Markus Breitenecker © ProSiebenSat.1/Amelie Niederbuchner Markus Breitenecker
Man muss Markus Breitenecker für sein Selbstbewusstsein bewundern. Die Nachricht, dass Media for Europe (MFE) die Mehrheit an ProSiebenSat.1 übernehmen wird, war gerade erst ein paar Tage alt, da stellte sich das Vorstandsmitglied und Chief Operating Officer von ProSiebenSat.1 vor (die eigenen) Fernsehkameras und ging in die Offensive. Man wolle eine paneuropäische Medienplattform und ein starkes Gegengewicht zu den US-Giganten werden, so Breitenecker. 

Bis dahin hätte er wohl auch den Segen von MFE-Chef Pier Silvio Berlusconi gehabt. Doch Breitenecker ging noch einen Schritt weiter - und sprach auch über die neuen Möglichkeiten, die sich durch den Deal für sein Lieblingsprodukt Joyn ergeben würden. Den Streamingdienst könnte man vielleicht "für ganz Europa" anbieten, so Breitenecker. Ob Berlusconi auch das ohne weiteres unterschreiben würde, ist eine andere Frage. Die Antwort lautet wohl: eher nicht. 

Bert Habets © ProSiebenSat.1/Bene Müller Bert Habets
Viel wahrscheinlicher ist das, was ProSiebenSat.1-CEO Bert Habets einen Tag später in der offiziellen Kommunikation zur Übernahme durch MFE erklärte. In den kommenden Wochen werde man gemeinsam die "vielversprechendsten Möglichkeiten für eine tiefergehende Zusammenarbeit identifizieren und unsere Visionen für die Zukunft aufeinander abstimmen". Und dazu gehört mit Sicherheit auch das Thema Streaming, hier macht eine Zusammenarbeit zwischen Deutschland, Spanien und Italien sicherlich Sinn. 

Die Frage ist nur: Wie weit kann und sollte diese Zusammenarbeit gehen? Ähnlich wie andere Unternehmen, die über Ländergrenzen hinweg arbeiten, ist es etwa denkbar und wohl auch wirtschaftlich sinnvoll, wenn man im Hintergrund an einer gemeinsamen Streaming-Technologie arbeitet. Joyn und Mediaset Infinity, der Streamingdienst von MFE in Italien und Spanien, könnten also auf eine gemeinsame technische Basis gestellt werden, das dürfte mittel- bis langfristig viel Geld sparen. 

Dann wird es aber schon kniffliger. Könnte es tatsächlich dazu kommen, dass Joyn nach Italien und Spanien ausgerollt wird? Und dann möglicherweise sogar die dortigen MFE-Streamingdienste ersetzt? Es gibt zumindest einige Indizien, die an einer solchen Vorgehensweise zweifeln lassen. 

Mediaset Infinity in Italien größer als Joyn in Deutschland

Zuallererst ist da die Tatsache, dass Mediaset Infinity in Italien deutlich größer ist als Joyn in Deutschland. Joyn vermeldete zuletzt zwar in schöner Regelmäßigkeit Nutzungsrekorde, im August stand man bei einer Nettoreichweite von 8,7 Millionen Nutzerinnen und Nutzern. Zwischenzeitlich waren es auch schon einmal mehr als 10 Millionen. Schwankungen sind ganz normal und generell steigt die Joyn-Nutzung. 

Die kommunizierten Zahlen sind aber nichts gegen das, was Mediaset Infinity in Italien erreicht. Dort erreichte der Streamingdienst im vergangenen Jahr lauf MFE 36,2 Millionen monatliche Unique Browser, die Zahl der monatlich eingeloggten Unique User lag bei 8,0 Millionen. Wenn man weiß, dass der italienische Markt wesentlich kleiner ist als der deutsche, kann man ungefähr einschätzen, wie die Kräfteverhältnisse zwischen Joyn und Mediaset Infinity wirklich sind. 

Hinzu kommt die Tatsache, dass MFE seinen Streamingdienst, den es unter diesem Namen in Italien seit 2021 gibt, gerade erst nach Spanien ausgerollt hat. Dort erfolgte die Umbenennung der bislang betriebenen Plattform Mitele zu Mediaset Infinity erst im Juni dieses Jahres. Das zeigt, dass MFE auch in der Außendarstellung seines Streamingbereichs auf eine Harmonisierung der Marken setzt. 

Generelle Weichenstellung wird nötig

Viel spannender als die Frage, ob Joyn künftig vielleicht Infinity heißen könnte oder umgekehrt, ist etwas, das grundsätzlicher Natur ist. Bei MFE wird man nämlich entscheiden müssen, welche Streamingstrategie man langfristig fahren will. In Deutschland ist Joyn mit seinem Fokus auf Werbefinanzierung ziemlich klar positioniert. In Italien und Spanien fährt MFE das Modell RTL+: Mediaset Infinity bietet einige Inhalte zwar auch gratis an, es gibt aber mit Infinity+ auch einen relevanten SVoD-Bereich. 

MFE veröffentlicht in seinem Geschäftsbericht keine Abozahlen. Eine belastbare Zahl stammt aus dem Februar 2023: Damals hieß es von Mediaset-Italien-Digitalchef Pier Paolo Cervi, Ende des Vorjahres sei Infinity+ in Italien auf etwas mehr als eine Million Abos gekommen. Branchenbeobachter, mit denen DWDL.de gesprochen hat, glauben, dass der SVoD-Bereich von Mediaset Infinity zumindest größer ist als der von Joyn in Deutschland. Der Abstand zum Platzhirsch Netflix ist dennoch beträchtlich. 

In Mailand, Madrid und Unterföhring muss man sich nun überlegen, mit welcher Strategie man antreten will. Wählt man den von ProSiebenSat.1 und Markus Breitenecker propagierten Weg der Werbefinanzierung, bei dem die Inhalte größtenteils frei zugänglich zu sehen sind? Oder wählt man den Netflix-Weg, bei dem es vor allem um hohe Abo-Zahlen geht? Denkbar ist auch, dass ProSiebenSat.1 in Deutschland mit Joyn weiter sein eigenes Ding machen kann, während sich Mediaset Italien und Spanien an einer Streaming-Mischform versuchen. 

Am Freitag geht's im letzten Teil unserer Wochenserie zur ProSiebenSat.1-Übernahme durch MFE um die Idee einer paneuropäischen TV-Allianz. 

Mehr zum Thema