Herr Gerlach, vor wenigen Jahren noch stellte immer günstigere Technik für Endkonsumenten die professionellen Studiobetreiber und TV-Dienstleister vor große Herausforderungen. Es gab verhärtete Fronten zwischen Profis und Amateuren...

Das sehe ich etwas anders. Webvideo-Produktionen waren in technischer Hinsicht – gemessen an der Schnelligkeit des digitalen Zeitalters - relativ lange recht unaufwändig möglich. Das, was den Boom bei YouTube ausgelöst hat, waren sehr persönliche Videos ohne viel technischen Einsatz. Dabei war es nicht so, dass wir in dieser Zeit Hilfe verweigert haben. Es war nur so, dass eine professionelle Infrastruktur oftmals gar nicht gefragt war. Das hat sich geändert.

Wer hat sich auf wen zubewegt?

Wir erleben seit einiger Zeit eine fortschreitende Professionalisierung und wertigere Produktionen im Webvideo-Bereich. Sieht man sich etwa an, was der ein oder andere YouTuber inzwischen für Musikvideos realisiert, dann ist das produktionstechnisch schon ein hohes Niveau. Solche Projekte entstehen auch nicht mehr im Alleingang. Auf Seiten der Studios ist es so, dass auch sie von der technischen Entwicklung profitiert haben und heute flexibler und bei Bedarf kostengünstiger arbeiten können. Damit bewegen sich beide Seiten aufeinander zu.

Welche Ziele verfolgt die Bavaria bei dem Thema?

Wir wollen im Rahmen unseres Projektes „Creative Forge @ Bavaria Film“ denjenigen, die nicht mehr mit der Kamera auskommen, die Oma letztes Jahr unter den Weihnachtsbaum gelegt hat, die Möglichkeit bieten, sich kostenfrei, unter professionellen Bedingungen mit modernem Equipment in den Bavaria Studios weiterzuentwickeln. Der Standort München hat hinsichtlich einer Webvideo-Szene im Vergleich zu Berlin oder Köln – sagen wir - noch Entwicklungspotenzial. Das wollen wir nutzen. Wir sprechen mit der Creative Forge gezielt den Webvideo-Nachwuchs an, der bereits einen bestimmten Grad an Professionalisierung erreicht hat, das heißt relativ regelmäßig produziert und bereits eine gewisse Reichweite erzielt. Diese Talente wollen wir fördern – und auch an die Bavaria heranführen und binden.

Von welcher Reichweite sprechen wir da?

Wir suchen keine Stars mit Millionen Youtube-Abonnenten und einem großen Multi-Channel-Network im Rücken. Mit denen kooperieren wir gerne, die brauchen aber nicht die Unterstützung der Creative Forge. Wir möchten allerdings auch nicht die absoluten Beginner. Unsere Talente sollten 500 oder mehr Abonnenten vorweisen und öfter als nur sporadisch Videos produzieren, in ihrer Entwicklung aber noch nicht soweit sind, dass sie finanziell bereits große Sprünge machen könnten.

Was genau muss man sich unter Creative Forge vorstellen?

Es gibt einen namensgebenden Aspekt: Das Projekt heißt deshalb Creative Forge, weil wir einen Kreativraum für die Webvideo-Talente in der „Alten Schmiede“ auf dem Bavaria Gelände in München eingerichtet haben. Hier wurden früher Requisiten geschmiedet, jetzt sollen es kreative Ideen sein. Es gibt also einen – wie man in Berlin-Mitte sagen würde – Co-Working-Space mit Schnittplätzen und eine Lounge, in der sich die Kreativen vernetzen und gemeinsam an ihren Webvideo-Konzepte arbeiten können. Es muss nicht immer ein fertiges Konzept sein, mit dem die Kreativen zu uns kommen. Vielmehr können Ideen auch erst durch die Vernetzung und das Miteinander entstehen. Wir haben mit den Youtube-Kanälen der Bavaria Entertainment die Erfahrung gemacht, dass das ein ganz wesentlicher Aspekt ist. Die Dinge müssen nicht immer lange entwickelt werden, sondern können auch spontan entstehen und schnell umgesetzt werden.

Und mit welcher Unterstützung können die dann umgesetzt werden?

Das kann im speziell für diese Zwecke neu hergerichteten Studio 8 direkt neben der „Alten Schmiede“ geschehen. Es ist ausgestattet mit einer Hohlkehle, einem kleinen Studio-Setup mit drei Kameras, einer Flight-Case-Regie und moderner Lichttechnik. In Studio 8 wurde früher die Talkshow „Fliege“ produziert. Es ist ein professionell eingerichtetes TV-Studio und keine Garage, die mal schnell leer geräumt worden ist. Bei größeren Projekten können punktuell auch Außenkulissen, feste Sets und andere Studios  in der Bavaria Filmstadt genutzt werden. Wir wollen zudem Workshops anbieten, auch mit externen Partnern, um eine professionelle Video-Produktion zu ermöglichen. Die Workshops werden sich dabei nicht nur mit Fragen der Kreativität beschäftigen, sondern zum Beispiel auch Fragen klären wie: Was darf ich rechtlich als Webvideo-Produzent – was nicht? Wie betreibe ich ein gescheites Channel-Management? Wie kommuniziere ich mit meiner Community?

Was erhofft sich die Bavaria von diesem Investment? Eine direkte Refinanzierung gibt es ja nicht, wenn sie die Mittel kostenfrei zur Verfügung stellen.

Natürlich ist es von Seiten der Bavaria zunächst mal eine Investition. Was erhoffen wir uns davon? Durch die Creative Forge wollen wir den Studiostandort beleben -  hin zu einem Mediencampus. Natürlich wollen wir auch Talente an die Bavaria Film Gruppe heranführen. Wir wollen das im Rahmen von komplett freien Partnerschaften machen. Das ist ein signifikanter Unterschied zu den MCNs. Wir sind offen für Kreative, die sich hier ausprobieren wollen, aber nicht sofort Verträge abschließen wollen, die sie eine bestimmte Zeit lang unfrei machen.

Welche Bedingungen stellen Sie denn potentiellen Interessenten?

Die entstehenden Videos sollen nicht nur geistig sondern auch rechtlich Eigentum der Kreativen bleiben. Der, sagen wir, Eintrittspreis besteht lediglich darin, dass man uns ein non-exklusives Recht einräumt, das hier entstandene Video zu verwerten. Wir planen aber nicht, damit kommerziell durch die Decke zu gehen, sondern verstehen es eher als Marketingtool, um das Projekt „Creative Forge @ Bavaria Film“ auch in der Community zu bewerben.

Wie wollen Sie als Bavaria denn die potentielle Zielgruppe erreichen?

Dabei brauchen wir in der Tat einen anderen Zugang als es die Bavaria im  Kino- oder Fernsehgeschäft gewohnt ist. Wir haben mit dem aktiven Youtuber Steve Heng einen inhaltlichen Leiter des Projekts an Bord geholt, der in der YouTube-Szene Münchens und auch darüber hinaus sehr aktiv ist. Mit ihm können wir die Zielgruppe direkt ansprechen und stoßen bereits jetzt – obwohl das Projekt noch gar nicht weiter bekannt ist - auf recht große Resonanz. Wenn das Projekt läuft, wird man sehen, ob sich das Ganze vitalisiert.

Sind sich Webvideo und Fernsehen näher als es beide Seiten anfangs zugestehen wollten?

Es geht letztlich darum - und das ist der zentrale Punkt -, Geschichten in Bewegtbild zu erzählen. Wir reden vom Handwerk des Storytellings, auch wenn die Mechanismen der Ausspielwege andere sind. Aber ich bin der festen Überzeugung: Wenn auf beiden Seiten Offenheit besteht, können sich beide Seiten befruchten. Wir werden die Webvideo-Kreativen in unseren Workshops mit den Kreativen aus dem klassischen TV-Produktionsgeschäft zusammenbringen. Daraus kann etwas Tolles entstehen.

Nach der Personalisierung jetzt also die Phase der Professionalisierung im Webvideo?

Absolut. Christoph Krachten hat das in einem DWDL.de-Interview einmal genau auf den Punkt gebracht. Bislang haben wir nicht nur bei Youtube, sondern im gesamten Online-Videobereich viel zu sehr in Personen und nicht in Formaten gedacht. Irgendwann genügt das Sich-zur-Schau-Stellen aber nicht mehr, es braucht mehr Inhalt. Genau darum geht es uns mit der „creative.forge“. Es geht um das Erzählen von Geschichten. Und was zu Aristoteles' Zeiten schon nach bestimmten Regeln funktioniert hat, ist zwischen Webvideo und Fernsehen keine unüberbrückbare Hürde.

Herr Gerlach, herzlichen Dank für das Gespräch.