In kaum einer TV-Vermarkter-Präsentation darf das Trendthema Second Screen derzeit fehlen. Auch auf der Digitalmarketing-Messe dmexco in Köln wird es in diesen Tagen sicher nicht zu kurz kommen. Wahlweise wollen die Werbezeiten-Verkäufer ihren Kunden weismachen, dass die Aufmerksamkeit der meisten Zuschauer nach wie vor auf dem TV-Bildschirm liegt oder dass die Werbebotschaften gar von gesteigerter Zuwendung profitieren. Doch das ist keineswegs so eindeutig wie oftmals behauptet. Je nach interessierter Seite widersprechen sich verschiedene Studien erheblich.

In seiner frisch erschienenen Studie "Kartografie von Bewegtbild III" legt RTL-Vermarkter IP Deutschland dar, welche Motive bei den Zuschauern zu einer Second-Screen-Nutzung führen. Mal gehe es darum, "Leerstellen im Programm zu überbrücken", mal um mehr "Relevanz durch Zusatzinformationen", ums "Herstellen von Gemeinschaftsgefühl" oder "Mitgestalten". Favorit für die Second-Screen-Nutzung sei das Tablet, gefolgt vom Smartphone, das zwar leicht und handlich sei, aber das Eintauchen wegen seines kleinen Bildschirms erschwere. Das Notebook hingegen ziehe den Nutzer in die typische Arbeitsverfassung hinein und lenke somit vom TV ab.



Gut für Werbekunden, jedenfalls laut IP Deutschland: Die gestützte Sponsorenbekanntheit stieg in einem ausgewählten Kampagnenzeitraum von 42 Prozent bei reiner TV-Nutzung auf 52 Prozent bei zusätzlicher Beschäftigung mit dem Second Screen. Für die gestützte Werbeerinnerung der Marken im klassischen Werbeblock wurde entsprechend eine Steigerung von 24 auf 30 Prozent gemessen. Konkurrent SevenOne Media stieß mit seinem jüngsten "Mobile Barometer" ins gleiche Horn und stellte begeistert fest, dass die Second-Screen-Nutzung via Tablet und Smartphone Zuschauer vom Zappen abhalte.

Das klingt auf den ersten Blick toll, hat jedoch einen Haken: Alles basiert auf der Annahme, dass die Beschäftigung mit dem zweiten Bildschirm stets im inhaltlichen Zusammenhang mit dem TV-Programm oder der TV-Werbung stehe. Eine gewagte Annahme. Und prompt kommt Widerspruch von der Nicht-TV-Seite: Die Online-Vermarkter InteractiveMedia, eine Tochter der Telekom, und United Internet Media schreiben in ihrer gemeinsamen Multiscreen-Studie mit dem schönen Titel "Catch Me If You Can!", dass nur 16 Prozent der gleichzeitigen Internet-Nutzung im Zusammenhang mit TV-Inhalten stünden. 84 Prozent hätten gar nichts damit zu tun, bei Frauen (86 Prozent) noch etwas mehr als bei Männern (82 Prozent).

Folgt man den Onlinern weiter, so ist das Schreiben und Lesen von E-Mails der meistgenutzte Multiscreen-Inhalt, der parallel zum TV stattfindet (84 Prozent der 14- bis 59-Jährigen). Mit gewissem Abstand folgen Informationen über ein Thema oder Produkt (71 Prozent) sowie aktuelle Nachrichten (70 Prozent). Die meistgenutzten Screen-Kombinationen sind laut InteractiveMedia und United Internet Media TV + Laptop (56 Prozent), gefolgt von TV + Smartphone (55 Prozent) und TV + Tablet (49 Prozent). Auf immerhin 34 Prozent kommt die Dreier-Kombi TV + Smartphone + Laptop, auf 33 Prozent TV + Smartphone + Tablet.

Auffällig sind auch die unterschiedlichen Gewichtungen des Stellenwerts insgesamt: Während die IP Deutschland unter Bezug auf den "Convergence Monitor 2012" davon ausgeht, dass bei den 14- bis 64-Jährigen 183 Minuten der durchschnittlichen täglichen TV-Sehdauer ohne Parallelnutzung stattfinden und nur 15 Minuten mit, weisen die Online-Vermarkter fürs Medium TV bei den 14- bis 59-Jährigen 72 Prozent Multi-Screen-Nutzung, aber nur 25 Prozent Mono-Screen-Nutzung aus. Die Zahlen sind nicht eins zu eins miteinander vergleichbar, sprechen jedoch eine höchst unterschiedliche Sprache.

Beim Thema Aufmerksamkeitsverteilung kommen die Onliner ebenfalls zu Ergebnissen, die den TV-Vermarktern kaum schmecken dürften. So gingen bei der gleichzeitigen Nutzung von TV und Laptop durchschnittlich 42 Prozent der Aufmerksamkeit aufs TV, 58 Prozent aufs Laptop. Bei der Kombi TV + Smartphone seien es 45 Prozent fürs TV und 55 Prozent fürs Smartphone. "Der First Screen ist jeweils der Screen, der gerade die Aufmerksamkeit des Konsumenten erfährt", lautet demnach das Fazit der Studienautoren.

Dass etliche Werbekunden angesichts der maximalen Verwirrung eher zurückhaltend reagieren, ist kein Wunder. De facto dürfte das ebenso individuelle wie situative Miteinander verschiedener Screens auf dem heimischen Sofa gar nicht so einfach messbar sein. Damit TV-Häuser wie IP und SevenOne überhaupt am Second Screen verdienen können, muss ein enger Flaschenhals durchschritten werden: Der Zuschauer muss sich auf seinem Smartphone oder Tablet nicht nur mit dem laufenden Programm beschäftigen, sondern statt bei Facebook oder Twitter auch noch auf der sendereigenen App wie "RTL Inside" oder "ProSieben Connect" landen.

In ihrer Begleitpräsentation zur "Kartografie"-Studie zeichnet die IP dazu ein eher ernüchterndes Bild: Von durchschnittlich 3,18 Millionen 14- bis 59-Jährigen, die im Untersuchungszeitraum "Wer wird Millionär?" geschaut haben, sind 1,08 Millionen, also 34 Prozent, Smartphone-Besitzer. Davon wiederum haben sich laut Befragung 0,35 Millionen auf dem Second Screen mit "Wer wird Millionär?" befasst, also 11 Prozent der Zuschauer. Und gerade einmal 0,14 Millionen oder 4 Prozent haben das bei "RTL Inside" getan.

Dazu passt, dass die App, die bei den ersten AGOF mobile facts vor einem Jahr 165.000 Unique Mobile User pro Monat erreicht hatte, jüngst die Erwartungen ihrer Macher enttäuscht hat. "Bei der nächsten Welle der mobile facts rechnen wir mit etwa 400.000 Unique Mobile Usern", hatte RTL-interactive-Manager Matthias Büchs Ende Juli im DWDL.de-Interview das Ziel vorgegeben. Tatsächlich weisen die neuen mobile facts 2013-I für "RTL Inside" auf iOS und Android zusammen nur 247.000 Unique Mobile User aus. Nicht nur hier wird der Second Screen noch ordentlich reifen müssen, um die Blütenträume der Vermarkter eines Tages wahr werden zu lassen.