Erinnern Sie sich noch an die "Abschlussklasse"? Zehn Jahre ist es inzwischen schon her, dass ProSieben der zunehmend quotenschwachen Nachmittags-Talkshow von Arabella Kiesbauer unter die Arme greifen wollte, indem man das angeblich reale Leben von Abiturienten dokumentierte. Recht schnell stellte sich allerdings heraus, dass "Die Abschlussklasse" nicht so echt war wie sie schien. Stattdessen folgten Laien-Darsteller einem Drehbuch. Dem Erfolg schadete das jedoch nicht. Im Gegenteil: Die Quoten stiegen und schnell gab es sogar ein Spin-Off, das sich immerhin drei Jahre lang auf dem Schirm hielt.

Dass einer der Darsteller gerade an einem Politmagazin für den Bayerischen Rundfunk arbeitet, mag man kaum glauben. Und doch ist die Geschichte wahr. Es ist die Geschichte von David Reinisch, der einst sogar mal Fußball beim FC Bayern spielte und in der Zwischenzeit seinen Doktortitel gemacht hat. "Mein Werdegang entspricht sicherlich nicht der Norm", sagt er im Gespräch mit dem Medienmagazin DWDL.de. "Für mich fühlte sich trotzdem alles logisch an, weil ich schon immer viele Interessen hatte. Immer wieder öffnen sich im Leben neue Türen - manchmal werden auch wieder einige geschlossen. Ich habe mich aber immer auf Neues eingelassen und bin auf diesem Weg bisher auch nicht enttäuscht worden."

Studiert hat Reinisch bereits während der Dreharbeiten zur "Abschlussklasse". Ein lukrativer Nebenjob sei das gewesen, erzählt er heute. Irgendwann war allerdings Schluss damit. "Als sich diese Tür dann schloss, stand für mich fest, mein Studium erst mal in Ruhe zu beenden. Zu meiner Promotion bin ich dann eher unverhofft gekommen." Doch die Lust aufs Fernsehen war geweckt und nach dem Studium stand dann die Sinnfrage an, die immer dann aufkommt, wenn ein Lebensabschnitt zu Ende geht. "Ich habe mit der VWL-Promotion einen politischen Doktor gemacht und brachte zumindest ein Stück weit Fernseherfahrung mit. Das wollte ich verbinden und habe dann einfach mal damit angefangen."

Gesagt, getan. Reinisch machte sich an die Arbeit und entwickelte das Konzept für eine politische Sendung, die vor allem jüngere Menschen erreichen sollte. Doch was so einfach klingt, stellte sich in Wirklichkeit als kompliziert heraus. Denn so amibitioniert er auch ist: Auf dem Produzentenmarkt schien niemand auf ihn gewartet zu haben. "Mein erster Termin ging ordentlch nach hinten los. Da wurde mir gesagt, dass so etwas überhaupt keine Chance auf Erfolg haben wird und ich es besser auch nirgendwo sonst damit probieren sollte", sagt Reinisch, für den diese Aussage jedoch vielmehr Ansporn war, vielleicht sogar so etwas wie ein Wendepunkt. "Das hat eher meinen Willen bestärkt, das Ding alleine durchzuziehen." Und genau das tat er dann auch.

Aus eigener Tasche finanzierte der ehemalige Soap-Star daraufhin einen Piloten und stellte ihn zwei Sendern vor, darunter dem Bayerischen Rundfunk, der sich letztlich auch dazu bereit erklärte, das Projekt zu unterstützen. Und so wird "Meinungsfern" - das ist der Titel von Reinischs Format - am kommenden Montag um 23:00 Uhr erstmals auf Sendung gehen. "Die Zusammenarbeit mit dem BR ist toll. Das hatte ich im Vorfeld nicht vermutet", sagt Reinisch. "Natürlich haben wir mit der Redaktion und dem Programmbeauftragten des Bayerischen Fernsehens, Andreas Bönte, abgespochen, wie die Sendung aussehen soll. In der Gestaltung haben wir allerdings viele Freiheiten bekommen." Daraus, dass er mit "Meinungsfern" am liebsten in Serie gehen würde, macht der junge Fernsehmacher keinen Hehl.

Gleichzeitig gibt es sich allerdings realistisch. "Beim BR will man jetzt aber erst mal sehen, ob ein junger Mensch wie ich in der Lage dazu ist, eine solche Sendung zu gestalten - und natürlich, ob sie im Sinne des Senders erfolgreich ist." Von der Art und Weise, wie er junge Menschen mit Politik begeistern will, hat David Reinisch jedenfalls eine klare Vorstellung. "Wir wollen eine bodenständige Sendung machen, senden deshalb auch nicht in einem Fernsehstudion, sondern lassen das Gespräch in einer Münchner Kneipe stattfinden." Das soll für Nähe zwischen Bürgern und Politiker sorgen. Dass Reinischs erster Gast ausgerechnet der sonst so Talkshow-feindliche Bundestagspräsident Norbert Lammert ist, kann er jedenfalls schon mal als ersten Erfolg verbuchen.

"Das Verhältnis zwischen Politikern und Bürgern ist augenblicklich kein besonders gutes, es gibt einen großen Vertrauensverlust", stellt Reinisch fest. "Auf der anderen Seite gibt es viele Polittalks, die immer dasselbe machen. Dort sitzen fünf Leute mit unterschiedlichen Meinungen - und je mehr gestritten wird, desto besser ist die Quote. Dieser Versuchung will ich mit 'Meinungsfern' widerstehen." Sein Konzept klingt auf den ersten Blick einfach: "In zwei bis drei Einspielern wollen wir dann den Gesprächsinhalt aufgreifen - und zwar nicht so trocken, wie man das überall zu sehen bekommt. Politik darf auch unterhaltsam sein." Banalisieren will er Politik allerdings nicht, beschwichtigt er. "Aber es muss möglich sein, Politik spannend und kreativ zu gestalten."

Wie es mit ihm selbst weitergeht, sei allerdings noch relativ offen. Gerne würde er weitermachen. "Wenn das nicht klappen sollte, werde ich mit Sicherheit eine andere Tür finden, die sich öffnet." Zurück in die Scripted-Reality-Welt will er jedoch nicht mehr gehen. "Das hatte damals viel mit Revoluzzertum zu tun", erzählt David Reinisch mit Blick auf seine ersten Gehversuche bei ProSieben. "Man darf ja nicht vergessen, dass die 'Abschlussklasse' die erste Sendung war, die sich in diesem Genre ausprobiert hat - lange, bevor 'Berlin - Tag & Nacht' kam. Einiges empfinde ich im Nachhinein als gelungen, einiges als nicht gelungen, aber gerade gegen Ende war die Entwicklung des Formats sicherlich nicht glücklich. Es sollte immer schneller, höher, weiter gehen. Das hat es dann kaputt gemacht." Das ist allerdings lange her. "Abschlussklasse" war gestern, nächste Woche ist Polittalk.