Dass RTL den Höhenflug, der im Herbst 2009 begonnen hatte, nicht unendlich lange würde fortsetzen können, war klar. Dass der Absturz aber derart heftig ausfallen würde, das hatten wohl die wenigsten erwartet. Zu den nackten Zahlen: Hatte der durchschnittliche Marktanteil in der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen in der Saison 2010/11 noch bei über 19 Prozent gelegen, reichte es in der letzten Saison für im Schnitt nicht mal mehr für 15,5 Prozent – bei weiter nachlassender Tendenz. Im Mai fiel der Marktanteil bereits unter die 14-Prozent-Marke. In jedem einzelnen Monat der Saison lag RTL mindestens einen, im Höchstfall über drei Prozentpunkte unter dem Ergebnis des Vorjahresmonats.

Einer der Gründe für den rasanten Abwärtstrend ist der Einbruch der Marktanteile im Nachmittagsprogramm – dessen Aufschwung einst auch den Höhenflug ausgelöst hatte. Marktanteile weit über 30 Prozent gab es dort zwischenzeitlich für die Scripted-Reality-Formate. Inzwischen liegt beispielsweise "Familien im Brennpunkt" noch bei knapp über 16 Prozent, "Verdachtsfälle" um 15 Prozent. Mit dem Start neuer Folgen dürfte es wieder etwas nach oben gehen und ohnehin liegen beide Formate damit noch über dem Senderschnitt – doch der steile Abwärtsrrend ist unverkennbar. Und so stellt sich wohl schon bald die Frage: Wann ist der richtige Zeitpunkt, hier etwas Neues zu probieren? Was passiert, wenn man diesen Zeitpunkt verpasst, kann man bei Sat.1 bestaunen.

Doch einstweilen hat Anke Schäferkordt ihrem Nachfolger Frank Hoffmann noch weitaus akutere Baustellen hinterlassen. In der Primetime gab es nämlich ebenfalls kaum ein Format, das im Vergleich zum Vorjahr nicht verloren hätte – mit wenigen Ausnahmen wie dem Dschungelcamp oder dem erstaunlich erfolgreichen Wechsel der donnerstags zuletzt erfolglosen Serien "Bones" und "CSI" auf den Dienstagabend. Eines der größten Problem für RTL ist dabei fraglos das Absacken von einstigen Aushängeschildern wie "Supertalent" und "DSDS" ins Mittelmaß.

Zwar hat RTL mit "Unschlagbar", "Familienduell" oder "Alle auf den Kleinen" einige neue Formate erfolgreich gestartet – doch zum Einen müssen sie erst noch beweisen, dass sie auch auf längere Sicht funktionieren und zum Anderen lassen sich damit längst nicht derart große Sendestrecken füllen wie mit den über Monate gezogenen Castingshows. Und im Castingbereich hat man sich von ProSiebenSat.1 schlicht ein wenig die Butter vom Brot nehmen lassen, während man selbst im Bohlen-Gefängnis steckt. Was RTL also bräuchte, wäre entweder ein neues Format, mit dem man mehrere Monate den Samstagabend füllen kann – oder deutlich mehr kleinere Formate, mit denen man für Abwechslung sorgen könnte.

Während RTL zwischenzeitlich im Show-Bereich zu einer gefühlten Bohlen-Monokultur wurde, gab es im Serien-Bereich fast nur noch Krimis. Nachdem erfolgreicher Krimi-Nachschub aus den USA aber inzwischen überwiegend bei Sat.1 landet und die jahrelangen RTL-Erfolgsgaranten wie "CSI: Miami" zu Ende sind, ist auch hier eine Öffnung nötig. Am Donnerstag hat man die mit eigenproduzierten Sitcoms und dem aus dem "Doctor's Diary"-Baukasten entstandenen "Doc meets Dorf" einen ersten wichtigen Schritt unternommen. Tatsächlich wurde man zum Auftakt mit ordentlichen bis guten Quoten belohnt – die Zuschauer wollen also offenbar tatsächlich auch etwas anderes als Krimis sehen. Ob RTL sie mit seinen Produktionen dann auch wirklich überzeugt, muss sich freilich erst noch zeigen. Auf jeden Fall tut RTL gut daran, den Krimi-Einheitsbrei aufzulockern.

Im Dokusoap-Bereich fiel RTL in der letzten Saison reihenweise auf die Nase mit dem traurigen Tiefpunkt bei den Formaten "Die Zuschauer" und "7 Tage Sex". Gut geklappt hat hingegen nach Anlaufschwierigkeiten der Moderatorinnen-Wechsel bei "Vermisst", auch "Secret Millionaire" lief ordentlich an, die Wallraff-Reportagen sind nicht nur gut fürs in den letzten Jahren arg ramponierte Image des Marktführers. Ärgerlich allerdings, dass man Christian Rach, der gerade nochmal mit "Rach deckt auf" punktete, ans ZDF verliert. Blickt man auf die Erfolge, dann scheint die in der vergangenen Saison schon eingeschlagene und von Frank Hoffmann nun nochmal unterstrichene Marschrichtung, sich in diesem Bereich etwas "journalistischer" aufzustellen, jedenfalls einleuchtend – auch wenn damit vermutlich eher nicht erneute Überflieger-Formate wie "Bauer sucht Frau" drin sind.

Bei RTL muss man sich aber wohl einfach daran gewöhnen, etwas kleinere Brötchen zu backen. Und man muss sich wieder an etwas gewöhnen, dass man die letzten Jahre kaum noch gespürt hat: Konkurrenz. Plötzlich ist es so, dass der Tagessieg in der Zielgruppe 14-49 nicht mehr fest für RTL reserviert ist, sondern dass auch mal Sat.1 oder ProSieben vorne liegen. Das kann dem deutschen TV-Markt nur gut tun. Und letztlich kann es auch RTL nur gut tun, nachdem man es sich in den letzten Jahren mit dem Blick auf die sensationellen Quoten ein wenig zu bequem gemacht hatte.

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