Rund um die ProSiebenSat.1-Übernahme durch Media for Europe (MFE) kursieren diverse Zahlen. Eine davon: 419 Millionen. So hoch sollen die Kosteneinsparungen und EBIT-Effekte (also die Auswirkungen auf den Gewinn vor Zinsen und Steuern) nach MFE-Angaben ausfallen, voraussichtlich aber erst im vierten Jahr nach der Übernahme in voller Höhe. ProSiebenSat.1 stellte die Zahl von 150 Millionen Euro (jährlich wiederkehrende Kostensynergien auf EBIT-Ebene) in den Raum.
Das sind enorme Summen und wenn man bedenkt, dass ProSiebenSat.1 in den zurückliegenden Jahren bereits das ein oder andere Sparpaket hinter sich hat, muss schon die Frage gestellt werden, an welcher Stelle eigentlich die größten Einschnitte zu erwarten sind. Mit Sicherheit wird MFE den neu geschaffenen Gesamtkonzern auf Doppelstrukturen prüfen und diese abbauen - das erscheint logisch und sinnvoll.
Ob aber tatsächlich die volle Höhe der im Raum stehenden Synergien gehoben werden kann, das muss sich erst noch zeigen. Langjährige Branchenbeobachter, mit denen DWDL.de gesprochen hat, äußern sich zumindest zurückhaltend. "Wenn MFE sagt, sie wüssten, wie sie paneuropäische Synergien herstellen, dann nicht aus eigener Erfahrung", formuliert es ein Experte, mit dem DWDL.de gesprochen hat. Zwar war man bislang schon in Italien und Spanien aktiv, hier waren die Überschneidungen aber recht überschaubar, in Spanien war Mediaset sogar ziemlich eigenständig (DWDL.de berichtete). Bei MFE betont man dagegen, dass man nach der Zusammenlegung der Geschäfte bereits 70 Millionen Euro an Einspareffekten erzielt habe.
Hinzu kommt, dass es MFE mit seiner Strategie anders macht als viele andere Konzerne. Es ist nicht so, als wäre die Idee einer paneuropäischen TV-Allianz neu - bislang sind nur alle Versuche gescheitert, eine solche zu bilden. Die RTL Group ist im Prinzip eine solcher Zusammenschluss, zog sich zuletzt aber aus einigen Märkten zurück, um sich auf einzelne Länder, darunter Deutschland, zu konzentrieren. Und auch PPF hat im Zuge der ProSiebenSat.1-Übernahmeschlacht mehrfach betont, dass man die von MFE in Aussicht gestellten Synergien für unrealistisch halte. Und die Tschechen könnten es wissen, sie betreiben mit der Central European Media Enterprises (CME) schließlich eine Sendergruppe, die in einigen europäischen Ländern aktiv ist. Zwischen den Ländern gebe es aber kaum Synergien, so PPF.
Auch P7S1 scheiterte an einer paneuropäischen TV-Allianz
Und auch bei ProSiebenSat.1 selbst weiß man, wie schwierig es ist, einen mehrere Länder umfassenden TV-Konzern zu bauen. 2007 übernahm man die SBS Gruppe mit Sendern in vielen Ländern, ProSiebenSat.1 stieg damit zum zweitgrößten TV-Anbieter in Europa auf. Einige Jahre später verkaufte man die einzelnen Sender wieder, die hohen Erwartungen hatten sich schlicht nicht erfüllt.
MFE und Pier Silvio Berlusconi gehen mit der ProSiebenSat.1-Übernahme als auch eine riskante Wette ein. Schafft man das, woran zuvor schon mehrere Unternehmen und Managerinnen und Manager scheiterten? In den wesentlichen Bereichen, also unter anderem Produktion, Werbezeitenverkauf oder auch Programmeinkauf, hat es bislang kein Unternehmen geschafft, über mehrere Länder hinweg nachhaltig hohe Synergien zu erzielen. Am Ende sind die einzelnen Länder eben doch zu unterschiedlich.
Es gibt aber auch gute Gründe, an ein Gelingen des Deals und das Zustandekommen von Synergien zu glauben. Die Zeiten haben sich bekanntlich verändert, ProSiebenSat.1 stand bei der SBS-Integration vor mehr als 15 Jahren vor ganz anderen Herausforderungen als MFE heute. "Vielleicht ist die Technologie von Streaming das erste länderübergreifende Thema, das man mit hohen Synergien auf die Straße bringen kann", sagt einer, der die Branche seit vielen Jahren kennt. Möglich und wahrscheinlich ist beispielsweise eine gemeinsame technische Plattform für die Streamingprodukte, aber auch ein gemeinsames Branding erscheint im Bereich des Möglichen (DWDL.de berichtete).
Darüber hinaus setzen inzwischen alle großen Streamingdienste auch auf Werbung - und sprechen potenzielle Werbekunden über mehrere Länder hinweg an. Wenn dort, wo das Geld sitzt, das Verständnis für Werbebuchungen über Ländergrenzen hinaus steigt, spielt das auch MFE in die Karten. Solche Buchungen sind aber immer auf sehr große Kunden beschränkt, die international tätig sind.
Schlägt MFE nochmal zu?
Spannend wird zudem, ob und wenn ja in welcher Intensität MFE sein Ziel, ein paneuropäischer TV-Konzern zu werden, weiterverfolgt. Man ist jetzt in Italien, Spanien und Deutschland aktiv - aber drei Länder, oder fünf, wenn man Österreich und die Schweiz mit einrechnet, machen noch kein Europa. Experten, mit denen DWDL.de gesprochen hat, halten es für durchaus denkbar, dass MFE sein Reich demnächst noch weiter vergrößern könnte. In Frankreich sondierte die RTL Group in der Vergangenheit bereits Möglichkeiten für seine M6-Gruppe (und liebäugelt nach wie vor mit einer Fusion mit TF1), in Großbritannien ist immer noch nicht klar, wie genau es mit ITV weitergeht.
Was fast alle Expertinnen und Experten, mit denen DWDL.de gesprochen hat, positiv bewerten: Mit MFE hat ein europäischer Konzern bei ProSiebenSat.1 die Kontrolle übernommen. Und dazu noch einer, der an das Geschäftsmodell glaubt. In dieser Hinsicht sind sich ProSiebenSat.1 und MFE sehr ähnlich: Bei beiden Unternehmen geht es in erster Linie darum, möglichst hohe Reichweiten zu erzielen, um in diesem Umfeld mit Werbung Geld zu verdienen. Bei MFE dürfte man also wissen, wo die großen Herausforderungen liegen.
Ein Branchenbeobachter geht im Gespräch mit DWDL.de davon aus, dass MFE bei ProSiebenSat.1 wieder Stabilität reinbringen wird, nachdem man sich in Unterföhring lange mit sich selbst beschäftigt hat - ursprünglich auch ausgelöst durch den MFE-Einstieg und die Angst vor dem, was eine mögliche Übernahme auslösen könnte. Noch wird es mit der Stabilität aber wohl dauern, jetzt wird sich MFE erst einmal darauf konzentrieren, ProSiebenSat.1 möglichst gut ins eigene Konzerngeflecht einzugliedern. Wie viele Synergien am Ende dabei herausspringen, wird man wohl erst in einigen Jahren sehen.