Anfang der Woche hatte das Medienmagazin DWDL.de gefragt: "Wo bleibt das deutsche Serien-Schlaraffenland?" - und damit eine Diskussion über eigenproduzierte Fiction bei kleineren TV-Sendern angestoßen. Während im US-Markt immer mehr anspruchsvolle Serien auch aus der Nische kommen und von Sendern, die noch nie zuvor Fiction ausprobiert hatten, ist das in Deutschland kein Thema. Warum aber nicht? Könnten wirtschaftlich solide aufgestellte und als Vollprogramm lizenzierte Sender der zweiten Privat-TV-Generation wie Vox oder kabel eins das nicht auch, wenn sie nur wollten?

Das Gedankenspiel ist in der Branche nicht ohne Reaktionen geblieben. Sowohl die Chefs der angesprochenen Sender als auch einige Produzenten haben DWDL.de ihre Meinung mitgeteilt. Angesichts dessen, was Vox-Geschäftsführer Bernd Reichart sagt, dürften manche sogar Hoffnung schöpfen: "Wir schließen eigenproduzierte Fiction bei Vox keineswegs kategorisch aus. Wir bleiben entsprechend offen, was unsere Programminhalte angeht, die Vox-affin sind und zu einem starken Senderprofil beitragen."



Reicharts Argument ist genau das, was so viele kleinere US-Sender zur Serie führt: dass sie überdurchschnittlich stark zum Senderprofil beitragen kann. Konkrete Pläne, eine eigene Serie zu beauftragen, gibt es bei Vox jedoch noch nicht. Deutlich weiter von diesem Gedanken entfernt scheint kabel eins zu sein - und mit seinem gegenwärtigen Genremix zufrieden: "kabel eins schafft es immer wieder, mit nicht-fiktionalen Eigenproduktionen neue Akzente zu setzen, und das Image des Senders als 'authentisch und echt' zu unterstreichen", so Senderchefin Katja Hofem zu DWDL.de. "Fiktionale Eigenproduktionen haben einen extrem langen Vorlauf, sind in der Produktion sehr teuer und dadurch mit einem gewissen Risiko behaftet. Da wir in der Sendergruppe über eine große Auswahl an spannenden Serien verfügen, die bereits in den USA ihre Erfolgstauglichkeit bewiesen haben, werden wir bis auf weiteres bei dieser Strategie bleiben. Neue Erzählformen für fiktionale Stoffe sind immer interessant, wir müssen nur darauf achten, dass unsere Zuschauer großen Wert auf authentische und reale Charaktere und Geschichten legen."

Ein Platon-Zitat fällt dem deutsch-amerikanischen Erfolgsproduzenten und Emmy-Preisträger Sam Davis als erstes ein: "Die Notwendigkeit ist die Mutter der Erfindung." Dass aber nicht jede Notwendigkeit objektiv feststellbar ist, weiß der Chef der Produktionsfirma Rowboat nur zu gut: "Der Versuch, ihre Identität alleine auf Einkaufswaren aufzubauen, war für die Digital- und VoD-Plattformen in den USA zu schwierig, so dass sie taten, was sie tun mussten, um sich abzusetzen und wahrgenommen zu werden: Sie griffen tief in die Taschen ihres Produktions- und Marketingbudgets und produzierten. Ob diese Notwendigkeit auch für Vox und kabel eins besteht, entscheiden ihre Aktionäre..."

Für Sabine de Mardt, Fiction-Chefin von Eyeworks Germany, wäre es wünschenswert, dass auch kleinere Sender eigene fiktionale Serien produzieren. "Die Aspekte Stärkung der Senderidentität, Zuschauerbindung, die Repertoirefähigkeit fiktionaler Serien in Kombination mit kreativen Finanzierungsmodellen würden, gepaart mit ein wenig Mut, sicher auch ökonomisch Sinn machen. Darüber hinaus kann man in der Konzeption der Serie ebenso auf eine kosteneffiziente Realisierbarkeit hin entwickeln, ohne sie zwangsläufig nur für den Vorabend zu qualifizieren."

Wichtig wäre es laut de Mardt, sich von der 'normalen' Serie abzuheben. Als Beispiel nennt die Produzentin ihren Grimme-Preis-nominierten ZDFneo-Piloten "Diese Kaminskis": "Das ist frech und formal etwas Neues. Die Sender könnten auch mit horizontal erzählten Mini-Serien beginnen. Wie auch immer, das ist eine Grundsatzentscheidung, die dann auch über mehr als eine Staffel durchgehalten werden müsste. Ohne Zuverlässigkeit eines Sendeplatzes wird der Zuschauer kaum längerfristig zu binden sein."

Konstruktive Vorschläge liefert Michael Lehmann, Vorsitzender der Geschäftsführung der Studio Hamburg Produktion Gruppe: "Sender der zweiten Generation können im Grunde genommen nur eigenproduzierte Fiction stemmen, wenn sie sich weitere Partner suchen. Um neue Zielgruppen zu erschließen, macht es unter Umständen Sinn, dass man eine Serie gemeinsam mit einem Streaming-Dienst wie Watchever promotet, um die größtmögliche Aufmerksamkeit für die Ausstrahlung zu generieren. Im Grunde geht es darum, Erlösmöglichkeiten zu suchen, die sämtliche Medienauswertungen umfassen."

Optimistisch fährt Lehmann fort: "Daher wird es auf jeden Fall in nächster Zeit viel Veränderung im Bereich des TV-Vertriebs geben. Und aufgrund der breiteren Verwertungsnotwendigkeit wird das serielle Produzieren auch bei uns wieder viel wichtiger und der Bedarf nach Serie wird stark wachsen. Man wird auch in Zukunft nicht erwarten können, dass Vox oder kabel eins eine Serie wie 'House of Cards' allein stemmen wird, aber die neuen Modelle werden spannende Konstellationen hervorbringen, denen ich sehr positiv gegenüberstehe."

Keine große Chance für klassische Eigen- oder Koproduktionen bei kleineren Sendern sieht hingegen Marc Conrad, Chef der Produktionsfirma ConradFilm und früher langjähriger RTL-Programmdirektor. "Es gibt aber keinen Grund zur Panik", so Conrad. Eine neue Art von Serien werde sich in Deutschland anders entwickeln als in den amerikanischen oder skandinavischen Märkten: "Weniger international, aber dafür in Deutschland über unterschiedliche Vertriebskanäle hinweg. Multimedial, in Verbindung mit einem Sender und einem Publisher, werden neue Marken aufgebaut, die in erster Linie in Deutschland ein Publikum finden und plattformübergreifend konzipiert werden."

Wie dabei dennoch das berühmte Lagerfeuer entstehen kann und warum die Norweger selbst bei einem deutschen Stoff keinen deutschen Koproduzenten finden, hat Marc Conrad in einem Aufsatz für DWDL.de aufgeschrieben, den wir auf der nächsten Seite dokumentieren...