Herr Weimer, Sie warnen davor, dass Deutschland die digitale Zukunft zu verschlafen droht. Was genau ist Ihre Sorge?

Ich habe die Sorge, dass nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa im Zuge der digitalen Revolution abgehängt wird. Wie viele der 100 weltweit kapitalstärksten Digitalunternehmen kommen aus Europa? Vielleicht noch drei. Das Kapital konzentriert sich in Amerika und zunehmend auch in China. Da, wo sich Kapital akkumuliert, sind wiederum die nächsten Innovationszyklen und Wertsteigerungen vorprogrammiert. Wenn es darum geht, die Standards der digitalen Welt zu definieren, haben die Europäer im Grunde kein Wort mehr mitzureden.

Das klingt ziemlich ernüchternd.

Und leider ist das noch nicht alles. Wer baut die Geräte und ist Herr über die Hardware? Obwohl wir eigentlich ein Volk der Maschinenbauer sind, ist Deutschland hier vollkommen abgehängt. Wir bauen keine Handys, wir bauen keine Computer, wir bauen nicht einmal mehr Netzwerke. Wir sind also auch in technologischer Hinsicht eine marginale Größe geworden. Und schließlich die Inhalte: Die Deutschen bestimmen so gut wie keine digitalen Inhalte, die in der globalen Community von Relevanz sind. Hubert Burda hat mal gesagt: Unsere Rolle besteht nur noch darin, am Rande des Google-Highways kleine Würstchenbuden aufzustellen. Ich fürchte, genau so ist es.

 

Sie organisieren für Microsoft die politische Veranstaltungsreihe "Digitales Deutschland" in Berlin, die sich mit diesen Fragen befasst. Weshalb sind wir aus Ihrer Sicht in einen solchen Rückstand geraten?

Viele Probleme sind hausgemacht. Die deutsche Medienindustrie ist über die letzten 20 Jahre im globalen Maßstab niedergegangen wie die Textilindustrie in den 1950er Jahren. Die deutsche Textilindustrie war mal Weltmarktführer – und ist dann innerhalb von 20 Jahren zu einer Randgröße geschrumpft. Eigentlich hatten und haben wir die nötige Kapitalkraft und das technische Innovationspotenzial. Dass wir sie nicht nutzen, hat mit groben Managementfehlern zu tun, aber auch mit der mittelständisch geprägten Struktur unserer Verlagslandschaft. Zudem herrscht ein Klima der Innovationsfeindlichkeit in Gesellschaft und Politik, das nicht gerade dazu führt, dass wir die nötigen Kapitalressourcen mobilisieren, um kreative Gründer für große Ideen auszustatten.

Stattdessen reden wir erst einmal über Risiken und Gefahren.

Genau. Wir sind eine Datenschützer- und Google-Hasser-Nation. Wir suchen kaum nach dem enormen Gewinnpotenzial, das in dieser digitalen Revolution steckt. Die Google-Debatte ist ein gutes Beispiel. Natürlich sind die Monopolisierungstendenzen und die Datenschutzfragen ein objektives Problem bei Google. Andererseits spricht doch nichts dagegen, Google Wettbewerb zu machen. Wenn Google Wettbewerb hätte, gäbe es viele der Probleme nicht. Wir haben in Europa genügend Akteure, die Google Paroli bieten könnten – sie tun es aber nicht. Wir brauchen dringend ein europäisches Google! So wie wir uns in den 1960er Jahren für ein europäisches Airbus-Konsortium gegen das erdrückende US-Monopol von Boeing entschieden haben. Das war für den Gesamtmarkt gut, weil es Wettbewerb und Transparenz geschaffen hat. Dass Europa es nicht hinkriegt, mit eigenen Investitionen im Suchmaschinen-Markt zumindest kleinere Marktanteile zu erobern, ist ein furchtbares Armutszeugnis.

"Mich ärgert, wie reformunwillig sich die Politik gegenüber den Öffentlich-Rechtlichen verhält"

Wolfram Weimer

Wenn Sie Airbus als Beispiel heranziehen, dann reden wir aber nicht nur über unternehmerischen Mut, sondern auch über massive staatliche Subventionen.

Ich bin bekennender Marktwirtschaftler und habe meine Probleme damit, wenn der Staat Unternehmer spielen will. Aber er kann sicher einen bestimmten Rahmen schaffen und damit Impulse geben. Nehmen wir zum Beispiel das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem in Deutschland. Wenn ich mir anschaue, welche Ressourcen dort gebunden sind – inzwischen fast 10 Milliarden Euro –, dann frage ich mich, ob das gesellschaftspolitisch eigentlich klug investiertes Kapital ist. Oder kämen wir nicht mit einem schlankeren, schlagkräftigeren, stärker inhaltlich orientierten öffentlich-rechtlichen System für, sagen wir, 5 Milliarden aus? Im internationalen Vergleich wäre das immer noch sehr opulent. Die frei werdenden Mittel könnten wir dann unabhängig von ARD und ZDF in gesellschaftlich zu definierende digitale Zukunftsfelder investieren. Das ist eine Frage des politischen Willens. Mich ärgert, wie reformunwillig sich die Politik gegenüber dem öffentlich-rechtlichen System verhält.