Licht aus, Spot an: Zur bekannt dramatischen Melodie senkt sich die Studio-Beleuchtung und konzentriert einen Lichtkegel in der Mitte. Dort sitzen ein nervöser Kandidat und „ein ziemlich kräftig gewordener Günther Jauch“, wie eine ältere Dame hinter mir ihrer Sitznachbarin ins Ohr brüllt. „Willkommen bei ‚Wer wird Millionär‘“, sagt der und fügt nach kurzer Pause hinzu: „…auf AIDAmar“. Auf hoher See wird man verschaukelt - mal durch den Seegang, mal durch das Unterhaltungsangebot. Auf der Bühne des Theaters von AIDAmar, einem der neueren Kreuzfahrtschiffe der Flotte, sitzt natürlich nicht Günther Jauch. Es ist Entertainment-Manager Stephan, der mir später im Gespräch erklärt, warum die Quizshow auf hoher See seiner Meinung nach noch so viel schwieriger zu moderieren ist, als für Jauch im Fernsehstudio vor den Toren Kölns.

Willkommen an Bord, lieber Leser, wir sind im Mittelmeer unterwegs, um dem heutigen Wirken des einst so präsenten und immer noch mitteilungsfreudigen TV-Managers Borris Brandt auf den Grund zu gehen - wobei das an Bord eines Kreuzfahrtschiffes vielleicht eine unglückliche Formulierung ist. Seit beinahe drei Jahren leitet der ehemalige ProSieben-Programmdirektor und langjährige Geschäftsführer von Endemol Deutschland die Geschicke von AIDA Entertainment. Die in Rostock beheimatete Firma übernimmt die Planung und Umsetzung des Unterhaltungsangebots an Bord der Schiffe des deutschen Kreuzfahrt-Anbieters, die seit diesem Jahr übrigens keine Club-Schiffe mehr sein wollen. Teil der Image-Korrektur von AIDA ist auch ein neues Entertainment-Konzept - entwickelt von Borris Brandt.

Borris Brandt© Aida

Aber wie sieht das nun konkret aus? Die TV-Branche zerreisst sich seit drei Jahren mal offen, mal hinter vorgehaltener Hand das Maul darüber, was für ein Abstieg es gewesen sei für Borris Brandt. Ist dem so? Wo liegt die Wahrheit zwischen den blumigen Worten der Reederei auf der einen und der Skepsis der Medienbranche auf der anderen Seite? Genau deshalb bin ich an Bord gegangen. Diese Reise wurde übrigens nicht von der Reederei gestellt. Sie wurde selbst gezahlt, wie es beim Medienmagazin DWDL.de üblich ist. In diesem Fall verpackt in einen Familienurlaub mit drei Generationen. Eine Woche Mittelmeer auf der AIDAmar, dem ersten Schiff, auf dem das von Brandt erdachte Konzept umgesetzt wurde - inklusive „Wer wird Millionär“ und einer ganz eigenen Primetime.

Die beginnt bei AIDA um 20 Uhr. Eine „Tagesschau“ auf hoher See gibt es halt nicht. Auf jedem Schiff hat täglich zur gleichen Zeit der Entertainment-Manager - bei uns an Bord Stephan Hartmann - seine eigene Personality-Show im Theater. Sie dient dem Rückblick auf die Ereignisse des Tages an Bord und an Land sowie Einspielern zum Bordleben, den kommenden Zielen der Rundreise und Gesprächen mit Crew-Mitgliedern. Hartmann erweist sich als geborener Entertainer, was erahnen lässt, warum er für das Pilotprojekt ausgewählt wurde. Was um 20 Uhr live im Theater - offen gebaut über drei Etagen in der Schiffsmitte - über die Bühne geht, lässt sich übrigens gleichzeitig in allen Kabinen des Schiffes auf AIDA TV verfolgen.

Wer die gut halbstündige Sendung verpasst hat oder sich seinen Abend auf dem Schiff nicht vom Bordprogramm diktieren lassen will, kann sie den ganzen Abend lang auf dem Schiffs eigenen Kanal in Dauerschleife verfolgen. Lineares OnDemand sozusagen. Den Ideen innerhalb dieser „Sendung“, etwa einem schnellen Aufzug-Quiz, merkt man ihren TV-Ursprung an. Sie werden tagesaktuell an Bord produziert und geschnitten. Umgesetzt wird das im „TV-Studio“ des Schiffes - genau genommen einer Regie bzw. Schneideraum. Von der Verpackung über die Inhalte bis zur Ausspielung von „Stephans Primetime“ hat man offensichtlich vom Fernsehen gelernt.

Aida Entertainment© DWDL.de

Das gilt auch für die bekannten Variete- und Musikshows, die man bei dieser Art Urlaub im Abendprogramm erwartet. Ich habe mir selbst nicht viel von singenden und tanzenden Animateuren erwartet und musste mich in mehrerlei Hinsicht eines besseren Belehren lassen. Die „Animateure“ heißen bei AIDA inzwischen Gastgeber - und sind genau das. Sie stehen abends deshalb auch nicht zur Belustigung auf der Bühne. Dafür veranstaltet AIDA Entertainment längst internationale Castings, wie am ersten Abend der Kreuzfahrt in einer Auftaktshow erklärt wird. Jeder, der hier auf der Bühne steht, hat schon Karriere gemacht als Tänzer oder Sänger.

Dass man ein Engagement zur Bespaßung von Urlaubern auf einem Kreuzfahrtschiff als Abstieg werten könnte, weisen alle, mit denen ich gesprochen habe, zurück. Das hängt nicht unwesentlich damit zusammen, dass seit dem Amtsantritt von Borris Brandt diese Shows professionalisiert wurden. Selbst eine Beatles-Revue, die mich auf dem Papier zunächst gefährlich an peinliche Abba-Schunkelabende beim All-Inclusive-Club-Urlaub auf Kreta erinnern, gerät zur kurzweiligen Unterhaltung auf hohem Niveau. Nichts, wofür ich mich als einer der jüngeren Zuschauer im Theater schämen müsste. Eher schon für das penetrant im falschen Takt klatschende Publikum. Meine eigene Familie ausdrücklich nicht ausgenommen.