Was laut Medienberichten in Karlsruhe begann, hat im Lauffeuer erst soziale Plattformen geflutet und dann Innenstädte eingenommen: Junge Menschen treffen sich, um gemeinsam Nachtisch mit eher unüblichen Werkzeugen zu konsumieren. Was früher kein triftiger Grund gewesen wäre, das Haus zu verlassen, zieht in den vergangenen Wochen die Massen. Diverse Medien haben das lokale Phänomen abgebildet und damit selbst virale Treffer erzielt. Eine ausschlaggebende Begründung für die virale Kettenreaktion gibt es bisher allerdings nicht.

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Der Nachrichtensender ntv bildet einen Ausläufer des Events ab und erreicht damit über fünf Millionen Aufrufe. Vielzählige Medien berichten ebenfalls, darunter die "Tagesschau" oder die österreichische "Zeit im Bild".

"Ich verstehe diesen Trend nicht", kommentierte ein User unter dem Video - und ist damit sicher nicht alleine. Handelt es sich hier um einen Akt der Rebellion? Dass Pudding bewusst nicht mit dem richtigen Utensil gegessen wird, scheint auf den ersten Blick wie ein humoristisches Element. Könnte jedoch zu kurz gedacht sein. Denn gerade junge Generationen sind dafür bekannt, ernsten Situationen mit Humor oder Absurdität zu begegnen. Der Griff zur Gabel kann unter diesem Gesichtspunkt jedoch auch anders gewertet werden: als Hilfeschrei. Aus der Sicht von Heranwachsenden folgt er als Reaktion auf die derzeitige politische und wirtschaftliche Schieflage und das Gefühl, die Hoheit über das eigene Umfeld und Handeln zu verlieren. 

Damit reiht sich der Veranstaltungsgedanke in die Liste der absurden Umsetzungen auf Social Media ein. Dort befinden sich beispielsweise auch musikalische Inszenierungen, wie der Remix "coconut tree" aus der politischen Ansprache der ehemaligen US-Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris oder die mediale Begleitung juristischer Prozesse mit viralen Memes im Falle der TikTok-Übernahme in den USA.

coconut tree © TikTok Remix "coconut tree" aus der politischen Ansprache der ehemaligen US-Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris
 

Gleichzeitig fungiert die ungewohnte Kombination der Eventreihe als medialer Hebel, um sich von etablierten Communityaktivitäten abzugrenzen. Für die Teilnahme braucht es grundsätzlich keine gemeinsamen Interessen, ganz im Gegeteil zu elitärem Fitnessgruppen wie teuren Spinningkursen oder Kraftzirkeln im Park. Beides beinhaltet den Zugang zu bestimmten Kulturkreisen, die für Außenstehende zunächst verschlossen bleiben. Ebenfalls wichtig: der Trend verfolgt keine kommerziellen Absichten. Damit wird deutlich, dass Reichweite auf Social Media in erster Linie interessen- und inhaltsbasiert generiert wird und nicht als reiner Verkaufskanal fungiert.

Stattdessen wird aus der medialen Bewerbung klar: Wer sich auf ein "Pudding mit Gabel essen"-Event begibt, trifft ohne Bedenken auf kontaktfreudige Mitmenschen. Wie der Trendverlauf zeigt, reizt das vor allem Personen ohne starkes soziales Netz. 45 Prozent der 18- bis 34-Jährigen in NRW fühlen sich laut einer vom WDR / 1Live in Auftrag gegebenen Studie manchmal oder häufig einsam, wenn sie Social Media nutzen. Einsamkeitsgefühle treten hier nahezu doppelt so häufig wie in höheren Altersgruppen auf. 

WDR-Studie © WDR

Im Kontext von Social Media beflügelt vor allem ein Faktor die Suche nach neuen Kreisen: Im Vergleich zu analogen Zeiten und Gemeinschaften leistet nun der Algorithmus den essentiellen Teil der Arbeit. Denn wer mit den Angeboten interagiert, findet automatisch das für sich passende Milieu. Im Gegensatz dazu bleiben desinteressierte Konten bewusst außen vor. 

Wer die Mechanismen der Pudding-Kultur verstanden hat, kann sie für sich nutzen. Als Gegentrend zum starken digitalen Aufschwung der letzten Jahre, insbesondere der Pandemiezeit, lässt sich aus der Bewegung ein erneut aufflammender Wunsch von digitaler zu realer Communitynähe ablesen. Während Marken in den vergangenen Jahren zahlreiche Ressourcen dafür verwendet haben, möglichst nahbar zu erscheinen, ist nun das Momentum für den Transfer von zwischenmenschlichen Verbindungen da. 

Das Novum: Es braucht kein umfangreiches Konzept mehr, um Menschen zu bewegen. Eine passende Erwartungshaltung und geteilte Interessen sowie die Ansprache ähnlicher Milieus sind die Grundvoraussetzung für eine potentielle  Mobilisierung. Wo der Umschwung von digital auf analog besonders gut funktionierte: online organisierte Laufgruppen, die unterschiedlichste Menschen einer Stadt zusammenbringen, oder anonyme Buchclubs, die sich bewusst wieder für Treffen in Person entscheiden und die Akquise sowie den Prozess online teilen.