Herr Sänger, „DSDS“ startet in eine neue Staffel. Was ist anders und warum?

Wir versuchen, aus den jeweils vorangegangenen Staffeln möglichst viel zu lernen. Dabei gibt es verschiedene Learnings. Einmal die eigene Empirie aus der Produktion, also die Erfahrungswerte aus inzwischen 14 Jahren. Und dann natürlich die Learnings, die wir vom Verhalten der Zuschauer ableiten können. Wir machen unseren Job dann gut, wenn wir mindestens genauso schnell lernen, wie die Zuschauer. Das ist ein wesentlicher Aspekt unserer Arbeit.

Wie sehen die Learnings von beiden Seiten aus?

Wir haben bei der vorletzten Staffel einen neuen Impuls gesetzt mit den Eventshows: Sehr abwechslungsreiche Bilderwelten, neue Situationen für die Kandidaten und auch ein neuer Ablauf. Die Lust und den Mut zu solchen Änderungen muss man haben. Unser Learning aus den vergangenen beiden durchaus erfolgreichen Staffeln: Wir haben die interessantesten und spektakulärsten Locations bespielt – 2000 Meter über und 500 Meter unter der Erde.  Das können wir, realistisch gesehen, nicht toppen. Es wäre ein Fehler, jetzt an dem Konzept festzuhalten, nur weil wir uns vor zwei Jahren dafür entschieden haben. Ich glaube, dass es für jedes Format fatal ist, wenn man Neuerungen nicht mit Abstand auch kritisch betrachtet, konkrete Schlüsse daraus zieht - und handelt.



Das sind ungewöhnlich offene Worte.

Außerdem hatte das Konzept ja auch einen klitzekleinen Haken, weil die Eventshows aufgezeichnet wurden und das Voting live sein musste. Dabei hatte das Voting ja einen eher puristischen Rahmen (lacht). Wir sind also durchaus augenzwinkernd mit uns selbst ins Gericht gegangen und haben beschlossen, nochmal am Schräubchen zu drehen. Das waren die eigenen Learnings.

Kaum 5 Minuten im Gespräch und sie bringen die Parkplatz-Show selbst ins Spiel. Wie fiel denn das Feedback der Zuschauer aus?

Die Zuschauer haben das Setting der Live-Entscheidung nicht kritisiert, und dennoch waren wir nicht 100% glücklich damit. Gleichzeitig kam  vom Publikum  der Wunsch nach der besonderen Atmosphäre einer Live-Show mit dem Nervenkitzel, dass alles passieren kann. Auch die Mottoshows wurden wieder stärker vermisst. Für uns also  Grund genug, etwas zu ändern. Dabei passten unsere Erfahrungen zu den Wünschen der Fans. Die Kurven übereinander gelegt, ergaben die klare Entscheidung: Wir gehen in der Finalphase wieder live. Wir selbst lieben ja auch live und freuen uns auf die Mottoshows.

Warum wurden in britischen Castingshows…

Darf ich noch etwas zu den Learnings aus dem Recall sagen?

Gerne.

Der Recall ist, übrigens weltweit, der kleine Schwachpunkt vieler Castingshows. Wenn die Überraschung und Vielfalt der Kandidatinnen und Kandidaten in die Reduzierung auf die Besten übergeht. Deswegen verlängern wir die Castings in den Recall und schicken in der neuen Staffel immer wieder neue Herausforderer rein. Die 33 Kandidatinnen und Kandidaten, die sich sicher weiter glauben, werden so immer wieder aufs Neue herausgefordert. Das wird ein dramaturgisch guter Impuls und abwechslungsreich für die Zuschauer. Mit Dieter Bohlen haben wir da auch einen guten kreativen Treiber, der stark am Format interessiert ist.

Und es gefällt dem Sender, wenn ein Protagonist den Ton angibt?

Da mögen Programmmacher unterschiedlich drüber denken, aber ich finde das sehr produktiv. Er hat ein starkes Producer-Denken entwickelt. Es gibt sehr wenige in unserer Branche, die on air präsent sind und sich off air so stark einbringen. Ich wünsche mir das, weil wir immer wieder Sparringspartner brauchen. So entsteht eine kreative Dynamik. Ich genieße diese Form der inhaltlichen Auseinandersetzung und kann ganz gut damit umgehen.

Ist die Recall-Phase der Castingshows nicht auch deshalb schwierig, weil niemand mehr glaubt, dass aus den Castingshows ein echter Star hervorgeht. Was Simon Cowell gelungen ist, hat bei uns nie geklappt. Ist daher der Weg zum Ziel geworden?

Uns ist bei „DSDS“ immer mindestens eine Nr.1 gelungen, was einen durchaus beachtlichen Footprint in den Charts hinterlässt. Andere Formate haben das bisher nicht geschafft. Aber letztlich ist der Weg inzwischen das Ziel. DSDS ist eine Unterhaltungssendung, die genau das tun soll: Gut unterhalten. Wir klammern uns nicht an Begriffe wie Superstar, Megastar oder neue Stimme der Nation. Der Weg ist das Ziel und die Show der Zweck. Jeder Fernsehmacher, der bei Castingshows anders denkt, macht sich und anderen was vor.

Deswegen auch das vor einigen Jahren eingeführte Preisgeld von 500.000 Euro?

Eine mehr als ordentliche Ausbildungsabsicherung, sozusagen.

Die Untertreibung des Jahres.

(lacht) Wer geschickt damit umgeht, kann damit lange gut leben. Die 500.000 Euro sind ja eine Art Garantie-Zahlung - für die natürlich auch was getan werden muss. Eine halbe Million, davon träumen die allermeisten Menschen ihr ganzes Leben lang.

Warum wurden in britischen Castingshows eigentlich schon einige Stars geboren wie u.a. One Direction oder Olly Murs, aber bei uns nicht? Die Briten mögen es offenbar leicht, laut und ein bisschen trashig.

Die Briten sagen unbeschwerter „Even if it’s plastic, it’s entertaining.“ Sie sind ebenso wie andere Fernsehnationen  dem Kommerziellen gegenüber einfach aufgeschlossen. Das fehlt uns. Hier gilt Kommerz ja fast schon als Schimpfwort. Wer kommerziell erfolgreich ist, kann weder künstlerisch wertvoll noch glaubwürdig sein. So denken viele in Deutschland. Die Briten haben eine viel lockerere Popkultur. Allein dieser Begriff ist bei uns ja schon wieder seicht und belanglos besetzt. Wir hatten das mal in den 80er Jahren, aber zuletzt dominierten Songwriter und Deutsch-Pop/Rock, was ich toll finde. Trotzdem gibt es in Deutschland einen scheinbar kulturellen Graben zwischen sogenannter kredibler und kommerzieller Musik. Die Castingshows haben in Deutschland in den vergangenen 15 Jahren sicher dazu beigetragen, dass es auf der einen Seite kommerziell erfolgreiche Musik gibt, auf der anderen Seite die, die als künstlerisch gilt. Ich persönlich verstehe diese Unterscheidung nicht: Weder ist Kommerzielles automatisch schlecht, noch macht Erfolg weniger künstlerisch wertvoll. Das trifft hierzulande auf Musik ebenso wie TV zu, aber auch auf Unterhaltung generell.

Woran liegt das?

Ich glaube, dass in keinem anderen TV-Markt Unterhaltung so ernst genommen wird wie bei uns. Wir rezipieren Unterhaltung so ernst, dass von einer Sendung wie „Deutschland sucht den Superstar“ erwartet wird, dass da auch ein Super-Superstar entsteht, und zwar gefälligst über Jahre hinweg. Dabei werden gern auch mal höhere Maßstäbe angelegt als an originäre Musiker. Die Briten oder Holländer können darüber nur lachen. Unsere Kollegen dort amüsieren sich ja schon darüber, dass wir in Deutschland so viele Notare in TV-Sendungen beschäftigen wie in keinem anderen Land der Welt.

"Unterhaltung muss unterhalten und darf auch mal sich selbst genug sein"

Tun wir uns schwerer mit Unterhaltung?

Das scheint kulturell verankert zu sein. Wir neigen dazu, eher schwermütig oder verzagt zu sein. Für mich aber muss gerade in der Unterhaltung nicht alles einen Sinn geben, wenn das Ziel im Blick bleibt: Einen schönen Fernsehabend zu bescheren. Aber das soll das Publikum für sich entscheiden dürfen und nicht verurteilt werden für die Wahl der Unterhaltung. Wir gehen da oft so analytisch und skeptisch heran. Wo andernorts der Unterhaltung offen begegnet wird, sitzen wir  mit verschränkten Oberarmen und überlegen erstmal reiflich, ob wir das jetzt gerade gut finden sollen und dürfen.

Die Amerikaner haben ihr „Guilty Plesaure“ und verurteilen dafür auch niemanden.

Und die RTL-Unterhaltung ist eben genau ein Potpourri des „Guilty Pleasures“.

Wie passt es zusammen, wenn eine oftmals öffentlich verurteilte Sendung wie „Schwiegertochter gesucht“ dann aber doch geschaut wird - sogar von denen, die sie öffentlich kritisieren?

Da fragen Sie den Falschen. Oft wird dann „ironisch“ geschaut. Das hat etwas damit zu tun, ob man diese Art Unterhaltung gut finden kann. Und wenn ich dann sehe, was in Social Media abgeht und die absolute Zuschauerzahl am nächsten Morgen betrachte, dann waren am Sonntagvorabend mal wieder mehr Zuschauer dabei, als die meisten non-fiktionale Formate in der Primetime holen. Da gibt es eine gewisse Diskrepanz. Mit der Unterhaltung ist es manchmal wie mit dem Essen: Wir alle wissen was gesund wäre, aber essen doch das, was uns schmeckt. Auch wenn es ungesund ist. Im Ausland gilt hin und wieder einfach: „Es ist doch nur Fernsehen“.

Bei uns nicht?

Bei uns muss doch alles immer eine Bedeutung haben, selbst im eigentlich leichten Fach der Unterhaltung. Klar, sind wir auch ein bisschen selbst schuld. Natürlich finden wir Fernsehmacher es ja oft auch selbst toll, wenn wir noch eine Botschaft haben. Selbst die Krimis in Deutschland haben ja, wenn man den „Tatort“ anschaut, gerne noch gesellschaftspolitische Relevanz. Aber ich denke: Unterhaltung muss unterhalten und darf auch mal sich selbst genug sein. Sie muss nur sauber produziert werden und wir müssen auch dafür gerade stehen, wenn das mal nicht passiert. Keine Frage.