit ist, dass mein Vater zum Ende von „Viertel nach Acht“ schwer an Krebs erkrankt war und ein dreiviertel Jahr danach gestorben ist. Ich selbst bin außerdem noch Mutter geworden. Zu dieser Zeit standen für mich die persönlichen Themen im Vordergrund. Es gibt Dinge im Leben, die sind wichtiger als Fernsehen. Gleichzeitig habe ich immer gesagt, dass ich wieder ein eigenes Talkformat will, wenn die Zeit dafür reif ist und ich auch wieder die persönliche Ausdauer habe, drei Sendungen pro Woche zu moderieren. Jetzt, da mein Sohn zweieinhalb Jahre alt ist und mit mir jede Woche nach Berlin reisen kann, ist der richtige Moment gekommen.
Warum braucht das deutsche Fernsehen überhaupt noch eine weitere Talkshow?
Natürlich gibt es viele Talkshows. Der Reiz unseres Formats liegt in der thematischen Bandbreite, weil wir keinem unserer Gäste vorschreiben, worüber er zu sprechen hat. Erfunden hat das Konzept übrigens Sebastian Vorbach, der schon bei „Viertel nach Acht“ der Redaktionsleiter war und es heute bei Meinungsfreiheit wieder ist.
Sie haben Ihre Sendung „Meinungsfreiheit“ genannt. Gilt die für andere Talkshows nicht – oder weshalb wollen Sie diesen Aspekt derart herausstellen?
Welt-Chefredakteur Jan Philipp Burgard hat diesen Sendetitel gewählt, weil sich im Moment über 40 Prozent der Deutschen nicht trauen, ihre Meinung zu sagen. Ich muss oft an ein Beispiel aus der Impf-Debatte während der Corona-Pandemie denken. Zu dieser Zeit wollten sich einige Moderatorinnen nicht mehr von Ungeimpften schminken lassen. Damals habe ich erlebt, wie Menschen die Tür geschlossen haben und leise zu mir sagten, nicht geimpft zu sein. Dabei war mir das völlig egal, weil doch jeder machen soll, was er will. Aktuell verhält es sich mit der AfD ganz ähnlich: Immer wieder kommen Menschen nach Live-Debatten zu mir und erzählen mir im Flüsterton, dass sie AfD-Wähler sind. Das kann für mich nicht sein. Ein Mensch muss doch in unserer Gesellschaft so etwas offen sagen dürfen.
In den Kommentarspalten ist von diesem Flüsterton allerdings nicht viel zu spüren. Im Gegenteil, dort tobt inzwischen vielerorts der Hass.
Da haben Sie leider recht. Die Grütze, die bei YouTube und in sozialen Netzwerken oft geschrieben wird, macht unsere Debattenkultur nicht besser, sondern schlechter. Jeder kann unserer Redaktion mailen, und wir werden alle Nachrichten lesen. Auch auf welt.de kann jeder fleißig mitdiskutieren. Aber ich möchte meine Gäste nicht dem YouTube-Hass aussetzen. Mein Ziel ist es, die Debattenkultur in Deutschland zu verbessern, aber dafür braucht es einen Mindestgrad an Anstand.
Die Meinungsfreiheit hört also bei YouTube auf?
Nein, auch wenn zu viele YouTube-Kommentare keine Meinungsäußerung, sondern Hass sind. Ganz ehrlich: Ich schwanke bei diesem Thema. Worin ich mir aber sicher bin: Die Menschen in unserer Gesellschaft müssen wieder anfangen, am Stammtisch miteinander zu debattieren und nicht diesen ganzen schlimmen Mist im Internet zu verbreiten.
"Ich möchte nicht irgendwann in der polarisierten amerikanischen Welt leben."
Ist also letztlich gar nicht die vermeintlich fehlende Meinungsfreiheit das Problem dieser Tage, sondern dass wir es als Gesellschaft ein Stück weit verlernt haben, miteinander zu sprechen oder uns auf Argumente anderer einzulassen?
Das ist auf jeden Fall so. Gleichwohl ist die gefühlte Meinungsfreiheit weg. Die gesetzliche ist da. Jeder Mensch kann in unserem Land sagen, was er will – ohne im Gulag zu landen. Wer etwas anderes behauptet, soll gerne mal nach Russland gehen. Aber wenn sich Menschen nur noch hinter verschlossenen Türen trauen, bestimmte Dinge zu sagen, weil sie sonst fürchten, als Rechtsextremer oder Rassist abgestempelt zu werden, dann ist etwas in Schieflage geraten. Mir ist wichtig, in meiner Sendung bewusst Perspektivenvielfalt zu bieten, und daher hatten wir auch in der ersten Woche mehrere Gegenstimmen eingeladen, etwa Ulrike Herrmann von der „taz“, Jennifer Sieglar vom Hessischen Rundfunk oder Jörg Thadeusz, der den öffentlich-rechtlichen Rundfunk verteidigt hat, während Anna Schneider von „Zwangsgebühren“ sprach.
Ist das nicht selbstverständlich?
Viele Menschen in unserem Land haben gar keine Lust mehr auf die andere Meinung. Sie sind so sehr gewöhnt, dass sich ihr Leben in Echokammern abspielt. Ich aber will Debatten und Gegenpositionen. Ich will den Zuschauern Lust auf andere Ansichten machen.
Das amerikanische Nachrichtenfernsehen geht einen anderen Weg. Dort diskutieren oft nur noch Menschen, die sich gegenseitig in ihrer Meinung bestätigen.
Das ist ganz sicher nicht das, was Deutschland braucht, denn ich möchte nicht irgendwann in der polarisierten amerikanischen Welt leben. Davon abgesehen habe ich die Hoffnung, dass es nach wie vor genug Menschen in unserem Land gibt, die offen für gute Argumente sind. Ich halte im Übrigen auch nicht viel von dieser Cancel-Culture-Debatte. Ich selbst war wahrscheinlich unter Journalisten die härteste Gegnerin der Corona-Maßnahmen – und trotzdem saß ich mit meiner Meinung bei Maischberger.
Gibt es Gäste, die Sie selbst nicht einladen würden?
Ich bin ein Meinungsoffenheitsultra, aber klar: Holocaustleugnern würde ich keine Plattform geben. Und wer die Erde für eine Scheibe hält, muss bei mir auch nicht am Tisch sitzen. Ansonsten habe ich aber keine Beißhemmung. Ich würde Herrn Höcke in die Sendung einladen, auch wenn ich mich wahrscheinlich einen Monat darauf vorbereiten müsste. Und was mir wichtig ist: Bei mir werden auch AfD-Abgeordnete wie Bernd Baumann Platz nehmen – eben jener schon heute Abend.
Frau Brockhaus, vielen Dank für das Gespräch.
"Meinungsfreiheit - mit Nena Brockhaus", Montag bis Mittwoch um 16:10 Uhr bei Welt
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