Herr Porter, Sie haben kürzlich erst beim Global Media Forum der Deutschen Welle über die Zukunft des Journalismus diskutiert. Was ist für Sie derzeit denn das wichtigste Buzzword bei diesen Diskussionen?

Das wichtigste Buzzword ist derzeit zweifelsohne Mobile, wenn wir uns die dramatische Verlagerung der Nutzung von Medienangeboten, ganz besonders aber Nachrichtenangebote, anschauen. Die Verlagerung zur mobilen Nutzung vollzieht sich gerade in einem atemberaubenden Tempo, die vor uns vor eine Reihe von Fragen stellt. Ich glaube deshalb, dass uns das Thema Mobile in den kommenden Monaten und Jahren noch sehr oft beschäftigen wird. Technisch ist das Thema nicht neu, aber die Bedeutung hat enorm zugenommen und stellt den Aufbau vieler Angebote auf den Kopf.

BBC World News hat dementsprechend vergangene Woche seine Nachrichten-App nochmal überarbeitet und ausgebaut. Welche Fragen wirft Mobile denn für Sie auf?

Wie gesagt. Sehr viele. Wie sieht Journalismus für mobile Endgeräte eigentlich aus? Reden wir von Text oder einem Mix an Darstellungsformen? Wird es da Normen geben? Wie lässt sich Journalismus auf kleineren Bildschirmen ohne vergleichsweise große Bannerflächen refinanzieren? Oder lässt man es sich bezahlen vom Nutzer? Gewöhnen wir die Nutzer damit an kürzere und kompaktere Wissensvermittlung und wenn ja, was heißt das für die Vertiefung von komplexen Themen? Und für welche Vielzahl an Nutzungssituationen bereiten wir mobil Inhalte auf?

Spielt die Desktop-Website noch eine große Rolle? Oder noch weiter gefragt: Wie passt ein linearer Nachrichtensender in diese Medienwelt?

Fernsehen bleibt unverändert stark und wird das auch noch eine lange Zeit bleiben. Wenn Sie sich die Anzahl der Stunden anschauen, die ein Zuschauer durchschnittlich fernsieht, dann ist das weltweit sehr stabil wenn nicht sogar steigend in einigen Teilen der Welt. Damit bleibt BBC World News das Herzstück unserer Arbeit. Parallel dazu hat sich eine massive Nachfrage nach Informationsangeboten im Netz entwickelt, wobei man stets den Blick auf die Desktop-Websites geworfen hatte. Von dort, von den Computern auf den Schreibtischen, kam die Online-Nutzung ja ursprünglich. Jetzt ist die Reichweiten-Entwicklung von Desktop-Websites gleichbleibend, wenn nicht leicht sinkend, weil wir auf der anderen Seite eine rapide steigende Mobilnutzung feststellen. Alle drei Angebote sind für uns von großer Bedeutung, weil sie unterschiedliche Zielgruppen in unterschiedlichen Nutzungssituationen erreichen.

Ich fragte eingangs nach Ihrem Nachrichten-Buzzword. Meins wäre in diesem Jahr eindeutig der Begriff „Wahrheit“ gewesen - verbunden mit der Frage, ob ein Nachrichtenangebot in dieser Zeit der Desinformation und Kampagnen noch für sich in Anspruch nehmen kann, die Wahrheit zu berichten…

Ich würde nie soweit gehen und behaupten, dass die BBC die Wahrheit verbreitet. Wir arbeiten hart daran, unabhängig zu berichten und den Blick auf die Ereignisse aus unterschiedlicher Sicht zu werfen. Dabei streben wir danach, der Wahrheit so nahe wie möglich zu kommen und setzen hierfür alle journalistischen Werkzeuge ein. Wenn Sie an gewisse Orte nicht selbst vordringen können, weil der Zutritt verweigert wird oder es zu gefährlich ist, dann können wir nicht absolut sicher sein, solange wir etwas nicht mit unseren eigenen Augen gesehen haben. Wir hatten aber noch nie so viele Hilfsmittel, der Wahrheit so nahe wie möglich zu kommen, etwa auch durch Input durch Social Media, Zuschauer und Leser. Informationen, die wir auf diesen Wegen erhalten, behandeln wir mit der bekannten journalistischen Sorgfalt und überprüfen sie. Im besten Fall helfen Sie ein noch akkurates Bild der Realität zu zeichnen. Wichtig ist, dem Publikum ehrlich und offen zu kommunizieren, was wir sicher wissen und was wir zu wissen glauben. Wenn wir über Wahrheit reden, dann ist damit ein weiteres wichtiges Wort verbunden.

"Es ist zu früh, um da schon ein Urteil abgeben zu können"

Richard Porter über die Auswirkungen von Periscope

Welches?

Vertrauen. In einer Nachrichtenwelt in der es immer mehr Informationsangebote gibt, werden diejenigen gewinnen, die das mühsam aufgebaute Vertrauen ihrer Zielgruppe pflegen. Deswegen haben wir da ein besonderes Augenmerk drauf. Aber wo Sie eben nach Buzzwords gefragt haben: Vertical Video wird uns in Zukunft beschäftigen. Es ist das genaue Gegenteil des Fernsehformats, aber durch das immer häufigere, schnelle Filmen mit Smartphones werden wir uns damit intensiver beschäftigen müssen.

Das bringt mich zu Periscope. Ist das ein praktisches Werkzeug für den Journalismus oder eine Gefahr für Nachrichtensender wie BBC World News, weil künftig jeder live streamen kann über nachrichtliche Ereignisse?

(überlegt) Es ist zu früh, um da schon ein Urteil abgeben zu können. Es kann Beides sein. Momentan sind wir da in der Phase des Experimentierens.

Kürzlich ist DW News gestartet. Der jüngste internationale Nachrichtensender in einer Reihe von Sendern mit nationalem Sendungsbewusstsein wie beispielsweise France 24, Al-Jazeera, Russia Today. Wie unterscheidet sich BBC World News von diesem Wettbewerb?

Zunächst einmal möchte ich sagen: Wettbewerb ist gut, weil er dazu zwingt, sich intensiver mit der eigenen Leistung zu beschäftigen. Das vorweg geschickt: Der Unterschied liegt sicher in der Tradition. Wenn Sie uns, aber auch CNN anschauen, dann reden wir von Nachrichtenorganisationen, die sehr lange im Geschäft sind. CNN seit mehr als drei Jahrzehnten und die BBC noch viel, viel länger und in Form eines globalen Nachrichtensenders seit fast 25 Jahren jetzt. Wie ich schon sagte: Im Nachrichtengeschäft muss man sich Vertrauen erarbeiten und da haben sowohl die Kollegen bei CNN als auch wir sicher einen zeitlichen Vorsprung gegenüber jüngeren Nachrichtenangeboten, ganz unabhängig von der Frage mit welchen Absichten diese überhaupt ins Leben gerufen wurden. Einige der Kanäle, die sie genannt haben, sind ja im Grunde eher verlängerte Arme der jeweiligen nationalen Diplomatie. Da geht es um die Verbreitung von speziellen Sichtweisen im Sinne der jeweiligen Nationen. Das war nie die Aufgabe der BBC. Unsere Aufgabe bei BBC World News ist es, rund um den Globus so viele Menschen wie möglich zu erreichen und das gelingt Ihnen nur, wenn sie das liefern, worauf sich alle verständigen können: Unabhängigen Journalismus mit einer globalen Perspektive.

Zur Person

  • Richard Porter

    Der Brite ist Controller of English bei BBC Global News, einer internationalen, kommerziellen Tochter der BBC. In dieser Funktion verantwortlich für das englischsprachige Angebot des Nachrichtensenders BBC World News sowie der digitalen Angebote. Porter arbeitet seit 1989 für die BBC in diversen Redaktionen. 1997 gehörte er zum Gründungsteam des britischen Nachrichtenkanals BBC News 24. 2001 wurde er Chef des Frühstücksfernsehens bei BBC One und 2004 dann kam er zu BBC World, heute BBC World News. Porter twittert auch unter @richardporter

Welche Rolle spielt BBC World News für die BBC zuhause in Großbritannien?

BBC World News trägt die Marke BBC in die Welt und indem wir unbeirrt unsere journalistischen Werte und Sorgsamkeit pflegen, die die BBC weltweit zu einer so vertrauenswürdigen Quelle gemacht haben, fällt das positive Image im Ausland auch zurück auf die BBC in Großbritannien und Großbritannien selbst und gibt dieser ehrwürdigen Institution eine weitere Daseinsberechtigung. Ich glaube darauf kann man stolz sein.

Wenn Sie sich selbst BBC World News heute im Vergleich zu vor zehn Jahren anschauen. Wie sehr hat sich der Sender verändert?

Ich glaube das, was Sie heute on air sehen, unterscheidet sich sehr deutlich von dem, was wir vor zehn Jahren hatten. Einen Trend, den man auch bei anderen Nachrichtensendern wie dem jüngst gestarteten DW News beobachten kann: Die Visualisierung von Nachrichten ist deutlich wichtiger geworden. Gerade wenn unser lineares TV-Programm auf Bildschirmen unterschiedlicher Größe gesehen wird, muss die optische Aufbereitung von Themen klar erkennbar sein. Wir sprechen da beispielsweise von größeren Grafiken. Dementsprechend muss die Produktionsqualität stimmen. Aber auch die Vielzahl und Art der Quellen hat sich geändert. Eine Entwicklung, die wir mit unserer Sendung „Outside Source“ begleiten.

"Es ist sehr unwahrscheinlich, dass eines der großen internationalen Nachrichtenhäuser wirklich zuerst über ein Ereignis berichtet."

Richard Porter

Get it fast, but get it right“ ist eines der Mantras auch bei der BBC. Wie aber geht man damit um, wenn Quellen am Ort des Geschehens durch öffentliche Kanäle wie Twitter dieses Rennen auf die Spitze treiben.

Man muss schnell sein, um wettbewerbsfähig zu sein. In einer Welt, in der irgendjemand vor Ort mit Sicherheit schon getwittert hat oder einen anderen Dienst genutzt hat, um die Nachricht zu verbreiten, ist die Wahrscheinlichkeit aber sehr gering, dass eines der großen internationalen Nachrichtenhäuser wirklich zuerst über ein Ereignis berichtet. Deswegen beanspruchen wir das nicht für uns. Wir sind in der Verantwortung mit einer solchen Information sinnvoll umzugehen und schnell zu entscheiden, wie diese einzuordnen ist und welche Recherchen und Aufbereitung nötig sind. Für diese Expertise vertrauen uns weiterhin auch diejenigen, die manche Erstinformation bei Twitter oder anderen sozialen Medien aufgreifen.

Herr Porter, herzlichen Dank für das Gespräch