Herr Westendorp, die Fernsehserie wird zum Kulturgut und deutsche Sender wollen es mit einer ganzen Reihe von Prestige-Projekten in diesem Herbst wissen. Können wir jetzt wieder besser fernsehen…

Stefan Westendorp: Man konnte immer gut fernsehen. Es ist eben eine Frage des eigenen Anspruchs, was man auswählt und sich anschaut. Eins ist aber sicher festzustellen: Die entstandene Wettbewerbssituation im deutschen Fernsehmarkt durch inzwischen recht starke Pay-TV-Sender und neue, non-lineare Angebote wie Netflix oder Amazon, setzt die etablierten großen Kanäle unter Druck, mehr in ihre Programme zu investieren und auch darüber nachzudenken, womit man sich in diesem intensiveren Wettbewerb abheben kann.

Wobei die Energie gefühlt eher auf Ausgründungen neuer kleiner Sendermarken verwendet wurde - als auf die Stärkung der großen Programme.

Westendorp: Da ist was dran. Wir konnten in den letzten Jahren im Fernsehen eine Fragmentierung beobachten, wie wir sie in Print schon längst durchlaufen und durchlitten haben. Das ist die andauernde Herausforderung, mit der sich die großen Sender jetzt beschäftigen müssen. Als Reaktion auf die Entwicklung wurde ja bereits eine ganze Reihe von Ablegern gegründet, um abwandernde Zuschauer mit Spartenkanälen in den eigenen Reihen zu halten. Das ist sicherlich ein Trend, der die nächsten Jahre noch anhalten wird. Der sich wahrscheinlich sogar noch verschärfen wird, weil die Technik dem Zuschauer immer neue Wege ermöglicht, Bewegtbild zu konsumieren. Wir werden uns darauf einstellen müssen, dass die großen Fernsehsender schon bald nicht mehr auf zweistellige Marktanteile kommen werden.

Wenn über tolle neue Fernsehserien gesprochen wird, dann geht es relativ selten um die großen linearen Sender. Wie viel von der neuen Begeisterung für die Kunstform Fernsehserie fällt denn Ihrer Meinung nach ab für die Sender?

Westendorp: Das ist sicher ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite lässt sich beobachten, dass die Menge an Serien enorm zunimmt und sich dabei auch die Qualität deutlich gesteigert hat, was aber eben auch daran liegt, dass fortlaufende Handlungen im Trend liegen. Für einen frei empfangbaren Sender mit Werbefinanzierung wird es immer schwieriger, diese Serien an den Zuschauer oder die Zuschauerin zu bringen. Das führt dazu, dass ganz herausragende Serien keine Quote erzielen, weil sich die Sehgewohnheiten der Zuschauer verändert haben. Meine Kollegin Miriam Meißner hier, die bei uns das aktuelle Ressort leitet und auch unser Magazin „InSerie“ verantwortet, schaut völlig anders. Meistens erzählt sie am Montag, welche Staffel sie am Wochenende gleich in einem durch geschaut hat. Das ist ein anderer Zugang, der sich nicht nach fixen Ausstrahlungsterminen richtet. Binge-Watching ist ein anhaltender, unglaublich starker Trend.

Da kommen wir doch zu einer spannenden Frage: Braucht es für eine non-lineare Fernsehnutzung noch Programmzeitschriften, die pro Tag seitenweise Listings abdrucken?

Westendorp: Ach, ich mache mir keine Sorgen, dass die Leute aufhören linear fernzusehen. Wenn wir an eine Sendung wie „Schlag den Raab“ denken, die wir zum Jahresende ja leider verlieren - oder vielleicht auch nicht -, dann ist das das Fernsehen, welches nur linear funktioniert und für das auch junge Zuschauer gern eine Verabredung mit einer fixen Sendezeit eingehen. On Demand funktioniert diese Art der Fernsehunterhaltung nicht, weil sie dann am nächsten Morgen nicht mitreden können. Gleiches gilt beispielsweise auch für den „Tatort“. Es wird also auch weiterhin einen Markt für lineares Fernsehen geben. Aber Serien funktionieren anders und sind deshalb die Treiber der SVoD-Portale.

die mit Abos Geld verdienen, die sich monatlich kündigen lassen. Eigentlich kurios, dass diese Anbieter auf Binge-Watching setzen. Eine Veröffentlichung von Serien in Intervallen würde Abonnenten länger halten.

Westendorp: Und ohne jede Kündigungsfrist und Vertragsbindung können die Nutzer munter hin und her wechseln - was sie auch tun. Gut möglich, dass Netflix und Amazon in Zukunft nicht immer auf Binge-Watching setzen bei neuen Serien. Bei eingekauften Programmen wie „Better Call Saul“, die nicht von Netflix selbst produziert wurden, geht es ja ohnehin nicht wegen der wöchentlichen Ausstrahlung im US-Fernsehen. Ein weiterer Aspekt, der dafür spräche: Amazon will mit seinem SVoD-Angebot die Nutzer immer wieder auf die Website holen. Schließlich liegt das Geschäftsmodell von Amazon im Verkauf - das ist ein Versandhaus!

Frau Meißner, eine Frage an die Serien-Liebhaberin, wo sie schon mal da sind. Netflix ist jetzt ziemlich genau ein Jahr im deutschen Markt. Hat das Unternehmen die hohen Erwartungen erfüllt?

Miriam Meißner (Leiterin "InSerie"): (überlegt) Ich glaube man kann sagen: Netflix ist bei den Deutschen noch nicht ganz angekommen. In Amerika ist Netflix das große Ding und in Deutschland scheint es mir so, als habe man die Arbeit etwas unterschätzt. Subscription-Video-on-Demand ist aber kein Selbstläufer in Deutschland, auch wenn man die Städte plakatiert und überall für sich wirbt.

Westendorp: Korrigieren Sie mich, aber das Netflix-Angebot in den USA ist auch wesentlich umfangreicher als bei uns.

Dem würde ich gefühlt zustimmen, ohne es jetzt nachgezählt zu haben. Aber wie gehen Sie bzw. wie geht „TV Movie“ mit der Nachfrage nach non-linearem Fernsehen um?

Westendorp: Für uns gibt es zwei Herangehensweisen: Zum einen haben wir in diesem Jahr den neuen Titel „InSerie“ gestartet, zum anderen ist „TV Movie“ nicht nur Programmzeitschrift, sondern auch ein großes Entertainment-Magazin, das immer wieder versucht, junge Leser heranzuführen. Und das gelingt! Unsere Leser sind im Durchschnitt 40 Jahre alt. Wir sind quasi nicht gealtert. Uns kann es doch, ganz ehrlich, egal sein, ob die Menschen den Fernseher zu einer bestimmten Uhrzeit einschalten oder SVoD nutzen. Hauptsache sie nutzen „TV Movie“ als Grundlage für ihre Entscheidung. Wir mit unserer Empfehlungskompetenz müssen den Menschen die Orientierung bieten, zu wissen, was sie sehen sollten und was nicht. Wir haben eine zusätzliche Serien-Seite eingeführt in „TV Movie“, berichten über die neuen Serien bei Netflix und Amazon Prime, und wir bieten als einzige Programmzeitschrift übrigens auch in den Listings den Hinweis darauf, ob Sendungen auch in der Mediathek des Senders verfügbar sind. Und nicht zuletzt spielt uns auch die Fragmentierung im TV-Markt in die Karten. Hier schafft TV Movie Übersicht.

Sie sagten, es kann ihnen im Grunde egal sein, ob die Menschen linear oder non-linear schauen. Die Perspektive kann ich nicht nachvollziehen. Wer on-demand schaut, hat wenig Grund sich „TV Movie“ zu kaufen. Ihre Abonnenten sind doch in erster Linie Zuschauer linearer Programme.

Westendorp: Das ist schon richtig, aber man staunt doch immer wieder. Gerade erst hat eine Studie ermittelt, wie gut verschiedene Altersgruppen auf Fernsehen verzichten könnten. Und man denkt doch, dass bei den jüngeren Zuschauern Fernsehen keine Rolle mehr spielt. Aber das Ergebnis der Studie ist ein anderes: Das Gegenteil ist der Fall. Sicherlich haben junge Menschen immer schon ein verändertes Mediennutzungsverhalten gehabt. Ich bin jedoch fest davon überzeugt, dass auch junge Menschen später - wenn Ausbildung oder Studium erstmal beendet sind und eine Familie gegründet wurde - der linearen Fernsehunterhaltung einen Platz in ihrem Alltag reservieren. Und wenn parallel auch auf Netflix oder Amazon Prime zurückgegriffen wird, dann bieten wir auch dafür die Begleitung.