Als er noch bei Sat.1 auf Sendung war, scherzte Harald Schmidt Anfang Mai über die Berichterstattung der Mediendienste. Er habe gelesen, dass RTL im Grunde bald zu machen kann, so schlecht gehe es dem Kölner Marktführer. Es ging um die schlechten Monatsmarktanteile des Senders im April. Da lag RTL noch bei 16,4 Prozent bei den 14- bis 49-Jährigen. Aus Schmidts Perspektive des Quotengiftes natürlich noch immer sensationell gut. In der Realität jedoch bedeutete das für den zuletzt erfolgsverwöhnten Sender mit 18 oder gar 19 Prozent eine deutliche Delle und im Mai erreichte RTL dann noch einmal deutlicher weniger: Nur noch 15,3 Prozent, wie erst vergangene Woche von allen Mediendiensten vermeldet. Jene Meldungen waren nur Momentaufnahmen. Diese Bewertung jedenfalls gefällt RTL. Halt ein schlechter Monat. Oder eben zwei. Oder halt drei, weil man schon einmal den Juni wegen der Fußball-Europameisterschaft abschreibt.

Einen Trend nach unten, gar ein Problem sieht man in Köln-Deutz jedoch offiziell nicht. Überhaupt äußerte sich RTL-Chefin Anke Schäferkordt im vergangenen Oktober zuletzt öffentlich. Sicherlich ist es immer eine Frage der Perspektive: Als sie im Jahr 2005 die Geschäftsführung von RTL übernahm, gab sie die 17 Prozent Marktanteil bei den 14- bis 49-Jährigen als Ziel aus. Zunächst lief man diesem Ziel hinterher, konnte es dann aber 2010 und 2011 sehr deutlich übertreffen. Doch in den vergangenen Monaten hat RTL die Erfolgsspur verlassen und steuert auf Probleme zu, die jedoch alles andere als überraschend kommen. Bereits im Frühjahr 2010, vor gut zwei Jahren, analysierte das Medienmagazin DWDL.de die Baustellen bei RTL und warnte vor der Erschöpfung von US-Serien, mangelndem Nachschub von drüben und den Problemen im lange so erfolgreichen Programmbereich Coaching/Dokusoap.

Die Reaktion bei RTL war damals nichts als pure Empörung darüber, wie man angesichts von damaligen Rekordreichweiten ausgerechnet beim Marktführer Baustellen ausmachen könne. Dabei war die Analyse eine banale Fragestellung: Würde RTL es noch einmal versuchen, mit dem beinahe gleichen Programmangebot in eine weitere Saison zu gehen? Oder muss es maßgebliche Veränderungen geben? Die vom Sender gewählte Antwort ist bekannt: Der Marktführer setzte weiter beinahe unverändert auf seine bestehenden Programmmarken. Optimierung statt Kreativität und Innovation. Die Macht der Gewohnheit gewann. Heute, zwei Jahre später, zeigt das RTL-Programm auf breiter Front Ermüdungserscheinungen in fast schon wieder überraschender Deutlichkeit.

Das bedeutet ganz handfeste Probleme und verursacht offene Fragen. Beispiele? Können der Dienstag- und Donnerstagabend weiterhin überwiegend mit US-Fiction bestückt bleiben oder braucht es neue Konzepte für beide Serienabende? Hat Günther Jauch noch genug Lust auf eine weitere Saison "Wer wird Millionär", wo die Sendung doch inzwischen fast immer klar unter Senderdurchschnitt läuft? Und wie will RTL die sich möglicherweise auftuenden Lücken im Programm überhaupt schließen? In welche Richtung will man sich entwickeln, wo man schon die Gelegenheit zu neuen Akzenten hat? Auf all diese Fragen gibt RTL derzeit noch keine Antwort. Zu erwarten wären diese auf der Programmpräsentation für die kommende Saison. Doch anders als bei Sat.1, ProSieben, RTL II, kabel eins oder ZDFneo gibt es hier noch keinen Termin für eine Präsentation der Pläne vor der Presse. Die Veranstaltung für Werbekunden "Primetime - IP vor Ort" wird zudem noch bis Ende August auf sich warten lassen.