Herr Paalzow, die Erwartungen nach all den Schlagzeilen und Ankündigungen sind groß. Gibt es ab Herbst jetzt ein komplett neues Sat.1?

Ab Herbst ist es noch kein komplett neues Sat.1, aber 2013 ist das Jahr der Umwandlung. Denn wir müssen Sat.1 neu erfinden. Wir können nicht so weitermachen wie bisher, und das nicht nur aufgrund der Marktanteilssituation, sondern auch, weil manche Formen der Unterhaltung ihren Zenit einfach überschritten haben.

Ist es befreiend, mal so eine ehrliche Bestandsaufnahme zu machen?

Wenn wir ehrlich sind, dann stehen eigentlich alle Senderchefs vor den gleichen Herausforderungen. Wir befinden uns in einem Fernsehmarkt, der nicht mehr der gleiche ist wie der vor zehn Jahren. Er ist sehr viel zersplitterter, es gibt viele neue kleine Sender. Wir mischen da ja auch kräftig mit, Sat.1 Gold ist im Januar gestartet und liegt aktuell bei 0,4 Prozent, sixx sogar schon bei 1,2 Prozent Marktanteil. In der Summe sind das Marktanteile, die es den großen Sendern nicht einfacher machen. Von der Konkurrenz durch das Netz mal ganz zu schweigen.



Aber die Not wirkt bei Sat.1 dann doch noch etwas größer...

Die spezielle Herausforderung bei Sat.1 ist, dass man in der Vergangenheit so viele Wege eingeschlagen hat und doch keinen richtigen Schritt vorankam. Wir werden im nächsten Jahr 30 Jahre alt und sind im Grunde im 30. Lebensjahr gerade dabei, uns neu zu erfinden. Die Unternehmensgeschichte hätte für meinen Geschmack natürlich auch etwas anders aussehen können, aber die Situation ist so wie sie ist.

Sie kapitulieren nicht vor ihr?

Absolut nicht, im Gegenteil! Sat.1 zu führen ist nicht nur die größte Herausforderung im deutschen Fernsehen, es ist auch die schönste Herausforderung. Weil wir einfach sehr viele Möglichkeiten haben, jetzt Dinge neu und anders zu machen.

Und wenn Sie dann im Büro sitzen und die Ärmel hochkrempeln: Wo fängt man dann an bei Sat.1?

Wir haben eine Vielzahl von gleichzeitigen Herausforderungen. Das unterscheidet die Situation bei Sat.1 sicher von der bei einem Sender wie RTL, der sicherlich auch vor Problemen steht. Aber wir müssen an mehreren Timeslots über den Tag verteilt arbeiten und haben gleichzeitig auch mehrere Abende in der Primetime neu aufgestellt. Das ist schon relativ viel auf einmal.

Wie kam es denn dazu, dass jetzt gleich an allen Ecken und Enden gearbeitet werden muss?

Vielleicht lag es am Ende daran, dass sich Sat.1 als der älteste Privatsender immer seiner Tradition und seinem Markenkern verpflichtet gefühlt hat und sich mit Neuerungen schwerer getan hat oder tut als andere Sender. Aber es hilft ja nichts: Da müssen wir ran. Wir wollen ja nicht gleich alles über Bord werfen, aber uns auch nicht allem Neuen verschließen. Hätte man vor „The Voice of Germany“ die Menschen gefragt, ob sie noch eine Castingshow bei Sat.1 sehen wollen, hätte es ein klares Nein gegeben. Und dann wurden „The Voice“ und „The Voice Kids“ große Erfolge, um auch das mal deutlich zu betonen. Sat.1 hat ja inzwischen auch wieder zahlreiche Programm-Highlights.

Wie zum Beispiel aktuell auch „Got to dance“...

Bei „Got to dance“ haben wir vieles berücksichtigt, weil man ja immer aus der Vergangenheit lernen muss. Die Sendung hat viele neue Elemente, die sie von früheren Versuchen im Bereich Tanzen unterscheidet. Und übrigens auch von „Let‘s dance“ bei RTL. Die Sendung hat einen emotionalen Mehrwert. Ich selbst bin kein großer Tänzer, aber als ich die Show das erste Mal sah, war ich fasziniert von der besonderen Visualität und Unterhaltsamkeit. Dazu kommt eine starke Jury, frisch und neu besetzt. Es sieht nicht nur gut aus, sondern ist im besten Fall das, was uns beim Gesang mit „The Voice“ gelungen ist. Wir haben also alle Hausaufgaben, die man machen konnte, gemacht. Und das Publikum hat uns dafür belohnt.

Stichwort frisch und neu besetzt: Das gilt wohl auch für die kommende „The Voice“-Staffel...

Wenn es nach Formaterfinder John de Mol ginge, sollten Teile der Besetzung eigentlich nach jeder Staffel wechseln. Es war im internationalen Vergleich also eher ungewöhnlich, dass wir noch eine zweite Staffel mit den gleichen vier Coaches gemacht haben. Aber die Formatidee mit den drehenden Stühlen ist so stark, dass ich mir sicher bin, dass das Publikum auch Neubesetzungen akzeptieren wird. Da mache ich mir überhaupt keine Sorgen.

Zum Thema „Lernen aus der Vergangenheit“ passt auch das Interesse am Kochen: Nach „Deutschlands Meisterkoch“ wagen Sie sich mit „The Taste“ noch einmal ran...

Es gibt eine gewisse Anzahl an Programmfarben, mit denen man immer wieder arbeitet. Das Fernsehen erfindet sich selten komplett neu. Kochen, singen, spielen, wissen, sich unterhalten, informieren - das sind die Basis-Zutaten, aus denen wir alle immer wieder neue Formate kreieren. Mit „The Taste“ haben wir im Genre „Kochen“ etwas Ungewöhnlicheres, Spannenderes gefunden. Das Format stammt ja von unseren amerikanischen Kollegen bei Kinetic und war Anfang des Jahres ein Überraschungshit bei ABC, der dort jetzt auch in eine zweite Season geht. „The Taste“ transferiert die Grundidee von „The Voice“ in die Welt des Geschmacks, natürlich mit ganz eigenen erzählerischen Hürden. Schmecken lässt sich halt schlecht auf der Showbühne inszenieren (lacht). Aber unsere Ankündigung hat die Koch-Szene aufhorchen lassen und wir haben mit Tim Mälzer, Frank Rosin, Léa Linster und Alexander Herrmann wirklich eine hervorragende Jury-Besetzung. Das ist eine tolle Mischung, die wir sicherlich auch anders inszenieren werden als in einer normalen „Lanz kocht“-Sendung.

Und auf welchem Sendeplatz wird es laufen?

„The Taste“ kommt im Herbst. Den Sendeplatz verraten wir noch nicht. Aber, weil Sie es eben angesprochen haben: „Masterchef“ ist auch ein tolles Format, das international hervorragend funktioniert. Es gab verschiedene Analysen, warum unser „Masterchef“, also „Deutschlands Meisterkoch“, bei Sat.1 damals nicht funktioniert hat. Zwei Ergebnisse daraus haben wir jetzt bei „The Taste“ klar adressiert: zum einen eine starke Jury und zum anderen den richtigen Sendeplatz. Das verrät Ihnen ja schon ein bisschen was. Freuen Sie sich drauf.

Wie positionieren Sie eigentlich die Abende bei Sat.1? Damit tat sich Sat.1 ja lange schwer, auch weil am Mittwoch immer mal wieder der Fußball dazwischenfunkte...

Och, die Champions League hätte mich jetzt überhaupt nicht gestört in Sat.1 (lacht). 

Okay, in der vergangenen Saison mit Sicherheit nicht. Aber Sat.1 ist auch schon an der Champions League verzweifelt...

Mit der starken Performance des FC Bayern München und auch Borussia Dortmund gibt es keinen Grund, davon auszugehen, dass es in der nächsten Saison nicht ähnlich stark weitergeht. Aber eben leider nicht bei uns. Doch zurück zu Ihrer Frage. In der Perspektive 2014 wollen wir drei bis vier Abende mit Lizenzproduktionen, sowohl Film als auch Serie, bespielen und drei Tage mit Eigen- und Auftragsproduktionen in den Bereichen Reality, Show und Fiction. Dabei wird die Fiction ein ganz wesentliches Standbein sein. Deutsche Fiction bei Sat.1 muss weiter an Bedeutung gewinnen. Wir werden nicht nur in neue Einstunden-Serien investieren, sondern auch das Genre deutsche Sitcoms wiederbeleben. Das ist längst überfällig. Sie waren ja kürzlich auch in Los Angeles und haben bei den Screenings gesehen: Starke Fiction kann den Markenkern eines Senders festigen wie kein anderes Genre. Große Shows und Reality auch, aber nichts prägt ein Image so sehr wie starke Fiction. Da haben wir viel Potential. Mit „Pastewka“ haben wir übrigens ja schon eine sehr gute Sitcom.

Die bislang immer sehr gut versteckt wurde...

Lassen Sie sich überraschen, wie wir mit dieser Qualität von Fernsehen künftig verfahren werden. So eine tolle Serie muss man prominenter platzieren. Und es gibt eine Vielzahl von Ideen, wie wir das mit weiteren Halbstündern ergänzen.